Veganer bekommen kein Vitamin B12
Ein Beitrag von Carsten

„Am Beispiel Vitamin B12 sieht man ja, dass der Mensch genetisch nicht für eine vegetarische oder vegane Ernährung geeignet ist.“
Diese Äußerung erhielt ich vor einigen Jahren von meinem damaligen Hausarzt. Wie gut mein Vitamin B12-Speicher noch gefüllt war, blieb unklar. Wir hatten vergessen den Wert im Vorfeld zu bestimmen, sind stattdessen gleich zu einer Verabreichung durch die Spritze übergegangen. 4 Spritzen- genaugenommen. Jeweils im Abstand von einer Woche.
Mittlerweile bin ich um zwei für mich bedeutende Erkenntnisse reicher:
- Regelmäßige (quartalsweise oder auch jahresweise) Vitamin B12-Spritzen stellen einen einfachen und nicht wirklich kostspieligen Weg zur Vitamin B12-Supplementierung dar
- Die Äußerung meines damaligen Arztes ist Bullshit, da die Vitamin B12-Versorgung nichts mit den Genen zu tun hat
Vitamin B12 – Wofür eigentlich?
Bevor wir tiefer ins Thema einsteigen, möchte ich Dir kurz erklären, warum dieses Vitamin so wichtig ist. Es ist ein essentieller Nährstoff. D.h. wir müssen ihn über unsere Nahrung zuführen; unser Körper kann diesen Nährstoff nicht selbst herstellen.
Das Vitamin ist wichtig für die Zellteilung, die Blutbildung und für die Funktion des Nervensystems. Es ist also an zahlreichen Stoffwechselvorgängen beteiligt. Ein langfristiger Mangel an Vitamin B12 kann deshalb zu schwerwiegenden, mitunter irreversiblen Schäden, z.B. im Nervensystem, führen.
Gerade während der Schwangerschaft, im Säuglings- und Kleinkindalter muss deshalb immer genügend von diesem Vitamin zur Verfügung stehen, da es ansonsten beim Kind zu nicht mehr korrigierbaren Schäden des Nervensystems führen kann.
Ein Problem? Oder eher doch nicht?
Das klingt jetzt alles sehr dramatisch. Und der in den allgemeinen Medien oft herbei zitierte Nährstoffmangel bei Veganern ist im Grunde genommen immer auf das Vitamin B12 bezogen. Das merkst Du schon an den (potentiellen) Gesundheitsproblemen, die dann gerne mal uns Veganern in derartigen Berichterstattungen angedichtet werden. Die geschilderten Symptome beziehen sich fast immer auf einen Vitamin B12-Mangel.
Wie sehr ein B12-Mangel öffentlich thematisiert wird, kannst Du auch aus der Reaktion des BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) erkennen, das eigens zum Thema „Risiken & Veganismus“ eine Studie erstellt hat. Wir haben diese Studie auch ausführlich in unserer Podcastfolge #96 (Veganer als Studienobjekt) besprochen. Interessant war, dass sich fast alle Studienbeteiligten mit dem Thema Vitamin B12 auseinander gesetzt hatten, über Risiken und Probleme informiert waren und deshalb dieses Vitamin supplementieren.
Ich ganz persönlich bin der Meinung, dass ein Großteil der vegan lebenden Menschen dieses Thema kennt. Als Veganer kommt man eigentlich um dieses Thema auch gar nicht herum. Mitunter wird sogar in Kochbüchern auf dieses Thema eingegangen. Es ist im veganen Diskurs sehr präsent.
Vitamin B12 betrifft Jeden
Das kann man für den Rest der Bevölkerung allerdings nicht sagen. So reflexartig die Frage „Und wo bekommst Du die wichtigen Nährstoffe her?“ von Nicht-Veganern kommt, so wenig wissen diese über ihre eigene Nährstoffversorgung. Doch Vitamin B12 ist auch hier ein großes Thema. Je nach Quelle muss davon ausgegangen werden, dass ein Vitamin B12-Mangel einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung betrifft. Völlig unabhängig davon, wie diese sich ernähren.
Gerade bei älteren Menschen wird die Vitamin B12-Versorgung kritisch gesehen. Nimmt im Alter doch die körperliche Fähigkeit zur Vitamin B12-Aufnahme deutlich ab. Deshalb bin ich immer mal wieder irritiert, wenn eine Mangelsituation in erster Linie mit einer veganen Lebensweise gleichgesetzt wird.
Auch wenn bei mir damals kein B12-Mangel explizit gemessen wurde, gehe ich davon aus, dass ich in einer Mangelsituation war. Schon nach der ersten B12-Spritze war es, als ob jemand einen Turbo-Knopf bei mir gedrückt hätte. Plötzlich war da dieser anhaltende Energieschub. Und nicht erst nach ein paar Tagen oder Wochen. Nein, direkt nach der Spritze. Innerhalb von Minuten. Zu diesem Zeitpunkt ernährte ich mich 1 Jahr vegan. Vorher vegetarisch und davor habe ich sehr, sehr viel Fleisch gegessen.
Da unser Körper in der Leber ein langanhaltendes B12-Depot besitzt, welches mehrere Jahre hält (3-6 Jahre), muss ich davon ausgehen, dass ich vorher schon ein Problem mit B12 hatte. Nicht erst durch die vegane Ernährung.
Eine in diesem Zusammenhang interessante Anekdote: Eine Kollegin erzählte mir unlängst, dass auch bei ihr ein B12-Mangel festgestellt wurde. Bisher hatte sie von einem solchen Problem nie etwas gehört. Auch war sie gerade deshalb verwundert, weil sie sich ja völlig „normal“ ernähre.
Wo kommt Vitamin B12 eigentlich her?
Das führt uns zur Frage, wo Vitamin B12 seinen Ursprung hat? Über diese Frage habe ich mir erst Gedanken gemacht, als ich zur veganen Lebensweise gewechselt bin. Vorher war B12 irgendso ein Vitamin, was man in der Apotheke gegen Stress oder Abgeschlagenheit kaufen konnte. Mittlerweile sehe ich aber klarer.
Vitamin B12 wird von bestimmten E.-Coli-Bakterien hergestellt. Punkt. Es wird auch in unserem Verdauungstrakt in großen Mengen hergestellt. Allerdings erst durch die Bakterien im Dickdarm; leider zu spät, um im vorgelagerten Dünndarm aufgenommen zu werden. Entsprechend sind wir auf die äußere Zufuhr angewiesen.
Nicht-Veganer sind oft irritiert, wenn ein vegan lebender Mensch zur B12-Tablette greift. Eine solche Zufuhr erachten Viele als unnatürlich und unnormal. Wenn wir aber ehrlich sind, greifen Nicht-Veganer auf eine indirekte Supplementierung zurück. In ihren Fällen nimmt das Rind oder das Schwein die Tablette. Die dann über den Umweg „Fleisch, Milch, Käse“ als B12-Quelle für Nicht-Veganer dient.
Auch die vom Menschen zur Nahrungsmittelproduktion ausgenutzten Tiere sind auf eine externe Vitamin B12-Zufuhr angewiesen. Ausnahme sind hier Wiederkäuer wie Rinder oder Schafe. Diese können über die E.-Coli-Bakterien im Pansen quasi im eigenen Körper Vitamin B12 bilden (lassen), welches dann über das Wiederkäuen aufgenommen werden kann.
Allerdings ist die heutige Lebensrealität der wiederkäuenden ausgenutzten Tiere weit weg von ihrem natürlichen Ursprung. Ihre Organismen sind durch Zucht und Haltung zu andauernden und auszerrenden Höchstleistungen gezwungen. Und dieses erfordert eine erhöhte Vitamin B12-Versorgung. Die ist nur durch Supplementierung gesichert. Fun-Fakt am Rande: ~95% des weltweit hergestellten synthetischen Vitamin B12 geht in die Verfütterung der ausgenutzten Tiere.
Und der natürliche Ursprung?
Natürlich haben wir nicht immer unseren Vitamin B12-Bedarf über künstlich hergestelltes Vitamin-B12 gedeckt. Wie oben schon geschildert, ist der natürliche Ursprung ein Bakterium. Oder besser, bestimmte Bakterien. Diese kommen nicht nur im Pansen oder im Dickdarm vor, sondern auch im gesunden Mutterboden und auch in stehenden Gewässern.
Trinken aus Seen und auch das Verspeisen von sandigem Gemüse ist tatsächlich eine natürliche und ursprüngliche Versorgungsquelle. Diese entspricht allerdings nicht mehr unseren Hygieneanforderungen. Zudem ist gesunder Mutterboden schon fast zur Rarität geworden und dürfte wohl nur im Bioanbau noch in der Güte vorhanden sein, mit der auch tatsächlich nennenswerte Mengen Vitamin B12 im Boden vorkommen können.
Abseits dessen gibt es auch Algen, in denen nennenswerte Mengen des Vitamins vorhanden sind. Allerdings ist noch unklar, ob die dort vorhandene Form auch eine relevante Bioverfügbarkeit besitzt.
Gibt es mehrere B12e?
Im engeren Sinne wird als B12 das sogenannte Cyanocobalamin bezeichnet. Es gibt noch weitere sogenannte Cobalamine wie zum Beispiel Adenosylcobalamin, Hydroxocobalamin oder etwa Methylcobalamin. Diese Begriffe werden Dir ggf. über den Weg laufen, wenn Du nach Vitamin B12-Supplementen Ausschau hältst. Das ist jetzt sicherlich alles verwirrend und eigentlich auch gar nicht zwingend wichtig. Ich erwähne es lediglich der Vollständigkeit halber.
Die gängigsten B12-Präparate enthalten das Cyanocobalamin. Die anderen Cobalamine sind zwar deutlich teurer, bieten aber keinen besseren Nutzen. Zudem ist nicht gesichert, dass diese aufgrund ihrer chemischen Struktur besser aufgenommen werden können, als das günstigere Cyanocobalamin. Du machst also nichts falsch, wenn Du zu Präparaten mit diesem Vitamin B12 greifst.
Was muss beim Supplementieren beachtet werden?
Mir sind vier Wege bekannt, über die unser Körper Vitamin B12 aufnehmen kann:
- Über die Mundschleimhaut
- Mittels des instrinsischen Faktors
- Über Diffusion im Dünndarm
- Spritze beim Arzt
Für die Aufnahme durch die Mundschleimhaut gibt es speziell mit Vitamin B12 angereicherte Zahncreme. Wenn Dir das Tablettenschlucken oder die Spritze beim Arzt nicht gefallen, ist der Weg über die Zahncreme eine gangbare Alternative. Allerdings ist die Zahncreme im Vergleich zu herkömmlicher Zahncreme deutlich teurer.
Die Aufnahme über den instrinsischen Faktor oder über die Diffussion im Dünndarm ist der normale Verdauungsweg. Beides kommt dann ins Spiel, sobald Du Vitamin B12 oral aufnimmst. Sei es durch Tabletten, flüssige Lösungen oder angereicherte Lebensmittel. Mit dem intrinsischen Faktor ist ein sogenanntes Glykoprotein gemeint, welches im Magensaft das Cobalamin bindet; erst hierdurch wird die Aufnahme über die Darmzellen ermöglicht. Der instrinsische Faktor ist ein begrenzender Faktor, schwankt von Mensch zu Mensch und kann bei eingeschränkter Verfügbarkeit auch bei Nicht-Veganern der Hauptgrund für eine zu geringe Vitamin B12-Versorgung sein.
Über den instrinsischen Faktor werden nur kleine Mengen B12 aufgenommen. Sofern der Körper genügend von diesem instrinsischen Faktor herstellen kann, reicht das allerdings aus, um den täglichen B12-Bedarf aufzunehmen.
Interessant wird es bei der Diffusion. Diese tritt bei sogenannten Mega-Dosen auf. Also, wenn extrem viel B12 aufgenommen wird. Dann wird ein geringer Teil der eingenommenen Mega-Dosis über diese Diffusion ebenfalls vom Dünndarm aufgenommen. Das ist der Grund, warum viele Vitamin B12-Präparate Mega-Dosen und damit ein Vielfaches der empfohlenen täglichen Tagesmenge beinhalten.
Abschließend kann die B12-Versorgung aber auch über Spritzen beim Hausarzt gedeckt werden. Das kann quartalsweise oder auch jährlich passieren. Die gespritzten Mengen sind ausreichend, dass der B12-Speicher in der Leber wieder aufgefüllt wird und hierdurch die reguläre Versorgung sichergestellt ist. Eine Spritze ist mit Selbstzahlerkosten von 7-8 € zumindest preislich eine günstige Alternative.
Holo…was?
Welche Form und wie häufig supplementiert werden soll kann nur durch regelmäßige Kontrolle des B12-Wertes eindeutig bestimmt werden. Wenn Du also unsicher mit der gewählten Supplementierung bist, solltest Du regelmäßig (1x jährlich) zum Arzt und dort den sogenannten Holo-TC-Wert bestimmen lassen. Nur dieser Wert gibt Aufschluss darüber, wie gut Dein B12-Speicher gefüllt ist. Andere Werte verraten Dir u.U. nur, wie viel B12 gerade im Blut frei verfügbar ist. Das kann dann nach einer guten B12-Abdeckung aussehen, wobei das gemessene B12 ggf. aus der letzten Mahlzeit stammt und so ein evtl. vorhandener Mangel unentdeckt bleibt.
Leider werden die Kosten für diese Art der Kontrolle (noch) nicht von den Krankenkassen übernommen. Aber auch hier bewegt sich mittlerweile etwas am Gesundheitsmarkt.
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