Folge 14 - Milch, das hochwichtigste Nahrungsmittel
Ein Beitrag
In dieser Folge schaue ich noch einmal auf die sensible Zeit zwischen den Weltkriegen, in der so viel im Wandel war und viele Grundsteine gelegt wurden.
Ich stelle Dir die Bedingungen vor, die Wissenschaftler für die perfekte Kuhmilch forderten und gehe noch einmal detaillierter auf die damaligen Umstände ein.
Transkript
Schön, dass du wieder dabei bist, bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch. Ich bin Stefanie und in der heutigen Folge möchte ich noch einmal auf die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen eingehen.
Während des Ersten Weltkriegs herrschte einer Zwangswirtschaft in Deutschland, die noch bis zum 6. Juni 1924 anhielt. Während dieser Zeit galt ein Bearbeitungszwang. Und anhand des Beispiels Mannheim möchte ich hier einmal darlegen, wie es damals gewesen ist. Und zwar gab es dort eine Milchzentrale als Umschlagort für Milch, die sollte gewährleisten, dass nur einwandfreie Milch in den Handel kam. Die Händler mussten die Rohmilch, die sie vom Erzeuger erhalten hatten, bei der Milchzentrale abliefern und diese händigte ihnen die gleiche Menge dann wieder aus. Für die Händler wurde eine Mindestabsatzmenge von 400 Liter täglich eingeführt. Händler durfte nicht werden, wer einen schlechten Leumund hatte. Es gab also jetzt kein direktes Anmeldeverfahren oder eine Prüfung, sondern es ging wirklich darum, ob man sich etwas zu Schulden hatte kommen lassen oder nicht.
Hierzu auch noch ein paar Zahlen. 1910 hatte Mannheim 194.000 Einwohner und 471 Milchhändler, die 70.000 Liter pro Tag verkauften. Das bedeutet, es sind 150 Liter pro Tag pro Händler. 1926 hatte Mannheim 248.000 Einwohner und nur noch 181 Händler, die 80.000 Liter pro Tag umsetzten. Das bedeutet, es sind 442 Liter pro Tag pro Händler. Das heißt, diese Mindestabsatzmenge von 400 Liter täglich hat dann dazu geführt, dass es weniger Händler gab in Mannheim und dafür aber mehr Liter umgesetzt wurden.
1921 war es so, dass die Milch nur in festen Verkaufsstellen verkauft werden durfte und andere Waren durften nicht oder nur eingeschränkt verkauft werden. Dazu zählten nur Waren, von denen keine Staubentwicklungen und Verschmutzung der Milch zu befürchten war und zugelassen waren Milchkonserven, Molkereierzeugnisse, ausgepackte Eier, Honig und Kunsthonig in Gläsern und Paketen, Fruchtsäfte und Marmeladen in Flaschen oder Gläsern, Obst und Gemüsekonserven in Büchsen oder Gläsern, bestimmte Kindernährmittel, Back- und Puddingpulver, Suppenkonserven und Teigwaren, letztere vier allerdings nur in abgepackten Zustand. Limonaden, Mineralwasser und wegen der damit verbundenen Eislieferung Flaschenbier. Käse musste unter Glasverschluss gehalten werden.
Hausiererhandel war für die Händler verboten, für Erzeuger aber erlaubt. Und das ist jetzt wieder dieser Clinch, klar, für die Händler war es eben verboten und die Erzeuger gingen dann immer noch mit der Milchkanne von Haus zu Haus und dagegen haben sich natürlich dann die Händler gewehrt, wovon ich dir ja auch schon in vorangegangenen Folgen erzählt habe. Es gab sehr strenge Hygienevorschriften für das Milchfachgeschäft, die ich dir auch schon in der Folge über den Milchkaufmann berichtet habe.
Der Bürgermeister von Mannheim Dr. Walli sagte 1926: „Im Interesse unserer Volksgesundheit und Volkswirtschaft ist es dringend geboten, dass die zuständigen Stellen tatkräftig dafür sorgen, dass die Verhältnisse wie sie vor dem Krieg hinsichtlich des für unsere Kinder, Kranken und Greise wichtigsten Nahrungsmittels der Milch bestanden nicht wiederkehren. Man darf sich nicht mit der Tatsache zufrieden geben, dass im allgemeinen wieder genügend Milch vorhanden ist. Es kommt auf die Beschaffenheit dieses hoch wichtigen Nahrungsmittels an. Von größter Wichtigkeit ist weitgehendste Aufklärung der Erzeuger durch die Landräte, die Tierärzte, Landwirtschaftslehrer und landwirtschaftlichen Organisationen über die Eignung der Vierassen, die Beschaffenheit der Ställe, die Stallhaltung, Fütterung, den Melkvorgang, die Behandlung der Milch, vermittelbar nach ihrer Gewinnung und so weiter, so dann eine nachdrückliche Förderung des Molkereiwesens sowie des Leistungsprüfungs- und Tuberkulose-Tilgungsverfahrens.“
Aus diesem Zitat spricht der Wunsch nach besseren Verhältnissen, dass es den Menschen in Deutschland einfach besser gehen soll jetzt nach diesem furchtbaren Krieg. Damals wussten sie ja noch nicht, dass dann noch ein zweiter Weltkrieg folgen würde, der auch noch mal alles zerstören würde. Aber der Wunsch war wirklich da, es sollte allen besser gehen. Und leider waren ja die Verhältnisse damals noch nicht so, dass es wirklich allen besser gehen konnte.
Und in dem Handbuch für Milchkunde von Dr. Sommerfeld, ebenfalls aus dieser Zeit, habe ich folgendes Zitat gefunden: „Die Milch ist nicht nur ein hervorragendes Nahrungsmittel für die breiten Schichten der Bevölkerung in Stadt und Land, eine Waffe gegen den Alkoholmissbrauch, ein Nahrungs- und Stärkungsmittel für Kranke und Genesende, sondern auch dasjenige Mittel, welches bei Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit neben anderen Maßregeln erfolgreich zu wirken im Stande ist.“
Und ebenfalls aus diesem Büchlein stammt ein weiteres Zitat von dem Regierungsdezernat A.D. Petersen aus Berlin von 1925: „Das enge Verflochtensein der wirtschaftlichen Interessen von Hochofen und Rittergut, von der Schmiedewerkstatt und dem kleinsten Bauerngut, gibt der deutschen Wirtschaft als Gesamtheit den echten, tiefinnersten Zusammenhalt. Es ist notwendig, diese Tatsache des Aufeinanderangewiesenseins viel bewusster mit dem Geist der organisatorischen Idee zu durchsetzen, damit die drei wichtigsten Faktoren unserer Ernährungswirtschaft, die landwirtschaftliche Tierzucht, die Milchwirtschaft und das Molkereiwesen sich gegenseitig befruchten zum eigenen Wohle und zum Wohle des ganzen deutschen Volkes.“
Hier wird wieder auf dieses Zweigespann die Volkswirtschaft und die Volksgesundheit angespielt, das wirklich sich durch die ganze Zeit zieht und immer wieder herangezogen wird. Vordergründig die Volksgesundheit, hintergründig die Volkswirtschaft. Und hier ist es aber tatsächlich so, dass nochmal die Volkswirtschaft mehr im Vordergrund steht, dass es da wirklich klar gesagt wird, dass es wichtig ist für die Wirtschaft, dass es eine funktionierende Landwirtschaft gibt. Die Kuhmilch wird hier wirklich als Allheilmittel angesehen für alles, sowohl eben, wie gerade zitiert, den Alkoholmissbrauch als auch, dass dann alle gestärkt werden und es allen gut geht, als auch, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.
Und ein letztes Zitat noch aus diesem Milchhandbuch ist Folgendes: „Man wird immer mehr die Einrichtung von Milchhöfen mit ihren eigenen Kontrollen der Milch bis zum Stall des Landwirtes anstreben müssen, um das für die Ernährung von Jung und Alt allerwichtigste Nahrungsmittel, die Milch, in gesundem Zustande und in reichlichen Maße unserem Volk geben zu können. Wir brauchen im deutschen Volk einen gesunden und gut ernährten Körper, in dem ein gesunder Geist sich entwickeln kann.“
Wenn man jetzt bedenkt, dass danach der Zweite Weltkrieg folgt, ist es so ein bisschen ironisch, denn irgendwie hat sich ja kein gesunder Geist entwickelt. Aber das dürfen wir natürlich jetzt nicht der Kuhmilch in die Schuhe schieben. Ich möchte diese Ausführung nochmal ergänzen durch Zitate aus einem Handbuch der organischen Warenkunde, nämlich Grafes Handbuch der organischen Warenkunde. Volume 5, Halb Band 1, das ich in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg gefunden habe. Und zwar ist es auch aus dieser Zeit von 1928 und da geht es in diesem Band, Halb Band, um Rohstoffe und Waren aus dem Tierreich, Ernährung und Nahrungsmittel, Knochen und Leim, Häute und Lederpelze und Rauwaren. Du kannst dir diesen Band kostenlos runterladen. Du findest den Link unter dem Transkript. Es ist sehr interessant, das wirklich alles zu lesen und es auch aus dieser Perspektive zu lesen, von 1928. Das ist jetzt 90 Jahre her. Ich denke, dass dieses Zitat tatsächlich nochmal ein bisschen Einblick darin geben wird, warum denn Milch als das Non plus Ultra angesehen wird, also Kuhmilch und warum es als so wichtig angesehen wird. Und dieses Handbuch der Warenkunde ist ja tatsächlich etwas Neutrales und keine Werbehandschrift der Milchlobby von damals.
Und daraus möchte ich jetzt einmal zitieren. Und zwar ist es ein Kurt Stockard, der das geschrieben hat: „Milch ist das normale Ausscheidungsprodukt der Milchdrüsen weiblicher Säugetiere nach dem Geburtsakt, als Nahrung für ihre Säuglinge bestimmt. Unter Milch schlechtweg versteht man im Handel Kuhmilch und zwar Vollmilch, das gesamte Ergebnis einer vollständigen Ausmelkung. Milch ist eines unserer wertvollsten Nahrungsmitteln. Sie ist sehr leicht verdaulich, sie nimmt in der Ernährung der Kinder, alter Leute und der Kranken den ersten Platz ein. Aber auch für den gesunden Durchschnittsmenschen spielt sie in der Ernährung eine große Rolle. Es finden sich in der Milch alle für das Leben notwendigen Stoffe. Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Salze und auch die lebenswichtigen Vitamine. Nur an Eisenverbindungen ist die Milcharm. Daher soll man Kindern bald grüne Gemüse als Beikost verabfolgen.
Es erfordert aber eine geregelte Milchwirtschaft, große Aufmerksamkeit und vor allem peinlichste Sauberkeit. Die Verwendung der Milch an der Gewinnungsstelle ist einfach, doch treten Schwierigkeiten auf, sobald es sich darum handelt, dieses wichtige Nahrungsmittel auf größere Entfernung zu versenden oder etwa in der heißen Zeit längere Zeit genussfrisch zu erhalten. Bei dem großen Gehalt an Eiweiß, Zucker, Salzen stellt die Milch einen vorzüglichen Nährboden für allerhand Klein-Lebewesen dar und wird durch diese leicht verdorben, ja gefährlich. Die verschiedensten Mikroben, Krankheitserreger, die solche giftige Stoffwechselprodukte liefern, aber auch ganz indifferente Bakterien, gedeihen und vermehren sich rasch in der Milch. Durch sie können Schädigungen beim Genuss, aber auch unliebsame Veränderungen der Milch hervorgerufen werden. Stets ist, auf diesen Umstand bei der Gewinnung sowie beim Versenden der Milch bedacht zu nehmen.
[...] Um gute und reichliche Milch zu erhalten, ist es notwendig, die Milchtiere gut zu pflegen, reichlich zu nähern und gesund zu erhalten. Sehr wesentlich ist für die Gesundheit der Milchtiere Aufenthalt im Freien. Stets nur in oft schlecht gelüfteten Stellen gehaltenes Vieh erkrankt leicht an Tuberkulose. Milchreiches Vieh muss durch eine planmäßige Leistungszucht herangezogen werden.
[Hier lasse ich wieder einen Teil aus, sondern geht es weiter damit, was denn jetzt wichtig ist, um wirklich die perfekte Kuhmilch zu erhalten.] Und zwar, gutes und billiges Futter in genügender Menge. Die Milchkühe sollen vom zeitigen Frühjahr auf der Weide reichlich ohne Bei- und Kraftfutter ernährt werden können. Das Futter soll nach Leistung verabfolgt werden, sodass eine Kuh, die mehr Milch gibt, auch reichlicher gefüttert wird als die anderen.
Zweckmäßige Haltung und Pflege der Milchtiere. Der Stall muss zweckmäßig eingerichtet und auch gut gelüftet sein. Auch im Winter sollen die Tiere im freien Bewegung machen können und womöglich den ganzen Sommer sich auf der Weide aufhalten.
Richtiges Melken geschultes Personal. Durch richtiges Melken kann der Ertrag gehoben werden, während bei ungeschickten Melken der Ertrag zurückgeht, die Euter verdorben werden. Das Personal ist gut durchzubilden, Fachschulen soll selbst sauber und ordentlich sein und die Tiere gut behandeln. [...] Das Melken selbst soll rasch und kräftig erfolgen, dabei so, dass die Kuh ein gewisses Wohlbehagen empfindet. Während des Melkens soll Ruhe herrschen, auf keinen Fall dürfen Tiere erschreckt werden. Die Kühe halten in diesem Fall die Milch zurück, aufziehen der Milch.“
Und ich möchte dir in den nächsten Folgen unter anderem dann zeigen, wie die Werbung dieses Versprechen „Milch ist eines unserer wertvollsten Nahrungsmittel“, dann ad absurdum geführt hat und was für Methoden gewählt wurden und für was denn Milch alles die Heilung war. Und ich freue mich, wenn du dann wieder mit dabei bist.
Links zur Folge
Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432
Quellen
Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.
Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel
Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)
Weitere Quellen
ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.
Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.
FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom
HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG
SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann
WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag
BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432
Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo