Folge 25 - Was wäre, wenn es ethisch vertretbare Kuhmilch gäbe?
Ein Beitrag
In dieser Folge spreche ich über ein Gedankenexperiment, das der "Was wäre wenn Du auf einer einsamen Insel wärst?"-Frage ähnelt.
Ich bin in der Vergangenheit schon oft auf die eine oder andere Art gefragt worden, ob ich Kuhmilch trinken würde, wenn es der Milchkuh besonders gut gehen und für die Kälbchen gesorgt werden würde.
Meine Antwort ist immer die gleiche: Nein.
Warum das so ist und sich auch nie ändern wird, erzähle ich Dir in dieser Folge.
Transkript
Schön, dass du wieder dabei bist, bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch. Ich bin Stefanie und du hast dich vielleicht gefragt, warum es so ewig lange keine neue Folgen gegeben hat, das hat unter anderem daran gelegen, dass ich einfach keine Zeit habe, neue Folgen aufzunehmen.
Für mich war es wichtig, meine Frage, wie konnte aus Kuhmilch ein Grundnahrungsmittel werden zu beantworten. Das habe ich mit den vorangegangen Folgen gemacht, sodass ich von der Vergangenheit bis in die Gegenwart alles abgebildet habe. Und so ist der Podcast, sind die Folgen eigentlich in sich abgeschlossen. Ich hätte es mir gewünscht, jetzt noch einmal in die Zukunft zu blicken, aber mir fehlt einfach die Zeit dazu, da noch weiter zu machen.
Warum gibt es dann heute eine neue Folge? Ich bin in den letzten Jahren immer mal wieder in Gedankenexperimente verwickelt worden, in denen ich gefragt wurde, was wäre wenn und wenn es so und so aussehe, würdest du dann Milch trinken? Und ich habe das Gefühl, dass da eigentlich dieser Wunsch zugrunde liegt, dass es einen Ausweg gibt, also dass es eine Möglichkeit gibt, Milch zu trinken mit gutem Gewissen oder Käse zu essen mit gutem Gewissen. Und da ich ethisch motiviert bin, kann ich dir vorab sagen, das gibt es nicht. Es gibt nicht die Möglichkeit, Kuhmilch zu trinken mit gutem Gewissen und auch nicht Kuhmilchkäse oder generell tierlichen Käse zu essen mit gutem Gewissen. Wenn du ethisch motiviert bist, wie ich, dann verbieten es dir einfach, deine Werte tierliche Produkte zu verzehren. Und ich möchte diese Folge tatsächlich diesem Gedankenexperiment widmen und dem Wunsch meistens der Vegetarier und Vegetarierinnen doch nicht auf ihren geliebten Käse verzichten zu müssen.
Und dazu möchte ich dir eine kleine Geschichte erzählen, die mir gestern passiert ist, als ich meine vorletzte „Hamburg vegan erkunden“- Radtour gefahren bin. Wir saßen da in der Pause, es war eine kleine Gruppe, es waren einige Vegetarier:innen dabei und einige Menschen, die von sich gesagt haben, dass sie eigentlich ganz wenig Fleisch nur essen und wenn dann bio.
Und einer der Vegetarier hat mich während der Pause dann gefragt, ob ich, wenn es einen Hof gäbe, auf dem die Milchkühe besonders gut behandelt würden und man nur ganz wenig Milch von den Kühen nehmen würde, dann die Milch trinken würde. Und ich habe ihm geantwortet, dass für jede Milchkuh, die Milch gibt, ein Kälbchen erst mal geboren werden muss, weil das ja tatsächlich die Grundlage ist, wie das bei uns Säugetieren funktioniert, bei uns Menschen genauso wie bei den Kühen. Eine Frau, egal ob Kuh oder menschlich, gibt nur Milch, wenn sie Mutter wird. Und ich habe ihm gesagt, dass dann ein Kälbchen zur Welt kommen muss und was passiert dann mit dem Kälbchen? Und er sagte, dass das Kälbchen bei der Mutter gelassen würde und dann würde man eben so ein bisschen Überschuss nehmen davon und das Kälbchen dürfte aber die ganze Zeit bei der Mutter bleiben und so viel trinken wie es wollte und den Rest würde man dann oder ein bisschen würde man dann nehmen, um dann das für sich selbst zu nutzen.
Und ich habe ihm dann gesagt, dass im Schnitt eine Milchkuh so 20 Liter pro Tag gibt und ein Kälbchen schon so 8 bis 10 Liter pro Tag braucht, um zu wachsen. Das heißt, es blieben dann nochmal etwa 10 Liter übrig, aber das ist auch nur bei einer Milchkuh der Fall, die regelmäßig gemolken und auch dementsprechend gefüttert wird. Also die Natur hat es ja gar nicht vorgesehen, dass eine Kuh oder auch generell ein Säugetier mehr Milch produziert, als die Nachkommen, als die Kinder benötigen. Und das heißt, es wäre weiterhin ein Eingriff in die Natur und wir würden auch weiterhin dieses Tier nutzen. Und das ist für mich auch etwas, was sich mir verbietet. Ich möchte keine Tiere nutzen, es gibt für mich auch keine Notwendigkeit, der Kuh die Milch zu nehmen und daraus irgendetwas anderes herzustellen oder sie so zu trinken.
Jetzt war bei dem Gedanken-Experiment die Frage nach dem Käse. Um ein Kilo Käse herzustellen, braucht man im Durchschnitt 10 Liter Milch. Und da müsste man natürlich dann schauen, wie würde das gemacht werden. Wenn man jetzt tatsächlich sagt, okay, von der Kuh nimmt man dann vielleicht nicht die 10 Liter pro Tag, sondern man nimmt 2-3 Liter pro Tag, dann müsste man die sammeln, haltbar machen und irgendwann dann zur Käse machen, sodass man vielleicht nach einer Woche genug Milch zusammen hat, um ausreichend Käse herzustellen oder vielleicht nach zwei Wochen, dann muss der Käse ja auch erst mal hergestellt werden. Selbst wenn man dann irgendwie in ein Rhythmus kommen würde, dass dann der Käse irgendwann hergestellt würde, wären es ja wirklich so kleine Mengen, dass man ab und zu Käse essen könnte, klar.
Aber die Frage ist ja, wie kann man dieses Gedanken-Experiment in die Wirklichkeit übertragen? Also für wen wäre dann der Käse und wenn das jetzt alle machen wollen, wie können dann alle tatsächlich davon profitieren, dass es kleine Höfe gibt, auf denen es kleine homöopathische Mengen an Milch gibt, die für den Menschen übrig bleiben und aus denen dann, sagen wir alle vier Wochen, ein Kilo Käse entsteht? Oder würde es dann eben nur einer besonderen Elite zugänglich sein, die dann diesen Käse essen darf und die anderen müssen darauf verzichten? Also wir sind dann ja wieder bei der Masse und das ist ja genau das, wo die Milchwirtschaft sich befindet, dass sie auf Masse produziert und dass es darum geht, dass wir sagen, okay, wir wollen so viel Käse wie möglich und deswegen müssen die Milchkühe eben auch so viel Milch wie möglich geben. Das ist eben nicht wirtschaftlich.
Und die Kernfrage war ja, würdest du dann die Milch trinken, wenn es so wäre in unserem theoretischen Gedanken-Experiment und egal, wie gut es den Milchkühen geht und egal, wie gut es den Kälbchen geht, ich würde die Milch nicht trinken, die übrig bleibt und ich würde sie auch nicht sammeln und daraus Käse oder Butter machen. Um ein Kilo Butter herzustellen, braucht man 20 bis 22 Liter Milch, das dauert einfach und das ist auch das, was ich in dieser Historie ja dargestellt habe, was einfach den Menschen früher nicht möglich war, weswegen Butter und Käse einfach Luxusgüter waren und wir würden sie, wenn wir jetzt in diesem Gedankenexperiment blieben, auch wieder zu Luxusgütern machen, denn es wäre ja dann wieder nur ganz, ganz wenig Milch vorhanden und wir brauchen ganz viel Milch, um daraus irgendwelche Produkte herzustellen.
Es ging ja jetzt um den Käse, das heißt, wenn wir da bei diesen 10 Litern bleiben und sagen, okay, wir nehmen der Kuh jeden Tag nur ganz wenig weg, dann wären es eben wirklich kleine Mengen Käse und egal, wie, wenn wir jetzt sagen, okay, es geht der Kuh total gut und wir melken sie ab und zu und daraus machen wir uns dann unseren Käse, die Milchleistung wird nach einiger Zeit nachlassen.
Das ist ganz natürlich, jede Mutter kann das bei sich beobachten, egal wie lange sie ihr Kind stillt, irgendwann lässt die Leistung nach und sei es nach einem Jahr, sei es nach zwei, drei, vier oder fünf Jahren, es ist nicht so, dass die Milchleistung stetig anhält, nur weil die Kuh ein Kalb geboren hat und dann müsste sie ja wieder einen Kalb gebären und wieder ein Kalb gebären und irgendwann kann sie nicht mehr und die Frage ist dann, was passiert überhaupt mit den Kälbchen? Werden diese Kälbchen dann immer wieder benutzt, so dass sie dann, wenn es weibliche Kälbchen werden, Milchkühe werden, was ist dann mit den männlichen Kälbchen?
Das ist ja genau das Problem, was wir momentan eben auch haben, dass in der Milch- und in der Eierindustrie die männlichen Nachkommen einfach über sind. Die braucht niemand in dieser Industrie und deswegen werden sie halt schnell beseitigt. Wenn es dafür dann noch Geld gibt, dass man sie beseitigt, dann wird das noch angenommen, aber meistens gibt es ja nicht genügend Geld dafür und das heißt, wenn wir dieses Gedankenexperiment weiterspinnen, dann gibt es immer wieder neue männliche Kälbchen, die einfach da sind und die haben ein Existenzrecht und was soll dann aus ihnen gemacht werden? Werden sie dann genutzt, weil wir vielleicht, das haben wir jetzt während unseres Gesprächs nicht weitergesponnen, weil sie vielleicht benutzt werden, um ein Acker zu pflügen?
Das wäre für mich dann auch wieder ein Nutzen von Tieren, was sich mir dann wiederum ethisch verbietet und das andere wäre, okay, sie stehen dann einfach auf der Weide oder im Stall oder einfach so, sie sind halt einfach da und je nachdem wie viel Milch und wie viele Kühe auf so einem Hof dann zusammenkommen, dementsprechend werden ja auch so und so viele Kälber in die Welt gesetzt und da wir nicht beeinflussen können, ob es weibliche oder männliche Kälber werden, können dann einfach immer mehr männliche Kälber auf die Welt kommen und was passiert dann mit denen? Also wie geht es dann weiter?
Für mich wäre es keine Lösung zu sagen, naja sie sind halt dann da und dann schlachten wir sie und essen sie, dann sind wir wieder in einem gleichen System und das ist eben alles, was an diesem Stück Käse dran hängt, also was es auch bedeutet, es bedeutet nicht nur, dass eine Kuh Milch gibt und man ihr diese Milch nimmt, die eigentlich für ihr Kind gedacht ist, sondern es gehört eben auch dazu, dass männliche Nachfahren irgendwie auf dieser Welt existieren müssten, aber aus den wirtschaftlichen Gründen nicht existieren können und das sinnlos Leben in die Welt gesetzt wird, dass wir dann auf irgendeiner Art und Weise beenden.
Für mich sind diese Gedankenexperimente ein Herumdoktorn in einem kranken System. Aus meiner Sicht gibt es keine Möglichkeit, innerhalb des Systems zu handeln, das ganze System ist krank und das ganze System ist ethisch nicht vertretbar, wir müssen die Lösungen außerhalb des Systems suchen und außerhalb des Systems heißt auch dann Käse loszulassen, so leid es mir tut.
Ich war 20 Jahre Vegetarierin, ich habe 30 Jahre meines Lebens Käse gegessen, ganz viel Käse, so viel Käse, ganz ganz viel und es war für mich sehr schwer auf Käse zu verzichten und daher verstehe ich es natürlich, dass wir Vegetarierinnen nach einem Ausweg suchen, um nicht auf Käse verzichten zu müssen und uns dann in solche Gedankenexperimente flüchten. Wir müssen da leider der Wahrheit in die Augen blicken und wenn wir aus ethischen Gründen Vegetarierinnen geworden sind, dann können wir keine Milch trinken, dann können wir keinen Käse essen und es verbietet sich einfach sämtliche tierliche Produkte zu konsumieren.
Es gibt einfach keine Möglichkeit innerhalb des Systems zu existieren. Wir müssen raus aus dem System und uns eine neue Welt schaffen, ein neues System, raus aus diesem mehr, mehr, mehr und weg von dem, dass wir aufgrund eines kurzen Gaumenkitzels Leben opfern. Und wir opfern ja nicht nur die Leben der Tiere, sondern auch durch den Export in der Milchwirtschaft Menschenleben auf anderen Kontinenten, so wie zum Beispiel Milchpulver nach Afrika exportiert wird und dort die Märkte zerstört.
Es hängt wirklich so viel dran an diesem kleinen Stück Käse und ich weiß, wie schwer es ist, darauf zu verzichten, aber ich kann dir sagen, es ist machbar und es wird sich eine neue geschmackliche Welt für dich eröffnen und auch wenn du vielleicht keine Lust hast, die Ersatzprodukte zu probieren und da zu schauen, ob du etwas findest, was dir über die Übergangsphase hinweg hilft, dann wirst du nach einiger Zeit, wenn du einfach auf den Käse verzichtest, einen Weg finden, dass du auch ohne Käse leben kannst, denn es ist möglich, es ist wirklich möglich. Und dann brauchen wir uns auch nicht an solche Gedankenexperimente zu klammern und uns zu überlegen, was wäre wenn.
Wenn wir den Kühlen gerecht werden wollten, dann würde keine Milch für uns übrig bleiben, denn die Natur hat es so vorgesehen, dass die Kühe nur so viel Milch geben und alle Säugetiere wirklich nur so viel Milch geben, wie ihre Nachkommen es brauchen. All das, was wir uns in unseren Gedankenexperimenten überlegen, ist nicht artgerecht und es ist nur ein Hilfskonstrukt, was uns wiederum hilft, unsere Lust auf Käse zu rechtfertigen und ich möchte dich bitten, wenn du in dieser Situation bist, dass du denkst, ich kann aber einfach nicht auf Käse verzichten und du lebst aus ethischen Gründen vegetarisch, es noch einmal zu überdenken und es einfach mal auszuprobieren.
Einen Monat, nimm dir einen Monat und es ist kein Käse, versuch einfach mal und dann schau mal, was es alles noch gibt. Es gibt so eine große Welt an pflanzlichen Lebensmitteln und es gibt jetzt mittlerweile so viele Rezepte und so viel, was du probieren kannst. Es gibt so viel zu entdecken, du brauchst diese Gedankenexperimente nicht. Lass sie einfach gehen, lass sie einfach los.
Sieh der Wahrheit ins Gesicht, es gibt keine ethisch vertretbare Möglichkeit Käse zu essen und mit diesen Worten möchte ich diese Folge auch beenden und ich freue mich, dass du dieses mal dabei warst und vielleicht wird es noch die eine oder andere Milchgeschichte geben. Ich schau, wie ich die Zeit dazu finde. Hör auch gerne bei meinen anderen Podcasts rein und dann wünsche ich dir für die Zukunft nur das Beste.
P.S.: Beim Transkribieren der Folge ist mir noch ein weiterer Punkt aufgefallen: der Platzverbrauch für die Tiere. All die Kälbchen und Milchkühe, die ich besonders gut behandeln möchte, damit ich kein schlechtes Gewissen habe, wenn ich weiterhin Käse esse oder Kuhmilch trinke, brauchen viel Platz zum Leben. Und dieser Platz ist gar nicht vorhanden. Die Tiere weiterhin in einen engen Stall zu sperren würde dem Anspruch, sie gut zu behandeln, nicht entsprechen und so führt auch dieser Weg in eine gedankliche Sackgasse.
Quellen
Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.
Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel
Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)
Weitere Quellen
ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.
Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.
FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom
HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG
SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann
WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag
BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432
Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo