Folge 3 - Die Gründerjahre der Milchwirtschaft
Ein Beitrag
In dieser Folge
- gebe ich Dir einen kurzen Überblick über die Milchkuh in der Kaiserzeit
- streifen wir die Themen Hygiene und Milchverfälschung und
- lernst Du Benno Martiny kennen.
Alle technischen Voraussetzungen für den Erfolg der Milchwirtschaft wurden in den 1870er Jahren geschaffen. Es waren Erfinderjahre, voller Versuch und Irrtum, aber auch voller Wachstum.
Kaum hatte man die Milchwirtschaft als Wirtschaftsfaktor entdeckt, wurde das Gebiet von Männern dominiert. Männer erforschten, wie man die Milch am effizientesten verarbeiten konnte. Männer entwickelten Maschinen, mit denen die Kühe am besten gemolken werden konnten. Usw. usf.
Noch ist alles am Anfang, es fehlt noch die Struktur, es fehlt noch an vielem. Und doch sind einige mit Feuereifer dabei, von denen Benno Martiny das glühenste Beispiel ist.
Transkript
Schön, dass du wieder dabei bist bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch. Ich bin Stefanie und ich möchte dir in dieser Folge berichten, wie die Anfänge der Milchwirtschaft ausgesehen haben.
In der letzten Folge haben wir über die Milchkuh im Mittelalter gesprochen und in dieser Folge soll es nun um die Anfänge der Milchwirtschaft gehen, die ab 1870 wirklich ihren Durchbruch erlangt hat, denn das Jahrzehnt 1870 bis 1880 war voller Neuerung und ich möchte jetzt auch noch mal mit einem Zitat starten, damit es einfacher ist zu verstehen, wie es dazu kam.
Das Zitat stammt wieder aus "Unsere tägliche Kost": ‘Da die billigen australischen Woll- und amerikanischen Getreideimporte nach 1860 immer mehr auf den deutschen Markt zu drücken begannen und entsprechende Preisstürze verursachten, suchte die deutsche Landwirtschaft nach Wegen, um diesen Erlösausfall auszugleichen. Neben der Vermehrung der Schweinezucht bot sich vor allem die Intensivierung der Milchwirtschaft an.‘
Und diese Intensivierung der Milchwirtschaft wurde dann begleitet durch viele technische Neuerungen. Wie ich in der vorangegangenen Folge schon erläutert habe, waren die Voraussetzungen bis ins 19. Jahrhundert hinein für eine Milchwirtschaft, wie wir sie heute kennen noch nicht gegeben. Die kamen erst nach und nach und eine Voraussetzung davon war, dass es ausreichend Milchkühe gab, die Milch geben konnten und dann die technischen Neuerungen.
1877 wurde die erste Zentrifuge in Kiel installiert und diese Zentrifuge entrahmte Milch in kürzester Zeit und sparte deswegen sehr viel Arbeitskraft. Diese Zentrifuge war quasi so eine Art Startschuss hinein in die moderne Milchwirtschaft.
Und in dieser Zeit 1871 hat auch Benno Martini, - das ist quasi so der Superstar der Milchwirtschaftszene, vergleichbar auch wenn du „Thank You for Smoking“ gesehen hast mit Nick Naylor, dem, wie er sich selbst nennt, „Pinup Boy der Tabakbranche“. Genauso ist dieser Benno Martini auch zu sehen, als Milchpapst, wird er manchmal bezeichnet - die erste Milchzeitung herausgebracht, war dann Gründer des Milchwirtschaftlichen Vereins und hat auch den Kaiser dazu gebracht, dass er Mitglied dieses Vereins wurde, damit die Milch noch einen höheren Stellenwert im Kaiserreich bekam.
Er war also sehr umtriebig, hatte viele Freunde und viele wichtige Freunde muss man dazu sagen. Alles natürlich ein großer Männerklub. Frauen hatten damals nicht wirklich viel zu sagen und diese Männer um Benno Martini herum, mit Benno Martini als treibende Kraft haben dann die Milchwirtschaft wirklich zudem gemacht, was sie heute ist.
Wir können uns das so vorstellen, dass damals zwar diese Bemühungen da waren, dass Milch zu einem Grundnahrungsmittel werden sollte, aber einfach die Gegebenheiten noch nicht vorhanden waren und es in der Bevölkerung auch noch nicht angenommen wurde als Grundnahrungsmittel.
Dazu habe ich wieder ein Zitat aus „Unsere tägliche Kost“: ‘Der ausdrücklich als mustergültig gemischt bezeichnete Heeresproviant 1870 71 in Frankreich stehenden deutscher Truppen enthielt zwar pro Tag ein halben Liter Wein oder Bier, aber keinen Tropfen Milch.‘
Daran erkennt man nochmal, dass in den großen Anstalten, wie es damals hieß, auf keinen Fall Milch vorhanden war. Also Milch war einfach noch nicht Grundbestandteil der Nahrung.
Eine weitere Untersuchung hat auch ergeben, dass 1870 eine durchschnittliche, dreiköpfige Familie - das ist dann in dem Fall Vater, Mutter, Fünfjähriges Kind, in der ärmeren Bevölkerungsschicht - damals nur eine wirklich geringe Menge Milch verbraucht hat und das wahrscheinlich für das Kind. Denn in den ärmeren Bevölkerungsschichten und in den Arbeiterschichten wurde damals Kaffee getrunken und Bier und Wasser. Milch spielte einfach gar keine Rolle. Milch oder Milchsahne zum Kaffee wurde wirklich nur vereinzelt in wohlhabenden Familien zum Kaffee getrunken und es war keineswegs so, dass jedes Familienmitglied am Morgen sein Glas Milch getrunken hat.
Damals war ein erhöhter Fettverbrauch ein Zeichen von gehobener Lebensführung und und Butter war damals noch sehr teuer. Ich habe hier ein Beispiel von einem Berliner Maurer, der einen durchschnittlichen Stundenlohn von 45 Pfennig bekommen hat und 1885 musste er fünf Stunden arbeiten für ein Kilo feinste Butter und drei Stunden für ein Kilo billigste Butter. 1895 waren es dann noch 4,5 Stunden und 1901 dann drei Stunden und 20 Minuten. Das heißt daran erkennt man auch noch mal wie die Verfügbarkeit der Butter dann in diesen wenigen Jahren gestiegen ist, aber wie teuer Butter trotzdem noch gewesen ist und wie wertvoll für den Großteil der Bevölkerung.
Der Motor für die Milchwirtschaft war auf jeden Fall das Anwachsen der Bevölkerung, also die Entwicklung vom Agrarstaat hin zum Industriestaat und das zeigt sich dann auch noch mal an diesen Zahlen. 1816 lebten im Deutschen Reich 25 Millionen Menschen, 1870 lebten schon 40 Millionen Menschen im Deutschen Reich und 65 Millionen dann 1910. Also ein starkes Wachstum bis zum ersten Weltkrieg hin und dann auch noch mal eine starke Verstädterung, denn 1840 waren 70% auf dem Land tätig und lebten auch dort und 1907 waren es nur noch 25%.
Heute ist es ja noch viel weniger, so siehst du dann auch wie sich das entwickelt hat. Also einfach diese verschiedenen Faktoren, die die Milchwirtschaft beeinflusst haben. Einfach der Wandel vom Agrarstaat hin zum Industriestaat, die Bevölkerungsdichte, die anwuchs, es gab viel mehr Menschen und dann eben auch viel mehr Menschen auf geringerem Raum und die dann auch auf andere Art versorgt werden mussten.
Die Milch konnte nicht einfach auf langen Wegen transportiert werden, weil die Transportmittel noch nicht da waren, sie verdarb zu schnell, sie konnte noch nicht haltbar gemacht werden und die Grundlagen für das schnellere Verarbeiten und das Haltbarmachen, die wurden alle in diesen Jahren ab 1870 gelegt und umgesetzt, natürlich schon vorher vorbereitet, aber 1870, 1880 das war das Jahrzehnt, dass die Milchwirtschaft so nach vorn gebracht hat.
Und um nochmal auf das Zitat am Anfang zurückzukommen, dass eben nicht nur die Milchwirtschaft intensiviert wurde, sondern auch die Schweinezucht vermehrt wurde, das lag unter anderem auch daran, dass die Schweine, die Molke, also alles was an Molkereirückständen übrig blieb, am besten verwertet haben. Das heißt die Milchwirtschaft und die Schweinezucht gingen quasi Hand in Hand, das eine bedingte das andere.
Ich finde das sehr spannend zu sehen, wie viele Faktoren zusammenspielen und wie vielschichtig die Geschichte der Milchwirtschaft ist, wenn wir heute einfach nur das Produkt im Supermarkt sehen und die Packung, wo dann irgendeine Kuh drauf abgebildet ist, die unter Garantie niemals diese Milch gegeben hat.
Denn das fing damals eben auch an, dass dann verschiedene, also das Gemelk, wie es heißt, von den verschiedenen Kühen zusammengemischt wurde und es dann auch Probleme mit Milchverfälschung gab und Panscherei und es gab einfach die verschiedensten Probleme, dass es dann auch verschmutzte Milch gab und die Hygienerichtlinien einfach noch nicht so weit waren, also es war wirklich in dem Sinne eine sehr wilde Zeit, etwas, was wir uns heute in dem Maße nicht mehr vorstellen können.
Vor dem ersten Weltkrieg war der Milchhandel noch sehr unstrukturiert. Im Grunde konnte jeder Milchhändler werden, der Beziehungen zu einem Landwirt hatte und bei den damals herrschenden Lebensumständen war Milchverfälschung, verschmutzte oder schon leicht saure Milch fast normal. Die Milch wurde in offenen Gefäßen von Haustür zu Haustür getragen und den Bewohnern in ihre eigenen Gefäße gefüllt.
Und ich habe dazu auch noch ein Zitat von dem Direktor des Städtischen Untersuchungsamts Mannheim, Dr. Kanzler von 1926: “Früher kam die Milch in kleineren und größeren Sendungen an den Bahnhöfen an und wurde zumeist auf den Laderampen sofort in die Kannen der Milchhändler umgefüllt. Die Milch war hierbei einer Verschmutzung und Verseuchung in größten Maße ausgesetzt. Zumal an windigen Tagen durch dichte Staubwolken, Sand, trockener Kot und anderer Unrat mit gesundheitsschädlichen Bakterien in die Milch gelangten.
Die Milch wurde in ungereinigten Zustand von hier aus durch die Milchhändler, zumeist unmittelbar der Bevölkerung Mannheims zugeführt. Die Kannen wurden notdürftig gereinigt mit Wasser, dass die Milchhändler auf ihren Karren mitbrachten. Im Sommer konnte man in den Kannen, insbesondere an den Kanten und Ecken derselben zurückgebliebene verfaulte und unangenehm riechende Milchreste wahrnehmen.“
Du merkst also, es war damals noch nicht so weit, wie es heute ist und es zeigt auch so ein bisschen, warum jetzt die meisten gesagt haben, oh, wir müssen das alles hygienischer machen. Es war einfach extrem unhygienisch und es war alles noch nicht so strukturiert. Es wurde viel ausprobiert, es wurde viel versucht.
Es gab zwar schon 1850 in der Nähe der Städte Abmelkwirtschaften als Vorstufe der Molkereien, das heißt, Kühe wurden wieder zum Stadtrand gebracht, damit der Transportweg nicht so weit war, aber das waren eben erste Versuche. Daran zeigt sich aber, dass Kühe nicht mehr Bestandteil der Städte waren, sondern dass sie wirklich auf dem Land gehalten wurden.
Wer noch in der Stadt gehalten wurde, waren Ziegen. Ziegen waren quasi noch bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein die Kuh des armen Mannes. Sie waren einfacher zu halten, hatten nicht so hohe Ansprüche und haben trotzdem Milch gegeben und man konnte Käse draus machen und die Milch trinken. Und es war auch einfacher, die über den Winter zu bringen. Trotzdem war es eben nur ein kleiner Bestandteil der Milch, die für die Bevölkerung verwendet wurde.
Es gab also viele Dinge, die sich in dieser Zeit entwickelt haben und viele Neuerungen, die dann der Milchwirtschaft geholfen haben, bis zu ihrem heutigen Stand zu kommen. In den nächsten Folgen werde ich dir dann noch weitere Details berichten über die Zeit bis zum ersten Weltkrieg hin und dann natürlich auch darüber hinaus. Und ich freue mich, wenn du dann wieder dabei bist.
Quellen
Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.
Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel
Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)
Weitere Quellen
ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.
Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.
FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom
HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG
SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann
WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag
BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432
Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo