Folge 22 - Bio - zwischen Wunsch und Wirklichkeit

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Folge 22 - Bio - zwischen Wunsch und Wirklichkeit

In dieser Folge

  • spreche ich von unserer Wunschvorstellung von "bio" im Bereich der Milchwirtschaft,
  • erzähle ich Dir von der Herodesprämie und
  • berichte Dir von einem Filmabend, der interessant endete... :-)

Wir wünschen uns alle ein reines Gewissen und "Bio" scheint in vielerlei Hinsicht die Lösung dafür zu sein. Leider neigen wir dazu uns um "Bio" eine Wunschvorstellung zu bauen, die mit der Realität nur wenig zu tun hat.

So löst auch "bio" leider nicht den Grundkonflikt der männlichen Kälber in der Milchwirtschaft.

Transkript

Schön, dass du wieder dabei bist bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch. Ich bin Stefanie und ich möchte dir in der heutigen Folge ein bisschen etwas über Bio erzählen.

Ich hatte dazu schon einen Blogartikel geschrieben, was bedeutet eigentlich Bio, „Bio zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ und zwar habe ich mich da bezogen auf einen Filmabend im Rahmen der Wandelwoche 2016. In der Podcastfolge lese ich den Blogartikel vor, Du kannst ihn hier durchlesen: https://von-herzen-vegan.de/blogartikel/bio-zwischen-wunsch-und-wirklichkeit

Ergänzend zu dem Blogartikel möchte ich Dir die Herodesprämie vorstellen. Der Begriff stammt von Tierschützern, offiziell hieß die Prämie „die Verarbeitungsprämie“.

Und zwar wurde zwischen 1996 und dem Jahr 2000, es ist noch nicht lange her, wurde Milchbauern eine Prämie gezahlt, wenn sie ihr männliches Kalb, das weniger als 20 Tage alt war, schlachten ließen. Diese Prämie belief sich so auf zwischen 240 und 288 D-Mark. Und das war aber keine Praxis, die in Deutschland erlaubt war, die war nur in Frankreich unter anderem erlaubt, in Portugal, Italien und ein Land habe ich jetzt vergessen, ich glaube in Irland.

Und das führte aber dann dazu, dass in dieser Zeit bis 1999, da wurde nämlich dann ein neues Tierschutzgesetz verabschiedet, also von 1996 bis 1999, ganz viele Bauern ihre männlichen Kälber, die dann etwa 2-3 Tage alt waren, nach Frankreich gekarrt haben, um diese Prämie zu kassieren. Ich behaupte, das haben sie nicht aus bösen Willen gemacht, sondern weil es halt generell problematisch ist, männliche Kälber zu verkaufen, denn damals lag der Verkaufspreis für männliche Kälber zwischen 10 und 50 D-Mark und dadurch, dass sie es dann über die Grenze gekarrt haben, haben sie dafür 240 bis 288 D-Mark erhalten, was natürlich wirtschaftlicher ist, als die Tiere aufzuziehen, dann noch zu investieren und sie dann zu verkaufen für viel weniger Geld.

Und das ist wirklich noch etwas, was ja bis heute bleibt. In Deutschland ist es nicht erlaubt, die männlichen Kälber nach der Geburt einfach zu erschießen oder verhungern zu lassen. Aber in Großbritannien ist es erlaubt, in Irland ist es erlaubt, in Kanada ist es erlaubt, also in den verschiedensten Ländern rund um uns herum ist es erlaubt und Praxis, denn ich habe das ja schon öfter erwähnt, ein männliches Kalb ist einfach nichts wert. 1999 wurde eine Tierschutzrichtlinie erlassen, dass Kälber erst transportiert werden dürfen, wenn ihr Nabel abgeheilt ist und das ist erst so ab dem zehnten Lebenstag der Fall und es ging dann darum, dass sie ungefähr 14 Tage alt sein mussten um transportiert zu werden. Um diese Prämie einzustreichen, durften die Kälber höchstens 20 Tage alt sein, war immer noch machbar.

Aber diese EU-Prämie, also diese Herodes-Prämie, die wurde eben nur bis ins Jahr 2000 gezahlt und dann nicht mehr. Sie beruhte darauf, dass aufgrund der BSE-Seuche die Rinderpreise in den Keller gegangen waren und dann der Versuch gestartet wurde, den Bauern so unter die Arme zu greifen. Aber wie gesagt auch ein Bio-Bauer muss wirtschaftlich denken und der kann es sich nicht leisten, die Kälber bei den Mutterkühen zu lassen und erst recht nicht männliche Kälber aufzuziehen, die in seinem Geschäft eigentlich nur Abfall sind.

Und da ist noch ein Zitat von Hans von Hagenau aus diesem Artikel „Die Haltung machts“ in der Schrot und Korn: „Im Öko-Bereich gibt es keinen Markt für sie. Zwei Wochen nach der Geburt gehen sie in den konventionellen Markt, wo sie gemästet und geschlachtet werden.“ Und diese zwei Wochen sind eben deswegen, wie ich gerade sagte, aufgrund dieser Tierschutzrichtlinie, dass es ungefähr zwei Wochen dauert, bis der Nabel abgeheilt ist und dann dürfen sie eben erst verkauft werden, sonst würden sie wahrscheinlich schon viel früher verkauft werden.

Es ist also auch kein, oh, ich kümmere mich so gut um meine Kälbchen und ich mag es erst nach 14 Tagen gehen lassen, sondern wirklich auch was, wo die Bauern rechtlich dran gebunden sind. Und deshalb finden sich leider auch in einem zertifizierten Biobetrieb winzige Kälberiglus in den zarte Kälber nach ihren Müttern rufen und mit Milchpulver statt von ihren Müttern aufgezogen werden, weil ihre Milch ja für uns Menschen bestimmt ist. Und wir so daran gewöhnt wurden, diese Milch in allen Formen zu konsumieren, dass es uns schwer fällt, etwas Neues zu probieren. Was ich in Bezug auf diesen Artikel, „Die Haltung machts“ in der Schrot und Korn wirklich sehr interessant fand, waren die Reaktionen der Leser und Leserinnen und ich habe dann in der Folgeausgabe der Schrot und Korn mir die Leserkommentare, die abgedruckt worden waren, rausfotografiert und möchte dir die einmal kurz vorlesen:

“In der Schrot und Korn stand, dass die männlichen Kälber aus der Milchviehhaltung in die konventionelle Fleischproduktion gegeben werden. Dies würde praktisch bedeuten, dass selbst der Kauf von Demetermilch nicht frei von Tierquälerei ist. Ich bin sehr enttäuscht, seit Jahren spare ich es mir von meinem geringen Einkommen ab, Demetermilch zu kaufen, in dem Glauben, dass ich so die Massentierhaltung nicht unterstütze.“

Und ein weiterer Kommentar an das Team des Hofes Bollheimen, das ist der Hof, der in dem Artikel beschrieben wurde: „Unfassbar, dass ihre Stiere in den konventionellen Mastbetrieb gehen. Damit ist das, was sie tun, für mich keine Biolandwirtschaft. Das ist keine artgerechte Haltung, weil sie ihre Tiere der Tierquälerei nicht-artgerechter Haltung und Fütterung ausliefern. Sie stehen in der Verantwortung dafür, wie alle Tiere weiterleben, im konventionellen Betrieb vegetieren, die auf ihrem Hof produziert wurden und da gehören ihre Stiere mit dazu. Diese Tiere sind Teil ihres Tuns und mit welchem Recht bezeichnen sie sich als artgerecht gehalten, wenn sie ihre Tiere an konventionelle Betriebe verkaufen und die Art der Haltung billigend in Kauf nehmen und das bei Demeter - ich bin entsetzt.“

Dazu gibt es tatsächlich auch eine Antwort von dem Hof Bollheimen: „In der Rinderhaltung wissen wir natürlich um die Problematik und jetzt zu sagen, dass wir die männlichen Kälber ausschließlich an einen uns bekannten konventionellen Kollegen in der Eifel abgeben, ist in ihrer Augen vermutlich nur ein Kompromiss. Das ist es für uns auch, aber es ist auch ein Schritt. Ein landwirtschaftlicher Betrieb wie Hof Bollheimen ist ein Entwicklungsprojekt mit einem sehr hohen Ideal, an dem wir ständig arbeiten. In den vergangenen Jahren ist uns immer mehr aufgefallen, dass wir vermehrt darüber sprechen, was wir nicht richtig machen, wo wir Kompromisse eingehen aus wirtschaftlichen oder rechtlichen, oft auch gesellschaftlichen Gründen. Diese Entwicklung unter Akzeptanz von Kompromissen können wir für uns nur verantworten, wenn wir im gleichen Atemzug sagen können, aber wir arbeiten daran. Wir wollen an unseren Schritten gemessen werden. Diese können wir allerdings nur gehen, wenn unsere Kunden jeden Schritt mit unterstützen. Ich möchte sie herzlich einladen, mit uns gemeinsam diese Problematik anzuschauen. Dennoch wir stellen uns diesen Fragen. Dazu gehört die Lebensfrage der männlichen Küken, die Entwicklung samenfester Gemüsesorten oder die Hofsortenentwicklungen beim Getreide. Und wir denken bereits mit einem neuen Stallbau über neue Perspektiven für unser Bullenkälber nach. Wir schaffen das gemeinsam Schritt für Schritt.“

Ich möchte dazu auch noch mal ein, zwei Zahlen einwerfen, die ich von der Seite des Milchindustrie verbannt genommen habe. Und zwar die Anlieferung von Biomilch, also prozentual der Anteil der Biomilch an der Gesamtanlieferung der Milch, war im Jahr 2000 lag es bei 0,96 Prozent. Hat ein gigantisches Wachstum hingelegt zum Jahr 2016, also 16 Jahre später, 2,54 Prozent. Also wenn wir jetzt mal in uns gehen und überlegen, der prozentuale Anteil an der Gesamtanlieferung der Milch, da liegt die Biomilch bei 2,54 Prozent. Also wenn wir das mal mit der Realität abgleichen, dann scheint es so, als würde dann doch nicht so viel Biomilch getrunken und verarbeitet werden, wie wir es uns glauben machen.

Das liegt natürlich daran, dass in den meisten verarbeiteten Produkten keine Biomilch enthalten ist, so dass, solltest du Biomilch kaufen als Milch im Tetrapak oder im Glas, das dieser geringe Anteil ist. Und dagegen stehen alle die Produkte, wo Milch, in irgendeiner Art und Weise konventionelle Milch, verarbeitet wird. Und das macht diesen hohen Anteil der konventionellen Milch aus. Steht aber wie gesagt auch total konträr zu dem, dass mir so viele Menschen sagen, dass sie ja nur Biomilch kaufen.

Und damit möchte ich dich jetzt auch wieder in den Alltag entlassen und ich freue mich, wenn du beim nächsten Mal wieder mit dabei bist.

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Quellen

Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.

Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel

Webseite

Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)

Weitere Quellen

ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.

Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.

FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom

HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG

SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann

WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag

BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden

Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432

Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo