Folge 26 - Die Milchpropaganda der Initiative Milch - Teil 1

Ein Beitrag

Folge 26 - Die Milchpropaganda der Initiative Milch

Mit dem Ende der CMA 2009 gab es keine einheitliche Milchwerbung mehr und der Spuk war eigentlich vorbei.

Doch als vermehrt Kritik zum Tierwohl und zur Nachhaltigkeit von Milch laut wurden, schlossen sich 2021 Milchbäuer·innen und Molkereien zur „Initiative Milch“ zusammen und ließen die Milchpropagandamaschine wieder anlaufen.

Nun ganz zeitgemäß mit Podcast und auf TikTok, Instagram und YouTube. Gründer·innen und Gesellschafter·innen sind der Deutsche Milchindustrie-Verband, der Deutsche Bauernverband und der Deutsche Raiffeisenverband.

Ihr Slogan lautet „Ohne Milch? Ohne mich!“ Die Argumente sind altbekannt. Es geht in erster Linie um die Gesundheit und Genuss. Neu ist der Versuch Milch als klimafreundliches Produkt aus der Region zu positionieren.

In dieser Folge stelle ich die Milchpropaganda der "Initiative Milch" allgemein vor. In der nächsten Folge beleuchte ich die Nachhaltigkeitsargumente.

Links zur Folge

Magazin "Tierbefreiung"
https://www.tierbefreiung.de/magazin/

Webseite der "Initiative Milch"
https://www.initiative-milch.de

Der Milchkonsum ist seit Jahren rückläufig
https://www.milch-nrw.de/fileadmin/redaktion/pdf/Mitteilungen_und_Marktberichte/Produktion/BRD/BRD_Pro-Kopf-Verbrauch_von_ausgew._Milchprodukten.pdf

Strategie 2030 der deutschen Milchwirtschaft
https://www.topagrar.com/rind/news/branchenkommunikation-milch-geht-an-den-start-12400642.html

Interview mit Agrar heute
https://www.agrarheute.com/management/agribusiness/initiative-milch-will-hype-um-pflanzendrinks-fuer-milch-nutzen-582302

Interview mit Milch-Sommelière Heike Zeller
https://www.initiative-milch.de/articles/von-der-k%C3%A4se-sommeli%C3%A8re-zum-milch-profi/

SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann

WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag

Transkript

Schön, dass du wieder dabei bist bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch. Ich bin Stefanie und als ich im April 2019 die letzte Folge dieses Podcasts veröffentlicht habe, dachte ich eigentlich, es sei alles zu diesem Thema gesagt. Die Historie ändert sich ja schließlich nicht.

Dann bin ich dieses Jahr vom Tierbefreiungsmagazin angefragt worden, ob ich über meine Forschung einen Artikel für das Magazin schreiben möchte. Und da habe ich natürlich ja gesagt, musste mich aber erst mal wieder in das Thema einarbeiten, denn schließlich ist es mehr als fünf Jahre her, dass ich da wirklich tief drin war. Die Folge von vor vier Jahren war ja noch mal ein Extra zum Thema Ethik.

Und als ich dann recherchiert habe, habe ich mich wieder an die "Initiative Milch" erinnert. Und eigentlich dachte ich Na, die "Initiative Milch", die macht ja auch nichts anderes als in der Historie auch schon immer wieder Aktionen und Initiativen, die versucht haben, Kuhmilch zu bewerben.

Aber als ich mich dann für den Artikel mit der "Initiative Milch" genauer beschäftigt habe, ist so viel Material angefallen, dass ich gedacht habe okay, daraus mache ich jetzt noch mal eine Podcastfolge, um die "Initiative Milch" in die Historie der Milchwerbung auch einzuordnen. Und tatsächlich ist es so viel geworden, dass ich jetzt diese Folge in zwei Teile aufteilen werde. In dieser Folge stelle ich die "Initiative Milch" allgemein vor.

Und in der anderen Folge geht es dann um das Nachhaltigkeitsargument. Denn das ist zwar schnell gesagt von der "Initiative Milch" in kurzen Sätzen, aber das dann einzuordnen und zu widerlegen braucht wieder etwas mehr Zeit und Raum.

Dann fangen wir mal direkt an. Was ist die "Initiative Milch" und warum gibt es sie überhaupt? Wenn du die vorangegangenen Folgen gehört hast, dann weißt du, dass es bis 2009 mit der CMA, der Centralen Marketinggesellschaft der Deutschen Agrarwirtschaft mbH, eine einheitliche Kommunikation für die Milchwirtschaft gegeben hat. Die CMA hat nicht nur Werbung für die Milchwirtschaft gemacht, sondern auch für alle anderen landwirtschaftlichen Produkte. Aber es war eben eine einheitliche Werbung, die nichts mit verschiedenen Marken zu tun hatte. Nachdem die CMA 2009 liquidiert worden ist, gab es dann nur noch Markenwerbung und keine einheitliche Branchenkommunikation mehr.

2021 hat sich das dann mit der "Initiative Milch" geändert. Und zwar wurde die Initiative am 1. Juni 2021 gestartet und die ganze Aktion ist für vier Jahre ausgelegt. Die Initiative ist ein Zusammenschluss aus Milchbäuer·innen und Molkereien. Gründer·innen und Gesellschafter·innen sind der Deutsche Milch Industrieverband, der Deutsche Bauernverband und der Deutsche Raiffeisenverband. Ihr Slogan lautet „Ohne Milch? Ohne mich!“

Die Finanzierung erfolgt aus der Milchbranche durch Milcherzeuger·innen und Molkereien gemeinsam. Die Molkereien finanzieren die Initiative mit 0,15 € pro Tonne Milch, die in Deutschland erzeugt und verarbeitet wird. Die Initiative ist aus der Strategie 2030 der deutschen Milchwirtschaft entstanden. Das gemeinsame Ziel lautet, die gesellschaftliche Zustimmung zur Milchproduktion, Verarbeitung und Produkten in Deutschland langfristig zu erhalten und zu stärken.

Die Zielgruppe sind Menschen zwischen 14 und 35 Jahren bzw. Familien mit kleinen Kindern.

Um die Marketingstrategie der "Initiative Milch" noch mal zu verdeutlichen, zitiere ich hier einen Auszug aus einem Interview mit der Geschäftsführerin der "Initiative Milch", Kerstin Wriedt, in der Zeitschrift Agrarheute: „Der Fokus liegt auf dem digitalen Raum, wir wollen Themen einbringen, Konversationen starten. […] Wir werden keine Warenkunde betreiben. Unser Ansatz ist dialogorientiert. Wir wollen dem Verbraucher erklären, wie moderne Milcherzeugung funktioniert, wie gut es um das Tierwohl bestellt ist und welche hervorragende Qualität sie mit deutschen Molkereiprodukten konsumieren. […] Unsere Arbeit als Initiative Milch wird auf zwei Säulen stehen: Erstens Begeisterung für die Milch in all ihren Formen wecken und zweitens zu erklären, wie sich die Milchviehhaltung verändert und wohin sich die Branche entwickeln will.“

Wenn wir uns die Webseite und die Art und Weise der Werbung der "Initiative Milch" anschauen, dann spiegelt das auch genau das wieder, was Kerstin Wriedt angekündigt hat und was auch generell das Ziel war.

Die "Initiative Milch" ist vor allem auf TikTok und Instagram unterwegs. Sie hat zwar auch ein YouTube Channel, aber der ist relativ wenig bespielt und hat nur ganz wenig Abonnent·innen. Und sie betreibt seit 2022 den Podcast „Let's Talk Milch“. Ergänzt wird diese Digitalkampagne dann auch noch mit Plakatkampagnen und auch generell größeren Kampagnen, wie jetzt zum Beispiel zum Tag der Milch 2023 mit Plakaten in Berlin, Hamburg, München, Frankfurt und Düsseldorf. Und dann wird das noch unterstützt durch PR Maßnahmen wie Bewegtbild-Reportagen, Radiokooperation und Fach- und Publikumspressearbeit. Das ist immer so punktuell zu bestimmten Anlässen, aber der Schwerpunkt liegt eben im Digitalen. Soweit erstmal zu den Fakten was die "Initiative Milch" ist und wie sie wirbt.

Dann zu der Frage: Warum gibt es denn die "Initiative Milch" überhaupt?

Im Grunde geht es hier um die Vermarktung eines Produkts. Dieses Produkt soll einfach verkauft werden. Die Nachfrage ist aber gesunken in letzter Zeit und es gibt immer mehr Kritik an dem Produkt, da eine ganze Branche von den Verkäufen dieses Produkts abhängt muss jetzt diese Kritik demontiert werden, um die Umsätze wieder zu steigern. Das ist eigentlich der Grund, warum es die "Initiative Milch" gibt. Wirtschaftliche Aspekte.

Um das noch mal ein bisschen mit Inhalt zu füttern, möchte ich Milch-Sommelière Heike Zeller zitieren, die in einem Interview auf der Webseite der "Initiative Milch" folgendes sagt: „Und trotzdem ist ein gewisser Druck in der Branche zu spüren. Die Kritik, dass Milch ungesund und klimaschädlich sei, auch die Tierwohl-Diskussion – das geht den Menschen in der Branche an die Nieren. Ich war schon auf sehr vielen Milchhöfen, und weiß, wie es dort zugeht und wie gut es den Tieren geht. Und ja, es gibt schwarze Schafe, aber es wird immer so dargestellt, als ob es allen Kühen schlecht geht. Das habe ich ganz anders erlebt. Die Landwirt:innen kümmern sich liebevoll und arbeiten sich die Finger wund für die Tiere. Und trotzdem hört man immer nur ‚Aber die armen Kälber…‘. Das macht etwas mit den Bäuerinnen und Bauern.“

Und aus diesem Bedrängungsgefühl, diesem Gefühl, dass es einem an die Nieren geht, ist dann die "Initiative Milch" entstanden, um die Kuhmilch wieder in ein besseres Licht zu rücken und diese ganze Kritik zu demontieren.

Ich werde da im Folgenden noch mal detaillierter drauf eingehen, möchte vorher aber noch einmal einen Blick in die Historie werfen. Denn die ganze Milchwirtschaft ist ja nur aus wirtschaftlichen Gründen entstanden. Wenn du den gesamten Milchgeschichten Podcast gehört hast oder meinen Artikel im Tierbefreiungsmagazin gelesen hast, dann weißt du, dass es bis Mitte des 19. Jahrhunderts gar keine Milchwirtschaft in Deutschland gab und dass diese Milchwirtschaft, die wir heute kennen, aus wirtschaftlichen Zwängen entstanden ist, da Mitte des 19. Jahrhunderts die billigen australischen Woll- und amerikanischen Getreideimporte immer mehr auf den deutschen Markt zu drücken begannen und entsprechende Preisstürze verursachten.

Das war der Auslöser dafür zu schauen: Hm, es gibt noch keine Milchwirtschaft, da können wir investieren, da kann man noch Geld herauspressen. Und dann kam später noch die Volksgesundheit dazu als Motiv. Aber letztlich sind es immer wirtschaftliche Aspekte gewesen, die die Milchwirtschaft motiviert haben.

Und auch bei der "Initiative Milch" ist es nicht anders. Es geht hier ganz schlicht und simpel gesagt um ein Produkt, dessen Nachfrage gesunken ist und das in der Kritik steht und wo eben eine ganze Branche dranhängt, die nicht nachgeben möchte, die dieses Produkt nicht aufgeben möchte und weswegen jetzt versucht wird, das Produkt wieder den Kund·innen schmackhaft zu machen.

Und wie die "Initiative Milch" das genau macht, das schauen wir uns jetzt mal an und zwar hangeln wir uns ein bisschen an der Webseite entlang, was da so steht und folgen dann dort den Argumenten. Der erste Punkt ist tatsächlich „Verantwortung - nachhaltige Milchwirtschaft“. Und weil dieser Punkt in der Demontage sehr viel Raum und Zeit einnimmt, bespreche ich den in der nächsten Folge.

Das heißt, wir springen direkt zum Zweiten Punkt „Ernährung - Alleskönner Milch“. Da bin ich ja gleich über „Alleskönner Milch“ gestolpert. Ist es nicht eigentlich „die Milch“? Dann müsste es doch „Alleskönnerin Milch“ heißen. Aber okay, wir lassen das mal so stehen.

Und ich möchte vorab noch mal sagen, ich werde in dieser Folge und auch in der nächsten Folge nicht über gesundheitliche Aspekte der Kuhmilch sprechen. Die sind weiterhin umstritten. Manche Menschen sagen, Kuhmilch ist gesund. Manche Menschen sagen Kuhmilch ist ungesund. Darum geht es hier nicht. Also welche Nährstoffe die Kuhmilch enthält und ob die jetzt gut für uns sind oder nicht, das werde ich hier nicht diskutieren. Mir geht es hier um die Nachhaltigkeitsaspekte, um die ethischen Aspekte und um die Werbung. Also das heißt, die gesundheitlichen Aspekte werde ich hier nicht diskutieren.

Das heißt, es geht jetzt hier bei „Ernährung - Alleskönner Milch“ auch wirklich nur darum, wie tritt die "Initiative Milch" auf, was sagt sie da genau? Und da bleibt die "Initiative Milch" auch der ganzen vorangegangenen Milchwerbung in den letzten 150 Jahren treu. Es geht hier vor allem um Nährstoffe, darum, dass Kuhmilch halt so wertvoll und gesund ist und was das alles für Nährstoffe enthält. Und hier wird dann gleich auch geschrieben „Warum sollten wir Milch trinken? Eine wichtige Frage mit einer einfachen Antwort Milch ist einfach gut.“

Und das haben wir schon früher gehört. 1988 ließ schon die CMA singen: „Milch gibt dem Körper was er braucht. So bleibt er fit und das weißt Du auch. Denn nur die Milch macht’s.“

Und nicht nur die Inhalte sind ähnlich, auch die Rhetorik ist sehr ähnlich. Die Art und Weise, wie über die Milch gesprochen wird. Hier auf der Webseite der "Initiative Milch" wird geschrieben „Denn sie schmeckt nicht nur wunderbar, sie ist auch äußerst nahrhaft.“ 1957 sagte ein netter Arzt in einer Milchwerbung auch schon „Milch ist gesund, nahrhaft und bekommt in jeder Form.“

Und immer wieder hat mich der Text auf der "Initiative Milch" Webseite auch an „Milch - Wunder der Schöpfung“, ein Buch von 1956 erinnert. Dazu hatte ich auch eine Podcastfolge hier gemacht. Die kennst du dann schon, wenn du alle Folgen gehört hast. Falls nicht, dann hör dir das mal an, da lese ich das Buch komplett vor.

Aber um das mal zu vergleichen: Auf der „Initiative Milch“ Webseite steht zum Beispiel: "Gleichzeitig wollen wir die Wertschätzung und das Vertrauen in eines der wertvollsten und nahrhaftesten Lebensmittel festigen und die Bevölkerung wieder neu für das „Weiße Wunder” Milch begeistern."

Und in „Milch - Wunder der Schöpfung“ steht im Vorwort zum Beispiel: „Seit Urzeiten gehört die Milch neben Getreide und Fleisch zur täglichen Kost des Menschen. Seit Urzeiten fließt der nicht abreißende Lebensstrom Milch. Als ein Wunder der Schöpfung war und ist die Milch mit der Stunde der Geburt ganz einfach da, als das natürliche, vollkommene und ausgeglichenste aller Nahrungsmittel. Wissenschaft und Praxis haben aus dem Wunder Milch das Volksnahrungsmittel Milch werden lassen. Speise und Trank zugleich ist die Milch die Königin aller Nahrungsmittel. Als Nahrung und Labsal dient die Milch der Kreatur ein Leben lang, ist als Geschenk Gottes in Menschenhände gelegt.“

Und besonders entzückt war ich ja, als ich auf der Webseite der "Initiative Milch" die Überschrift gefunden habe „Landwirt·innen als Volksversorger·innen“. Denn wenn du alle vorangegangenen Podcasts gehört oder den Artikel gelesen hast, weißt du, es ging immer um Volksgesundheit und Volkswirtschaft. Und jetzt sind die Landwirt·innen hier wieder die Volksversorger·innen. Es ist wirklich eine sehr ähnliche Rhetorik, wie sie die vergangenen 150 Jahre in der Milchwerbung immer wieder benutzt wurde.

Die "Initiative Milch" ist also, so gesehen, eine würdige Nachfolgerin des Milchkaufmanns und der Werbung in den 50er und 60er Jahre, aber natürlich auch der späteren Jahre, die dann durch die CMA geprägt war.

Das sehen wir auch, wenn wir uns mal die Werbekanäle angucken. Auf Instagram und Tiktok finden wir vor allem Rezepte. Im Podcast geht es vor allem um Ernährung und auch um Nachhaltigkeit. Warum auch um Nachhaltigkeit? Das erfährst du dann in der nächsten Folge auf jeden Fall. Wie gesagt, weil Nachhaltigkeit ein größeres Thema ist, gehe ich da noch mal detaillierter drauf ein.

Aber hier ist es wirklich wieder Ernährung und vor allem Geschmack. Das steht im Vordergrund. Und Geschmack stand auch schon die letzten 150 Jahre immer im Vordergrund. „Ach, es schmeckt doch so gut. Es ist gesund. Es ist wichtig für meinen Körper und es ist einfach nicht wegzudenken. Wir brauchen Kuhmilch, um zu überleben.“ Das ist so der Tenor, der immer und immer wieder uns mitgegeben wird. Um es mit den Worten des netten Arztes aus der Fernsehwerbung von 1957 zu sagen: „Für Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden, heißt mein Rezept für Ihre ganze Familie: Milch, täglich Milch!“

Dabei behauptet die "Initiative Milch" auf Ihrer Seite auf Ihrer Webseite unter dem Punkt Produktvielfalt auch, dass es zum Beispiel Lasagne, Tsatsiki, Ayram oder Kuchen und Eis ohne Milch in ihrer schmackhaften Form gar nicht geben würde. Wenn wir mal davon absehen, dass Geschmack subjektiv ist, bin ich mir doch sicher, dass ich all das auch schon rein pflanzlich gegessen habe und das super geschmeckt hat. Also von daher ist das jetzt wieder so ein Argument, was man ganz leicht widerlegen kann.

Die "Initiative Milch" stilisiert die Kuhmilch dann auch zu einem sehr hochwertigen Produkte, in dem sie schreibt, dass die natürliche Textur und die geschmacksgebenden Inhaltsstoffe von Milch und Milchprodukten so vielfältig sind, dass dafür sogar Milchsommeliers ausgebildet werden und dass Milch, Käse, Quark und Co mit unserer Esskultur verwoben seien und Teil regionaler Identität.

Da dürfen wir uns dann wieder vor Augen führen, dass es die Milchwirtschaft und damit eben auch die Kuhmilch in ihrer heutigen Form und Menge bis vor 150 Jahren noch gar nicht gegeben hat. Vor 150 Jahren fing das erst alles an, ganz langsam. Und deswegen konnte Milch gar nicht in unserer Esskultur so weit verwoben sein. Butter und Käse sowieso nicht, weil das beides sehr wertvoll war. Und Kuhmilch war damals ein Nebenprodukt, etwas, was so angefallen ist nebenher noch, aber es konnte daraus keine Kultur entstehen, die wirklich schützenswert wäre.

Um das zu unterstreichen, möchte ich noch ein Zitat aus dem Buch „Unsere tägliche Kost“ einfügen: „Insgesamt wurde die häusliche Milchwirtschaft als eine ausschließliche Sache der Hausfrau und somit als eine ökonomisch untergeordnete Angelegenheit betrachtet. [...] Wegen der außerordentlich geringen Haltbarkeit musste sie größtenteils an Ort und Stelle verarbeitet werden, wozu aber keine besondere Kunstfertigkeit gehörte. Ein Handwerk und ein weitreichender Handel konnten sich deshalb lange Jahrhunderte daraus nicht entwickeln. Die tagtäglich geübten und von der Mutter an die Tochter von Generation zu Generation weitergegebenen Anleitungen zur Milchverwertung hielt man kaum einer literarischen Aufzeichnung für würdig.“

Wenn die "Initiative Milch" auf ihrer Seite also schreibt, dass Milch, Käse, Quark und Co in unserer Esskultur verwoben seien und Teil regionaler Identität, dann kann das nur eine Esskultur sein, die so in den letzten 70 Jahren entstanden ist, nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn vorher war Kuhmilch in dem Maße überhaupt nicht vorhanden, dass daraus jetzt eine Esskultur entstehen könnte. Es handelt sich daher um wenige Generationen, die schon die Möglichkeit hatten, daraus eine Esskultur zu entwickeln. Wenn wir das überhaupt als Esskultur bezeichnen können - wann ist etwas eine Esskultur? - und nicht vielleicht doch als Gewohnheit.

Und selbst wenn. Da kommen wir dann auch noch mal zu dem Punkt der Nachhaltigkeit. Selbst wenn: wir leben im Moment in Zeiten, wo wir unsere Gewohnheiten verändern müssen, wenn wir unsere Lebensgrundlage hier auf dem Planeten behalten wollen. Und da ist das Argument „Na ja, wir haben das ja schon immer so gemacht oder es schmeckt halt so gut“ nicht wirklich zielführend.

Die Argumente um die Kritik, Milch sei ungesund, zu widerlegen, sind also altbekannt. Und auch die Art und Weise, das zu tun, hat sich nicht wirklich geändert. Natürlich so ein bisschen an die Gegenwart angepasst durch Social Media, Podcasts usw, aber die Werbemethoden sind eigentlich gleich geblieben.

In dem Podcast gibt es auch eine Rubrik, wo der Moderator des Podcasts Höfe besucht, also Milchhöfe und dort mithilft, wo Molkereien besucht werden. Und genau das ist auch alles schon in der Nachkriegszeit passiert und wurde dort vom Milchkaufmann als die Werbemethode schlechthin bezeichnet, um die Zielgruppe von der Notwendigkeit der Kuhmilch zu überzeugen. Also da gibt es nichts Neues.

Was neu ist, ist wie gesagt das Nachhaltigkeitsargument, aber auch, dass es Kritik am Tierwohl gibt. Das war damals noch nicht so und deswegen gucken wir jetzt mal auf den Punkt „Produktion - Mensch und Tier für die Milch“.

Und hier wird ganz deutlich, warum es die "Initiative Milch" gibt. Denn auf der Webseite steht „Die Milch ist somit ein starker Wirtschaftsfaktor in Deutschland und ernährt viele Bauernfamilien.“ Merkwürdigerweise wird dort nicht gegendert, während woanders, nämlich bei Landwirt·innen und Volksversorger·innen gegendert wird. Es ist ein großes Mischmasch, aber das nur nebenbei.

Also es geht hier wirklich um diese Menschen, die abhängig sind davon, dass das Produkt Kuhmilch weiterhin gewinnbringend verkauft werden kann. Und das ist ja auch soweit legitim, den eigenen Lebensunterhalt irgendwie zu sichern. Nur sich dabei an ein Produkt zu hängen, das ethisch nicht vertretbar ist und schädlich fürs Klima, sollte noch einmal grundlegend überdacht werden.

Denn es handelt sich ja hierbei nicht um ein lebensnotwendiges Produkt, wie zum Beispiel Luft zum Atmen oder Wasser zum Trinken, was wir als Menschen zum Überleben bräuchten, sondern es handelt sich um die Muttermilch eines anderen Säugetiers. Und es wäre schon sehr merkwürdig, wenn wir als einziges Säugetier auf der ganzen Welt, auf dem ganzen Planeten genetisch darauf angewiesen wären, dass wir die Muttermilch eines anderen Säugetiers zum Überleben bräuchten.

Mal von diesen ganzen laktose-intoleranten Menschen auf dem Planeten abgesehen, die überhaupt gar keine Kuhmilch vertragen können und auch ohne wunderbar zurechtkommen. Und allein in Deutschland von den mehr als 1,6 Millionen Veganer·innen, die täglich beweisen, dass ein Leben ohne Kuhmilch möglich ist und das auch, ohne ins Krankenhaus zu müssen oder frühzeitig an Mangelerscheinungen zu sterben.

Diese Folge und auch der ganze Podcast soll kein Landwirt·innen-Bashing sein. Im Gegenteil, es wäre einfach nur toll, wenn diese 53.000 Familienbetriebe, die hier auf der Webseite genannt werden, ihr Herzblut und ihre Leidenschaft in ein Produkt stecken würden, das ethisch vertretbar ist und nicht dem Klima schadet.

Und was meine ich jetzt genau mit „nicht ethisch vertretbar“? Es wird doch ganz viel gemacht. Und die Landwirt·innen, die hier auf der Seite porträtiert werden, die kümmern sich doch liebevoll um die Milchkühe und passen auf sie auf. Und die neueste Technik wird angewendet, um das Wohlbefinden der Kühe zu dokumentieren. Und so weiter und so fort. Ja, das ist sicherlich sehr lobenswert, dass die Entwicklung in diese Richtung geht, dass sich gut um die Milchkühe gekümmert wird.

Aber wenn wir die ganze Zeit über Milch und Haltungsbedingungen, gesund oder ungesund und auch über Ethik sprechen, über Tierwohl, dann vergessen wir immer jemanden, nämlich das Kälbchen. Und auch auf der Seite der "Initiative Milch" kommt das Kälbchen nicht vor.

Zu Beginn habe ich einmal diese Milchsommeliere zitiert, die sagte „Dann sagen die Menschen immer ‚Aber die armen Kälber‘“. Und es wurde auch dort nicht weiter ausgeführt, wie denn jetzt mit den Kälbchen umgegangen wird und das aus gutem Grund.

Werden wir der Natur gerecht, bleibt keine Milch übrig. Es ist einfach so! Die Milchkuh und auch jedes andere Säugetier würde einfach nicht mehr Milch geben, als ihr Baby benötigt. Und es gibt daher einfach keine ethische Lösung, weiterhin Kuhmilch zu konsumieren. Ich hab dazu eine ganze Podcastfolge gemacht. Also die vorangegangene Podcastfolge ist das und da führe ich das noch ein bisschen detaillierter aus.

Es ist egal, wie gut es den Mutterkühen geht, es ist egal, ob es Biomilch ist. Und es ist auch egal, wie sehr ein·e Landwirt·in die Tiere liebt, es bleibt dabei: Für Milch sterben Kälber und das kann auch die "Initiative Milch" nicht wegdiskutieren, weswegen dann das überhaupt gar nicht thematisiert wird auf ihrer Webseite und auch nicht in den Social Media Kanälen.

Und natürlich sterben auch die Mütter dieser Kälber, wenn deren Milchleistung nachlässt. Denn ein·e Landwirt·in kann heute nur wirtschaftlich arbeiten, wenn der Milchbetrieb professionell durchorganisiert und bis zu einem gewissen Grad auch automatisiert ist. Und das wird ja wiederum gezeigt auf den Seiten der "Initiative Milch". Aber eben nicht, was mit den Kälbchen passiert und dass diese Kälbchen sterben müssen und dass deren Mütter, wenn die Milchleistung nachlässt, nicht ins Kuh Altersheim gehen. Darüber spricht die "Initiative Milch" nicht, wenn sie über Tierwohl spricht.

Und so sollte die "Initiative Milch" ihrem Slogan „Ohne Milch? Ohne mich!“ treu bleiben und anstreben, sich aufzulösen - „Ohne Milch? Ohne mich!“ - in dem sie die ganze Branche umkrempelt, die Landwirt·innen umschult und auch die Molkereibetriebe auf rein pflanzliche Molkereien umstellt. Dann würde sich nämlich der Slogan bewahrheiten: „Ohne Milch? Ohne mich!“ Die Initiative würde sich auflösen und für alle wäre es ein Happy End.

Das war jetzt der erste Teil zur "Initiative Milch". Und im zweiten Teil gehe ich dann ganz ausführlich auf die Nachhaltigkeitsargumente ein. Und ich freue mich, wenn du dann wieder dabei bist.

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Quellen

Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.

Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel

Webseite

Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)

Weitere Quellen

ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.

Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.

FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom

HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG

SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann

WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag

BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden

Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432

Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo

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