Folge 12 - Wohin mit den Milchseen?

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Folge 12 - Wohin mit den Milchseen?

In dieser Folge geht es um die Entwicklung in den 1970er und 80er Jahren hin bis zum Mauerfall.

Aufgrund der guten Bedingungen der vorangegangen Jahre hatten die Bauern viel zu viel Milch produziert, es wurde verzweifelt nach Absatzmärkten gesucht.

Absatzförderung war daher das Stichwort dieser Zeit. Eine extreme Verstrickung der Umstände die Folge- was daraus geworden ist, kannst Du in Filmen wie "Das System Milch" und "Bauer unser" sehen.

1984 wurde dann die Milchquote eingeführt, die den Milchfluss regulieren sollte. Das führte zum zweiten Höfesterben in Westdeutschland seit dem zweiten Weltkrieg.

Wieder eine turbulente Zeit voller Irrungen und Wirrungen und mittendrin: die Kuh.

Transkript

Schön, dass du wieder dabei bist bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch. Ich bin Stefanie und ich möchte dir in dieser Folge von der Zeit ab 1970 bis hin zum Mauerfall erzählen, was sich da im Bereich der Kuhmilch in Westdeutschland zugetragen hat.

Aus der vorangegangenen Folge weißt du, dass die Supermärkte auf dem Vormarsch waren. Es hat eine Entfremdung stattgefunden zwischen dem Konsumenten und der Herkunft der Produkte. Diese Entfremdung hat nicht erst mit den Supermärkten angefangen. Sie hat schon vor, ja, lassen wir es fast 200 Jahre davor sein, angefangen ganz, ganz langsam durch den Handel, der sich dazwischen geschoben hat, zwischen die Erzeuger und die Konsumenten. Das war natürlich vor 200 Jahren anders als es 1970 war und natürlich auch anders als es heute ist, aber es war schließlich so der Beginn, dass es Händlerinnen und Händler gab, die beim Erzeuger oder der Erzeugerin eingekauft haben und das dann wieder verkauft haben, sodass der direkte Bezug zur Erzeugung nicht mehr da war.

Und das ist eine wichtige Grundvoraussetzung auch dafür, dass die Kuhmilch und auch sämtliche Milchprodukte Grundnahrungsmittel werden konnten und dass es so eine große Vielfalt in den Kühlregalen heute gibt. Bis 1970 ungefähr, vielleicht auch eher 1968 oder 1969, stieg die Milchproduktion immer weiter an und übertraf den Absatz um ein Weites. Und ich möchte zu dieser Zeit aus einem Buch zitieren und zwar heißt es „Milch vom Mythos zur Massenware“ von Andrea Fink-Kessler. Diese Dame schreibt kein pro-veganes Buch, sondern ein pro-Milchbuch, ist aber dennoch kritisch und beschreibt dort auch die Historie der Kuhmilch und ich habe auch viel daraus gelernt, das ist definitiv auch ein lesenswertes Buch und ich möchte daraus jetzt eine Passage zitieren.

“Würden frühere Generationen auf uns schauen, könnten sie meinen, dass wir das Paradies erreicht haben. Berge aus Butter und Magermilchpulver. Wovon einst die Legenden Irlands träumend erzählten, die Milchseen und Kühe, die endlose Milch gaben, Ende der 1980er Jahre war es erreicht. Trotz Abschlachtprämien und Nichtvermarktungsaktionen 1969 und 1971 und einer drastischen Reduktion nicht nur des deutschen, sondern des gesamten europäischen Kuhbestandes, war die Milchmenge in Deutschland wie in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stetig angestiegen. Aus den sechs Gründungsmitgliedern von 1957 waren bis 1983 bereits zehn geworden.

Noch vor Frankreich und England hatte sich Deutschland mit allein 25,2 Millionen Tonnen Milch an die Spitze der europäischen Milcherzeugerländer gestellt. Die gesamte europäische Milchmenge betrug 103 Millionen Tonnen und lag damit 31 Prozent über dem, was auf dem Binnenmarkt überhaupt abgesetzt werden konnte. Schon zu Beginn des europäischen Milchmarktes 1968 gab es zu viel Butter und ab 1973 zu viel Pulver aus dem mit der Butterproduktion verkoppelten Produkt der Magermilch. Zum Höhepunkt der Überproduktion 1987 sollten es knapp 1,2 Millionen Tonnen Butter sein. Weitere Produktionssteigerungen waren politisch längst nicht mehr mit der Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu rechtfertigen, dennoch funktionierte das System für einige.

Entgegen aller Mythen, die EWG, ab 1993 nennt sie sich Europäische Union, bezahlte den Milchbauern keine festen Preise. Das hatte zum Beispiel Deutschland bis 1968 getan. Kernelement der europäischen Milchmarktordnung sind die Richt- und Interventionspreise, zu denen Aufkäufe getätigt werden. Auf der Basis eines gemeinsamen Außenschutzes, Zölle, wird für Milch 3,7% Fett, ein Richtpreis festgelegt. Staatliches Handeln, d.h. Aufkaufen, wird jedoch erst dann ausgelöst, wenn die Großhandelspreise für Butter, Magermilchpulver und italienischen Parmesankäse, d.h. die Erlöse der Molkerei, unter das Limit des Interventionspreises zu rutschen drohen. Dann kann die Molkerei die überschüssige Butter und das Magermilchpulver der staatlich finanzierten Lagerhaltung anbieten und damit die Milch verwerten.

Diese auf der Ebene der Molkerei angesetzte Preisstützung geht davon aus, dass, wenn die Molkerei einen garantierten Preis für Butter und Magermilchpulver bekommt, sie die Gewinne in Form hoher und stabiler Milchauszahlungspreise nach unten an ihre Milchlieferanten weitergibt. In einem gewissen Sinne funktioniert dieses Konstrukt insofern, als es die Milchpreise zwar niedrig, aber dennoch stabil hielt. Formal gesehen war die Überlegung auch richtig, da die Bauern mit ihren Kapitaleinlagen, Eigentümer der Molkereigenossenschaft waren, in Vorständen und Aufsichtsräten saßen. Für eine kurze, wachstumsorientierte Phase der 1970er Jahre stiegen denn auch die Interventionspreise für Butter und Magermilchpulver und mit ihnen die Erzeugerpreise derjenigen Molkereien, die wesentlich für die Intervention produzierten. Nur vor dem Hintergrund der subventionierten Aufkäufe konnte das unbegrenzte Wachstum der Milch funktionieren. Sie musste keinen wirklichen Absatzmarkt finden.“

Andrea Fink-Kessler beschreibt dann weiter, wie denn jetzt diese Überschüsse dann verwertet werden können. Also wohin damit eigentlich? Und ein Teil ist dann tatsächlich eben auch damals schon, das Verwerten bzw. Exportieren dieser Überschüsse in Drittländer, in sogenannte Schwellenländer, was ja auch heute immer noch Probleme bereitet, wenn jetzt unser Magermilchpulver in Afrika landet und dort den Markt kaputt macht. Und das haben wir damals eben schon begonnen. 1970 war so die Zeit 70er, 80er Jahre, in denen wir begonnen haben, das zu exportieren und da Märkte erschlossen haben, die wir dann auch nicht mehr loslassen wollten. Und das gehörte dazu, diese perfide, muss ich ja schon etwas sagen, Strategie zu sagen, wir müssen immer weiter produzieren. Es ist total wichtig für die deutsche Wirtschaft, dass die Milch immer weiter produziert wird und damit wir damit auch weiterhin Gewinne haben und irgendwie Geld übrig bleibt, verkaufen wir das halt jetzt an die ganze Welt, egal wie es dann bei denen aussieht, in deren Wirtschaft.

Und ich möchte jetzt hier noch eine weitere Passage aus dem Buch zitieren: „Eine weltweite Rezession, die Schuldenkrise der dritten Welt und ein steigender Selbstversorgungsgrad der Schwellenländer verringerten ab Mitte der 1980er Jahre die europäischen Absatzmöglichkeiten für Butter und Milchpulver an Drittstaaten. Das Überangebot brachte die Weltmarktpreise zum Fallen und in der Folge stiegen die Butter und Milchpulver Berge und mit ihnen die Ausgaben für die Exportsubventionen. Als diese, nicht nur die der Milch 70% des Agrarhaushaltes zu verschlingen drohten, versuchte die EWG die Reißleine zu ziehen. Bereits 1977 waren die Milchbauern zur Mitverantwortungsabgabe verpflichtet worden und mussten von jedem ermolkenen Liter Milch etwas an die EWG Kasse abgeben. Es folgten weitere Maßnahmen, um den Mengen Herr zurwerden. Abschlachtprämien, Nichtvermarktungsprämien, Vorruhestandsprämien, Sonderverkaufsaktionen für Butter, Weihnachtsbutteraktionen, alles mit wenig Erfolg.

Die Milchmengen derjenigen Kühe, die zum Schlachter gingen, waren schnell durch die zunehmenden Leistungen der verbliebenen Kühe wieder erreicht. Zum 1. April 1984, so beschlossen ist die Agrarminister, wurde eine Mengenbegrenzung für die gesamte europäische Milch eingeführt, die Milchquote. Allerdings mit einem Haken. Die Grenze lag nicht auf der Höhe des europäischen Selbstverbrauchs, sondern 20% darüber. Schließlich wollte keiner die einmal eroberten Absatzmärkte im vorderen Orient in Asien, Afrika und vor allem in Osteuropa aufgeben. Für die Mehrheit der Milcherzeuger hatte diese Milchquote eine fatale Wirkung. Bezogen auf das Basisjahr 1983, bekam jeder Betrieb eine reduzierte Milchmenge zugewiesen. Diese durften nur bei Strafe überschritten werden. Lediglich die staatlich geförderten Wachstumsbetriebe galten als Härtefälle. Ihnen wurden höhere Milchmengen zugewiesen, als sie zuvor ermolken hatten.

Der Strukturwandel beschleunigte sich. Mehr als ein Viertel der Betriebe mit kleinen, weniger als zehn Kühe umfassenden Herden gab bis 1987 auf. Kräftig gewachsen sind die 40 bis über 60 Kühe melkenden Betriebe. Man könnte auch sagen, die Milchquote hat die Umverteilung der Milch hin zu den Betrieben, die sich auf reine Milcherzeugung spezialisiert hatten, beschleunigt. Eine Umverteilung fand auch zwischen den Regionen statt. Begünstigt durch die Intensivfütterung mit Silomais gingen die Milchproduktionen aus den ertragsschwächeren Mittelgebirgsregionen heraus, wurde dort durch Fleischerzeugung über Mutterkuhhaltung ersetzt und hinein auf Ackerbaustandorte. Nach der Agrareform 1992 sollte sich dieser Trend noch verstärken, da nun die Bauern für Silomais Ausgleichszahlungen erhielten, aber keine direkten Zahlungen für Grünlandbewirtschaftung und Milchproduktion.

[...] Wenig öffentlich beachtet wurde, dass das gesamte neue System der Milcherzeugung eine steigende Kostenseite hatte. Der Kapitaldienst an den Banken, die Zukäufe an Kraftfutter, die Kosten für Tierarzt und Besamung sowie Diesel, Maschinen und Gebäudekosten. Ab 1984 kamen die Kosten hinzu, wenn ein Betrieb erweitern wollte und dazu Milchquote zupachten, später zukaufen musste. Nur mit immer mehr Milch konnte das Einkommen erwirtschaftet werden. In immer kürzeren Zyklen und längst nicht mehr nur zur Hofübergabe an die nächste Generation, musste nun investiert, modernisiert, aufgestockt und weiter rationalisiert werden, in der Hoffnung die Kosten zu senken. Die Milcherzeugung wurde immer kapitalhungriger, brauchte schließlich alle Arbeitskraft, alle Aufmerksamkeit und Fläche, wurde zu einem der teuersten Arbeitsplätze, teurer noch als ein Arbeitsplatz im hoch subventionierten Bergbau.

Wer sich Ende der 1980er Jahre für die Milcherzeugung entschieden hatte, ging auf eine Einbahnstraße, aus der es keine Umkehr mehr gab. Denn längst waren die anderen Nutztiere am Hof verschwunden. 1989 erzielten 67% der Milchviehbetriebe Deutschlands, sie melkten weniger als 20 Kühe, ein unterdurchschnittliches Einkommen. Gewinner, vermeldete der Agrarbericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums, waren nur 44.100 Betriebe der verbliebenen 303.000 Milchviehbetriebe. Sie melkten mehr als 30 Kühe.“

Diese Entwicklung hin zu der Einbahnstraße quasi zu den wenigen Betrieben mit vielen Milchkühen und zu der Produktionssteigerung, das ist definitiv etwas, was sich eben in diesen letzten Jahren zwischen, also so ab 1970, richtig dann nochmal abgezeichnet hat. Und dann natürlich auch mit der Milchquote 1984. Die Milchquote wurde 2015 wieder abgeschafft. Seitdem können die Milchbauern wieder so viel Milch produzieren, wie sie wollen, stehen aber dann auch wieder vor dem gleichen Problem, dass sie keinen Absatz dafür finden. Und dieses Problem der Absatzförderung wurde damals eben auch durch die Werbung angegangen.

1970 wurde die CMA gegründet. Das ist die centrale Marketinggesellschaft für die Agrarindustrie. Und diese CMA hat zum Beispiel diesen Slogan „Nur die Milch machts“ in die Welt gebracht, um den Absatz der Milch und der Milchprodukte zu fördern. Sie hat jetzt nicht nur Milch- und Milchprodukte beworben, sondern eben alles, was vom Bauern kommt, „Es ist immer das Beste vom Bauern“ und hat da die verschiedensten Slogans gehabt zu den verschiedenen Produkten. Aber der wohl bekannteste ist tatsächlich „Nur die Milch machts“.

Und die CMA wurde 2009 dann liquidiert. Die gibt es seitdem nicht mehr. Und deswegen gibt es seitdem keine zentrale Milchwerbung mehr vom Bauernverband, sondern nur noch von den einzelnen Herstellern von den Produkten. Die gab es natürlich parallel zu den Werbeaktionen der CMA auch. Nur die CMA wollte gezielt die Landwirtschaft stärken. Die Landwirte mussten da auch eine Abgabe zahlen. Sie wurde aber tatsächlich jetzt unwirksam eingestuft. Aber ihr Ziel war eben die Absatzförderung, da die Milchwirtschaft ja vor dem Problem stand, dass sie einfach viel zu viel Milch produziert hat und viel zu wenig Absatz hatte. Vor allem in Deutschland. Und dann versucht hat in der ganzen Welt diese Milch- und Milchprodukte, das Milchpulver irgendwie loszuwerden.

Und die CMA wollte durch die Werbebotschaften dann nochmal den Gesundheitswert der Milch. „Milch macht stark, Milch macht schön, Milch macht schlank“, einfach diese Werte in der Gesellschaft verankern und hat es ja durchaus auch geschafft, uns einzuflüstern, dass die Milch ein so wertvolles Lebensmittel ist, dass wir ohne sie nicht können.

Und in der nächsten Folge möchte ich dann weitersprechen über die Rolle der Kuhmilch ab dem Mauerfall. Und dann nähern wir uns auch schon dem Ende des historischen Abrisses und werden in den zukünftigen Folgen dann mehr in die Tiefe gehen, um noch einmal genau herauszuarbeiten, welche Werbestrategien denn jetzt dazu geführt haben, dass wir der festen Überzeugung sind, dass wir ohne Milch nicht leben können. Und dass es wirklich Aggressionen hervorruft, wenn ich zu dir sage, du kannst auch ohne Milch leben. Und darum geht es dann in den zukünftigen Folgen und ich freue mich, wenn du dann wieder dabei bist.

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Quellen

Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.

Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel

Webseite

Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)

Weitere Quellen

ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.

Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.

FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom

HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG

SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann

WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag

BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden

Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432

Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo