Folge 2 - Die Milchkuh im Mittelalter
Ein Beitrag
In dieser Folge
- starten wir ins Mittelalter,
- erkläre ich Dir, welche Rolle Kuhmilch im Mittelalter spielte,
- zeige ich Dir, wie der historische Kontext die Milchwirtschaft beeinflusste.
Die moderne Milchwirtschaft hat einen langen Weg hinter sich. Viele Bedingungen mussten erst in jahrhundertelanger Entwicklung geschaffen werden.
Die Kuh oder das Rind wurde damals eher als Fleisch- und Düngelieferant, vor allem aber als Lasttier genutzt. Weder Platz noch Futtermittel waren ausreichend vorhanden, um an eine Milchwirtschaft überhaupt denken zu können.
Und doch hält sich der Gedanke hartnäckig, dass Kuhmilch schon immer zu unseren Hauptnahrungsquellen gehört hat...
Transkript
Schön, dass du wieder dabei bist, bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch. Ich bin Stefanie und in dieser Folge sprechen wir über das Mittelalter.
Wie du aus den vorherigen Folgen weißt, lasse ich jetzt erstmal alles, was vor dem Mittelalter passiert ist aus und komme darauf später zurück. Um meine Ausgangsthese zu klären, wie aus Kuhmilch ein Grundnahrungsmittel werden konnte, brauchen wir auch gar nicht so weit zurückgehen in die Vergangenheit. Und doch ist die Geschichte der Kuhmilch extrem spannend, weswegen ich in späteren Folgen auf jeden Fall auch noch einmal weiter zurückgehen will als nur bis ins Mittelalter.
In dieser Folge starten wir nun also mit dem Mittelalter und im Mittelalter waren Milch und Milchprodukte wie Butter und Käse den vornehmen Familien vorbehalten. Das gemeine Volk lebte fast rein pflanzlich mit Ausnahme der Molke als Getränk und Molke ist ja ein Abfallprodukt, das entsteht, wenn Käse hergestellt wird oder eben teilweise auch Joghurt, Quark oder Butter. Das ist das, was übrig bleibt und das konnte dann entweder an die Schweine verfüttert werden oder an diejenigen, die nicht so viel hatten und die sich nicht leisten konnten, Butter oder Käse zu kaufen. Molke galt dabei auch als Heilmittel für allerlei Krankheiten.
Ich habe dazu auch ein Zitat von dem Kosmographen Sebastian Münster, der 1543 geschrieben hat: „Ihre Speis ist Schwarz Roggenbrot, Haferbrei oder gekochte Erbsen und Linsen, Wasser und Molken fast ihr einzig Trank.“
Wie man an dem Zitat erkennen kann, unterstreicht es noch einmal ganz gut, wovon sich die Menschen im Mittelalter ernährt haben, wenn sie denn nicht wirklich einer höheren Schicht zugehörig waren. Für die meisten Menschen zu dieser Zeit dreht sich der Alltag um harte Arbeit und das nackte Überleben. Adel und Großbürgertum bildeten eine reiche Minderheit, die andere Ernährungsvorlieben hatten als der Rest der Bevölkerung. Butter und Käse waren Luxusgüter, die keinesfalls in großer Menge vorhanden waren.
Das hatte ich auch schon in der vorangegangenen Folge einmal erklärt, warum das so war, eben weil man so viel Milch für die Herstellung von Butter und Käse benötigt hat und diese Milch einfach noch nicht in diesen Mengen vorhanden war, weil die Kühe einfach so viel Milch gegeben haben, wie sie brauchten, um ihr Kälbchen zu ernähren. Und dann haben sie vielleicht, wenn man sie dann öfter gemolken hat, ein bisschen mehr gegeben. Aber noch lange nicht so viel wie heute, dass es im Schnitt 22 Liter pro Tag sind, waren es früher eben im Schnitt so 8 bis 10 Liter pro Tag und das wie gesagt nicht rund ums Jahr, denn die Kuh muss ja ein Kälbchen gebären, um Milch zu geben, ganz normal wie bei jedem anderen Säugetier auch. Und da war es früher auch so, dass die Kuh nicht gemolken wurde, wenn sie schwanger war. Und eine Kuh ist genauso lange schwanger, wie wir Menschen, 9 Monate. Und in dieser Zeit wurde sie dann nicht gemolken. Und das heißt diese Effizienz, wie wir sie heute haben, dass Kühe eigentlich fast das ganze Jahr über gemolken werden und dann vielleicht zwei Monate trocken stehen, das hatte man früher noch nicht.
Die Milch war in dieser Zeit und auch noch bis zur Kaiserzeit ein Nahrungsmittel, dem auch kein großes Interesse galt. Milch konnte nur trinken, wer eine Kuh besaß oder in einem Haushalt mit einer solchen lebte. Hans J. Teuteberg und Günther Wiegelmann schreiben in ihrem Buch „Unsere tägliche Kost“, aus dem auch das erste Zitat stammte:
„Insgesamt wurde die häusliche Milchwirtschaft als eine ausschließliche Sache der Hausfrau und somit als eine ökonomisch untergeordnete Angelegenheit betrachtet. Wegen der außerordentlich geringen Haltbarkeit musste sie [die Milch] größtenteils an Ort und Stelle verarbeitet werden, wozu aber keine besondere Kunstfertigkeit gehörte. Ein Handwerk und ein weitreichender Handel konnten sich deshalb lange Jahrhunderte daraus nicht entwickeln. Die tagtäglich geübten und von der Mutter an die Tochter von Generation zu Generation weitergegebenen Anleitung zur Milchverwertung, hielt man kaum einer literarischen Aufzeichnung für würdig.“
Milchgewinnung war demnach Jahrhunderte lang ein untergeordnetes Gewerbe der Frau für den Eigenbedarf und keineswegs das Milliardengeschäft, das es heute ist. Es war vor allem auch ein weibliches Geschäft. Erst als es darum ging, das Geschäft massentauglich zu machen, übernahmen Männer das Gewerbe. Die meisten Bauern waren in Dorfgemeinden eingebunden und hatten nicht die Fläche, um größere Milchviehherden zu halten. Außerdem musste ein Teil der Tiere zum Winter hin regelmäßig geschlachtet werden, weil nicht ausreichend Futter zur Verfügung stand. Es gibt Berichte, auch später noch, nicht nur im Mittelalter, sondern auch sogar noch Anfang des 20. Jahrhunderts, in denen Milchkühe, die den Winter im Stall verbracht haben, zu schwach waren, um selbstständig auf die Wiese hinauszugehen im Frühjahr und deswegen regelrecht hinausgerollt werden mussten, damit sie dann an die frische Luft kamen und dort wieder fressen konnten, weil einfach nicht genug Futter da war, um sie zu ernähren. Die Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, gab es noch lange nicht.
Dazu habe ich noch ein Zitat, ebenfalls aus „Unserer tägliche Kost“: „Das Rindvieh spielte in den landwirtschaftlich weniger entwickelten Gegenden Deutschlands, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eindeutig die Mehrheit darstellten, als Düngelieferant sowie als Fleischlieferant und vor allem aber als Lasttier eine Rolle. Der Milchertrag war viel zu gering, um als eigentliche Einkommensquelle betrachtet zu werden. Die Milchwirtschaft galt, wie die hauswirtschaftliche Literatur deutlich erkennen lässt, als ein Teil der engeren Hauswirtschaft und nicht als eigentliche agrarische Beschäftigung.“
An diesem Zitat erkennt man auch noch einmal ganz deutlich, dass es einfach nicht sein kann, dass wir schon immer in diesen Mengen Milch konsumiert haben, weil die Voraussetzungen dafür gar nicht geschaffen waren. Auf Basis der liberalen Agrarreformen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert können zwei Faktoren als Grundlage für die spätere Milchwirtschaft gesehen werden. Der Landwirt war nicht länger untertan und konnte frei entscheiden, wie er arbeiten wollte und Neuerungen in der Landwirtschaft ermöglichten, höhere Erträge und damit auch die Haltung von mehr Tieren.
Wir müssen also bedenken, dass vor diesen Agrarreformen der Landwirt / der Bauer Untertan war und gar nicht frei entscheiden konnte, was er denn jetzt mit seinem Land und seinen Tieren anfangen kann. Er konnte also nicht sagen, ich spezialisiere mich jetzt auf Milchwirtschaft und dann wird alles so laufen, wie ich mir das vorstelle, sondern er war angestellt in dem Sinne, er war nicht selbstständig und er musste das tun, was ihm sein Lehnherr sagte und erst durch diese Agrarreformen war es dann ihm möglich, dass er frei entscheiden konnte.
Dazu kam, dass Mitte des 19. Jahrhunderts die Getreidepreise nahezu stagnierten, während die Milch- und Fleischpreise aufgrund der Verstädterung kräftig stiegen. Diese Umstände führten dann zu der modernen Milchwirtschaft, wie sie ab der Kaiserzeit betrieben wurde. Dazu habe ich hier noch ein Zitat aus dem Buch „Unsere tägliche Kost“: „Mit steigender Viehhaltung zeigte sich, dass die bisher als nebensächlich betrachtete Milcherzeugung dem Landwirt ganz neue Vorteile bescherte. Die Nachfrage war überhaupt nicht, die Produktion bei den guten Milchviehrassen nur wenig saisonbedingt und stellte eine ständige zur Verstädterung parallel steigende Einkommensquelle dar, was gerade in den ertragsschwachen Frühjahrsmonaten für finanzielle Liquidität sorgte. In vielen Gegenden wurde der Milchbauer oder die Milchfrau zur typischen Erscheinung, die dem Konsumenten die Milch ohne Zwischenhandel an der Haustür verkaufte. Die regelmäßigen und steigenden Geldeinnahmen ermöglichten den Höfen eine bessere Wirtschaftsplanung.“
Es war also eine sehr lange Entwicklung, die dahin geführt hat, dass es eine Milchwirtschaft wie heute geben konnte. Und es war dann auch noch nicht sofort im Kaiserreich soweit, dass es so viel Milch und Milchprodukte gab, wie wir es heute in den Kühlregalen sehen, sondern das war auch noch eine sehr lange Entwicklung, denn jetzt musste ja erst noch die technische Entwicklung folgen. Das werde ich allerdings in der nächsten Folge behandeln, denn ich möchte jetzt hier Folge für Folge erst mal die verschiedenen Zeitepochen abhandeln.
Was mir besonders wichtig ist und was mir halt klar geworden ist, als ich mich mit der Geschichte und eben auch der Sozialgeschichte unseres Landes beschäftigt habe, ist, dass wir die Entwicklung wirklich in diesem Kontext sehen müssen. Uns noch einmal vergegenwärtigen, dass wir zunächst in einer Agrargesellschaft gelebt haben, wo es normal war, dass es wenige Höfe weit verteilt gab, dann Burgen und Schlösser und ja, also alles, was man sich vom Mittelalter eben so vorstellt, hin zu der Verstädterung, der Industrialisierung, in dessen Zuge sich das landwirtschaftliche Bild geändert hat und auf einmal ganz viele Menschen auf engen Raum zusammenkam, wo keine Landwirtschaft in dem Sinne möglich war und wo dann neue Möglichkeiten der Versorgung erst einmal überlegt werden mussten. In dem Sinne wuchs die Weltbevölkerung oder die Bevölkerung in Deutschland, wir bleiben jetzt eigentlich eher im deutschsprachigen Raum, auch an.
Es war auch so, dass vor der Industrialisierung oder am Anfang der Industrialisierung vor 200 Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung bei 30 Jahren lag. Ich wäre schon tot. Und heute liegt die durchschnittliche Lebenserwartung weltweit bei 66 Jahren. Da sieht man was in den letzten 200 Jahren, was wir da für einen Sprung gemacht haben auch. Und es gibt so viele Faktoren, die diese Entwicklung beeinflussen, dass es wirklich sehr wichtig ist, sich das zu vergegenwärtigen.
Im Mittelalter gab es auch Milchzauber. Es gab in vorindustrieller Zeit den Glauben, dass man durch bestimmte Praktiken, die Milch wegzaubern könne. Ein Beispiel dafür war der Hexenhammer, mit dem Milch von einer bestimmten Kuh quasi per Fernübertragung gemolken werden konnte. Und diese Arten von Milchdiebstahl sollten Erklärungen bieten, wenn die Milch nicht konstant verfügbar war oder die Qualität der Butter nicht dem Standard entsprach.
Und auch das Wort Schmetterling und im Englischen das Wort Butterfly, werden auf die Vorstellung, dass in Falter verwandelte Hexen die Milch, die Molke oder den Rahm wegnehmen, zurückgeführt. Darauf deuten auch die Namen Milchdieb und Molkenstehler für einige Schmetterlingsarten hin.
Und Schmetten ist ein aus dem slavischen übernommener Ausdruck für den Milchrahm. Das Wort Schmetten in Schmetterling. Das finde ich total spannend, dass es diese ganzen Ideen und diesen Glauben, den es damals gab, dass der sich bis heute quasi gehalten hat, in diesen Bezeichnungen für diese Tiere.
Ich habe noch einen Zitat und zwar wieder aus „Unserer tägliche Kost“: „Der landwirtschaftliche Schriftsteller J. von Schreibers meinte schon 1847 prophetisch, die Milchwirtschaft stelle im Grunde nur ein Geschäftszweig dar, der kühn mit jedem anderen in der Industrie an die Seite treten dürfe. Deutlicher konnte die Abkehrung vom Prinzip der alten selbstversorgenden Hauswirtschaft und die Hinwendung zu einer kapitalistisch orientierten Milchindustrie kaum ausgedrückt werden.“
Das ist so der Ausblick auf die nächste Folge, denn dann starten wir mit der Kaiserzeit und dann tatsächlich mit der Entwicklung der Milchwirtschaft. Und ich freue mich, wenn du dann wieder mit dabei bist und mich auf meiner Reise durch die Vergangenheit begleitest.
Quellen
Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.
Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel
Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)
Weitere Quellen
ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.
Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.
FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom
HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG
SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann
WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag
BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432
Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo