14,5 / 18 / 51 Prozent Was stimmt?

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Welchen Anteil hat die industrielle Nutztierindustrie an der globalen Treibhausgasemission?

Spätestens seit dem Film Cowspiracy sind wir mit dem Wert von 51 % und Begriffen wie dem Livestock’s Long Shadow Report vertraut.

51 %: Das ist in diesem Kontext der Anteil der industriellen Massentierhaltung an der weltweiten Treibhausgasemission. 14,5 %. Das ist ebenfalls der Anteil der industriellen Massentierhaltung an der weltweiten Treibhausgasemission. Und 18 % ist – tadaaa – auch der Anteil der industriellen Massentierhaltung an der weltweiten Treibhausgasemission.

Werte, die wie Warnhinweisschilder wirken. Werte, die genauso kontrovers diskutiert werden, wie die Frage, ob eine vegane Ernährung gesund sei. Werte, die genauso richtig wie falsch sind. Werte, die sich jetzt, Jahre nachdem ich Cowspiracy gesehen hatte, wieder in mein Leben gedrängt haben, um Aufmerksamkeit einzufordern.

Ich bin ein (kleiner) Gesundheits-Nerd.

Vieles, was in den Medien als gesundheitsfördernd angepriesen wird, bekommt meine Aufmerksamkeit. Das ist wie ein Magnet. Eine magnetische Anziehung, der ich nur schwer entsagen kann. Und ich würde mich nicht selbst in dieser Hinsicht als Nerd beschreiben, wenn ich nicht zugeben müsste: Je randständiger, ausgefallener, „geheimtippiger“ die Tipps, Mittel, Empfehlungen ausfallen, desto mehr Aufmerksamkeit erregen sie in mir.

„Normal“ kann ja schließlich jeder. Ich glaube, mittlerweile nennt man Leute wie mich Biohacker. Wobei ich den Begriff nicht mag. Dafür komme ich zu sehr aus der IT, bin ein Kind der 90’er Jahre und stelle mir nach wie vor unter einem Hacker eine geniale, introvertierte Person vor, deren Ernährungs- und nachtaktive Lebensweise so ziemlich die Anti-These von Gesundheitsorientierung darstellt.

Es war aufgrund meines Hangs zur Gesundheit nur eine Frage der Zeit Stammhörer des Bio 360-Podcasts von Unkas Gemmeker zu werden.

Viele eher randständige Themen werden hier wunderbar ausführlich in Experten-Interviews behandelt. Ich schätze es sehr, dass Unkas immer top vorbereitet in die Gespräche geht, hervorragend durch die Interviews führt und damit bereits über mehrere hundert Podcastfolgen einem ansonsten unterrepräsentierten Themenbündel eine angemessene Bühne bereitet.

Vieles habe ich bereits aus diesem Podcast gelernt. Ich mag diesen Podcast. Er ist in gewisser Weise genauso nerdy wie ich. Unkas Anti-vegan Haltung mag ich weniger. Aber das  ist eine andere Geschichte ;)

Vor gut einer Woche hörte ich mir Folge 429 des Bio 360-Podcasts an: „Mythos Landwirtschaft: Prof. Dr. Frank Mitloehner“. Ein dreiteiliges Interview mit einer Länge von ca. 2 Stunden. Übrigens ein Grund, warum ich diesen Podcast so gerne mag, er lässt den Themen Raum.

Aus vorherigen Folgen war mir Unkas Biografie vertraut, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen eine Zeit lang roh-vegan ernährte und schließlich aus gesundheitlichen Gründen davon abließ. Seither nehme ich seinen persönlichen Bezug zum Thema Veganismus als abweisend wahr. Insofern konnte ich das Setting für ein Interview zum Thema Landwirtschaft bereits erahnen.

Mich faszinierte das Interview.

Mich faszinierte die sehr detaillierte Auseinandersetzung mit den bekannten Prozentwerten hinsichtlich des Anteils der industriellen Massentierhaltung an der weltweiten Treibhausgasemission. Mich faszinierte die Versiertheit, mit der Prof. Dr. Mitloehner die einzelnen Argumente auseinandernahm. Es kam mir vor, wie „Debunking 51%“. Es war… interessant.

Prof. Dr. Mitloehners Argumente klangen schlüssig. Als er erklärte, dass die Zahl der Nutztiere im historischen Vergleich gar nicht sehr unterschiedlich ausfällt, zumal vor der großen Landnahme und der Besiedlung auf dem nordamerikanischen Kontinent hunderte Millionen Büffel lebten. Das sei bei der Diskussion um Methonfreisetzung durch Wiederkäuer zu berücksichtigen.

Dass ausgeatmetes CO² in einer Treibhausgasemissions-Berechnung nicht einbezogen werden darf, weil es Teil eines Kreislaufes ist und vorher als gebundener Kohlenstoff in den Futterpflanzen steckte. Dass Methan 28, Lachgas bis zu 300 Mal „stärker“ sei, als CO². Das CO² bis zu 100 Jahren in der Atmosphäre verbleibe, Methan und Lachgas nach einigen Jahren zerfallen und zu CO² werden.

Dass der Wert von 51% vom Worldwatch Institute stammt und dort eigentlich Finanzexperten arbeiten und keine Klimafachleute. Dass die FAO (Food and Agriculture Organization) ursprünglich in ihrem „Long Shadow…“-Report von 18% sprach, durch Prof. Dr. Mitloehner auf Fehler in der Berechnung hingewiesen wurde und den Wert auf 14,5% reduzierte. Und dass in Industrieländern die Werte teilweise noch deutlich geringer bei 3-4% liegen.

Es klang stimmig.

Es fühlte sich auch irgendwie stimmig an. Arbeitet Prof. Dr. Mitloehner doch seit 20 Jahren genau in diesem Fachbereich. Und doch sperrte sich etwas in mir, die plausibel und einleuchtend klingenden Argumente einfach so zu akzeptieren. Was passierte hier gerade? Und warum passierte es?

Das Klarstellen und Korrigieren der Daten und Berechnungen minimierte den Einfluss der industriellen Tierhaltung auf den globalen Treibhauseffekt. Es lenkte den Blick auf andere Treibhausgas-Emittenten. Es verlagerte die Diskussion auf andere Handlungsfelder: Erdöl, Erdgas, Kohle. Es lenkte ab.

Und… kann es wirklich sein, dass gefühlt die ganze Welt falsch liegt? Sich auf ein Problemfeld zu konzentrieren beginnt, wo gar kein Problem ist? Klärt nicht mittlerweile so gut wie jeder Ökologischer-Fußabdruckrechner über den Einfluss der Ernährung auf den persönlichen ökologischen Fußabdruck auf? Alles also eine Farce und fehlerhaften Statistiken und Berechnungen von „falschen“ Fachleuten geschuldet?

Gefühlt konnte ich Prof. Dr. Mitloehner nach dem Hören der Podcastfolgen nicht zustimmen.

Nur seine Argumente konnte ich nicht bewerten. Es blieb in mir der Eindruck, dass Prof. Dr. Mitloehner ein zu erwartendes Phänomen darstellte.

Gerade in einer Phase, in der ganze Gesellschaften langsam dahingehend sensibilisiert werden, dass eine der grundlegendsten Prägungen und Gewohnheiten – unsere Essgewohnheiten – einen fundamentalen negativen Einfluss auf unsere ökologischen Zukunftsaussichten haben, muss es zwangsläufig zu einer Gegenreaktion kommen.

Nicht nur, dass es so wunderbar angenehm wäre, sollte sich am Ende des Tages der Einfluss industrieller Tierhaltung auf den Treibhauseffekt als nichtig erweisen. Hinzu kommt, dass die globale Lebensmittelproduktion DER Markt schlechthin ist. Ein Blick in jeden gewöhnlichen Supermarkt oder Discounter macht klar, dass hier viel Geld im Spiel ist.

Streichen wir doch mal im Gedanken alle Supermarktprodukte mit tierlichen Bestandteilen (Fleisch, Milch, Eier, Milchpulver, Molke, Honig); da bleibt nicht viel übrig. Die Regale werden ziemlich leer aussehen. Eine Menge  Geld ist also im Spiel! Man muss nicht erst die Geschichte der Tabakindustrie nachlesen, um Reaktionsmuster in der Großindustrie aufgrund Veränderungen öffentlicher Verhaltensweisen zu erahnen.

Gestern fügten sich für mich dann die Puzzleteile zu einem erkennbaren Bild zusammen.

Ich las das neue Buch von Jonathan Safran Foer „Wir sind das Klima!“. Mehr durch Zufall, als dass ich es im Vorfeld geplant hatte. Auch wenn mich das Buch inhaltlich enttäuschte, fand ich im Anhang genau die Auseinandersetzung, die ich mir hinsichtlich des Mitloehner-Interviews insgeheim gewünscht hatte.

Der Abschnitt im Anhang ist tituliert mit „14,5 Prozent / 51 Prozent“ und behandelt den Umstand, dass es zwei Aussagen gibt, die beide richtig sind. Um es kurz zu halten: Es gibt unterschiedliche Berechnungen.

In den 51 % werden mehr Aspekte berücksichtigt, als in den 14,5 %. Um hier für ein besseres Verständnis zu sorgen, zitiere ich zwei Äußerungen, die den Autoren des Wordwatch Institute Berichts zugeschrieben werden und mit denen sie erklären, warum sie auf den wesentlich höheren Wert kommen:

„Der wichtigste Unterschied zwischen den 18 und den 51 Prozent liegt darin, dass die letztere Zahl mit einbezieht, wie das exponentielle Wachstum der Viehbestände (aktuell über 60 Milliarden Landtiere pro Jahr), zusammen mit großflächiger Abholzung und Brandrodung, zu einem dramatischen Rückgang der Fotosynthesekapazität der Erde sowie zu immer schnellerer Verflüchtigung großer Mengen Kohlenstoff aus dem Erdreich geführt hat.“

„Die FAO berücksichtigt zwar Emissionen im Zusammenhang mit durch Nutzvieh veränderte Bodennutzung, jedoch nur die relativ kleine Menge Treibhausgase (THG) durch jährliche Veränderungen. Seltsamerweise lässt sie die viel größere THG-Reduktion durch Fotosynthese außen vor, die jährlich verloren geht, weil man weltweit 26 Prozent des Landes als Weideland und 33 Prozent des urbanen Landes für den Anbau von Futterpflanzen nutzt, statt dort Wald nachwachsen zu lassen. Ließe man einen beträchtlichen Teil der zu diesem Zwecken abgeholzten Regenwälder nachwachsen, könnte sie etwa die Hälfte (oder mehr) der menschengemachten THG aufnehmen.“

Auch dem von Prof. Dr. Mitloehner genannte Argument beim Worldwatch Institute handele es sich um Finanzexperten, die aber keine Fachleute für derartige Themen seien, wird entgegnet.

Robert Goodland, einer der Mitverfasser des Worldwatch Institute-Berichts, war Ökologe, Professor und Chefumweltberater der Weltbankgruppe. Er hatte einen Doktor in Umweltwissenschaften und war Vorsitzender der International Association of Impact Assessment.

Im Mitloehner-Interview wurde der Aspekt diskutiert, dass ausgeatmetes CO² nicht in Treibhausgas-Berechnungen einfließen dürfe. Goodland hat auch hierzu Stellung genommen, indem er darauf hinweist, dass Vieh für menschliches Leben nicht unabdingbar ist.

Große Teile der Menschheit verzehren wenig bis gar keine Tierprodukte. „Heute atmen Dutzende Milliarden mehr Nutztiere CO² aus als in vorindustriellen Zeilen, während die Fotosynthesekapazität der Erde durch Rodung stark abgenommen hat.“ Es wird hinzugefügt, dass „jährlich ein bis zwei Milliarden Tonnen mehr CO² durch Tieratmung und Bodenoxidation in die Atmosphäre strömen, als durch Fotosynthese absorbiert wird.“

Kurz: Im Gegensatz zu den Büffelherden des präkolonialen Amerikas gehört Nutzvieh nicht zum natürlichen Kohlenstoffkreislauf

– besonders, wenn man berücksichtigt, wie viel CO²-fressender Wald vernichtet wurde, um Platz für Tiere und den Anbau ihres Futters zu schaffen. Nutzvieh kann kein natürliches Gleichgewicht mit den fotosynthetischen Prozessen der Erde mehr bewahren.

Ganz besonders interessant fand ich den Hinweis auf einen persönlichen Interessenkonflikt bei Prof. Dr. Mitloehner. Im Jahr 2012 erschien in der New York Times ein Artikel unter dem Titel „FAO Yields to Meat Industry Pressure on Climate Change“.

In diesem Artikel wird beschrieben „Frank Mitloehner, bekannt für seine Behauptung, 18 Prozent seien für die USA viel zu hoch angesetzt, wurde letzte Woche zum Vorsitzende einer neuen Partnerschaft zwischen der FAO und der Fleischindustrie ernannt. Zu den neuen Partnern der FAO zählen das International Meat Secretariat und die International Dairy Federation.“

Mein Gefühl beim Hören des Interviews im Bio 360 Podcast hat mich also nicht getäuscht.

So plausibel und teilweise vehement die dort gegebenen Argumente und Erklärungen vorgetragen wurden, so sehr darf man nicht alles ungefragt hinnehmen. Gerade bei derart kontroversen Themen nicht.

Dabei muss ich zugeben, dass es sehr schwierig ist, den Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen zu prüfen. Zumal ja immer auch die Frage im Raum steht, was „Wahrheit“ überhaupt ist und ob es diese tatsächlich gibt? Oder handelt es sich dabei auch nur um eine subjektive Auslegung von Fakten?

Aber ist es überhaupt wichtig, wer in dieser Debatte Recht hat? Was die Wahrheit ist? Oder bedeutet das ausdiskutieren dieser Kontroverse nicht, dass wir in Schönheit sterben?

Diskutieren, Argumente und Gegenargumente zu entkräften, immer mehr, immer präzisere Zahlen und Fakten zu schürfen nützt doch letztendlich nur denen, die am Status Quo nichts ändern wollen. Auf intellektueller Ebene ist es mitunter sehr reizvoll zu verstehen, welche Prozentzahl die Realität der Treibhausgasemissionen am besten repräsentiert.

Auf persönlicher Ebene ist mir die Prozentangabe völlig egal. Hier handele ich. Und zwar nicht, weil die 51 % mein persönlicher Favorit wäre und sich daraus ein unmissverständliches Handlungsgebot ergeben würde.

Nein, ich handele, weil ich handeln kann!

Weil es so einfach und trivial ist, auf tierliche Produkte zu verzichten!

Ich habe keine persönliche Maßnahmenstrategie zur Reduktion meines ökologischen Fußabdrucks in den Bereichen Ernährung, Mobilität, Wohnen und Konsum. Setze hier keine Prioritäten, die sich hinsichtlich des Wirkungsgrads der Maßnahmen ergeben.

Vielmehr kümmere ich mich um das Naheliegende, das was ich unmittelbar und idealerweise sofort umsetzen kann. Ich verzichte auf ein Auto und fahre mit Rad (bei jedem Wetter!), ich nutze kein Flugzeug, um meine Urlaubsziele zu erreichen, ich minimiere meinen Konsum, kaufe dafür stärker Second Hand und stärker regionale/saisonale Bioprodukte und ich verzichte in allen Lebensbereichen auf tierliche Produkte.

Das sind alles Maßnahmen, die ich JETZT umsetzen kann. Dazu muss ich nicht warten, bis irgendwelche (verkehrstechnischen/wirtschaftlichen) Infrastrukturen geschaffen werden. Dazu muss ich nicht warten, bis „die da oben“ irgendwelche Gesetze oder Verordnungen erlassen. Dazu muss ich nicht warten, ob sich irgendwelche Experten darauf einigen, wie groß der Einfluss der industriellen Nutztierhaltung auf den globalen Treibhauseffekt ist. Dazu muss ich nur eines:

Jetzt. Einfach. Machen.

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