Folge 6 - Reichsmilchausschuss und Wirtschaftskrise
Ein Beitrag
In dieser Folge
- spreche ich über die Rolle der Milch in der Weimarer Republik,
- erzähle ich Dir vom Reichsmilchausschuss und
- setze ich die Werbung mit der Wirtschaftslage in Relation.
Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg war von Hunger, Mangel und Orientierungslosigkeit geprägt.
Die politische Lage hatte sich geändert, das Kaiserreich war zerbrochen und die neue Regierung hatte Mühe zu bestehen.
Mittendrin gab es noch die Inflation, die Währungsreform und dann 5 Jahre später, die Weltwirtschaftskrise.
Unbeirrt dessen versuchte die Milchwirtschaft den Fortschritt voranzutreiben und die Kuhmilch zum Wohle der Volksgesundheit zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für Deutschland zu manifestieren.
Transkript
Schön, dass du wieder dabei bist, bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch.
Ich bin Stefanie und ich möchte dir heute von der Rolle der Kuhmilch in der Weimarer Republik erzählen. Um das kurz und einmal zeitlich einzuordnen, wir haben uns in den vorigen Folgen mit dem Mittelalter beschäftigt, mit der Kaiserzeit und dann mit dem Ersten Weltkrieg und heute geht es dann nahtlos weiter mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Beginn des NS-Regimes.
Und diese Zeit ist eben die Weimarer Republik von 1918 bis 1933. Wie ich schon in der vorangegangenen Folge erzählt hatte, war der Erste Weltkrieg eigentlich als ganz kurzer Blitzkrieg geplant und hat sich dann doch vier Jahre hingezogen und darauf war die Bevölkerung nicht eingestellt, darauf war die Regierung nicht eingestellt und deswegen herrschte ein sehr großer Mangel. Der desolate Zustand der Bevölkerung hielt nach dem Krieg lange an. Die Weltwirtschaftskrise 1929-30 und die hohe Arbeitslosigkeit führten dann zu einer Zeit, über die wir alle in der Schule schon viel erfahren haben und die sich hoffentlich niemals wiederholen wird.
Hunger und Mangelernährung veranlassten die Milchwirtschaft mehr denn je die Milch als das wertvollste und wichtigste aller Nahrungsmittel hervorzuheben. Aus dieser Perspektive betrachtet mag der Fokus auf die Volksgesundheit sinnvoll und auch edel gewesen sein. Schließlich ging es vordergründig darum, die hungerleidende Bevölkerung zu nähern. Gute Milch war zu dieser Zeit hygienisch einwandfreie, rahmreiche Milch mit hohem Fettgehalt. Für die unterernährten und meist auch kranken Menschen auf jeden Fall eine Bereicherung für ihren Speiseplan, auf dem Fett, Milch, Eier, Fleisch und Gemüse eine Rarität waren.
Dazu ein Zitat aus Grafes Handbuch der organischen Warenkunde von 1928: „Leider ist aber die Verteilung der Milch an die Bevölkerung oft sehr im Argen. Nur allzu oft wird das Vieh in den Städten in schlechten Kellerstallungen gehalten, mit schlechtem Futter ernährt, überhaupt nicht in frische Luft gebracht.“
Jahrelanger Hunger und Mangel hatten das Immunsystem der Bevölkerung geschwächt und sie anfällig für Krankheiten aller Art gemacht. Schmutz und enge Behausungen führten dazu, dass sich die Krankheiten vor allem in den Städten leicht verbreiteten. Hygiene war daher das Schlagwort dieser Tage und so wurde auch in der Milchwirtschaft darauf am meisten wertgelegt. Strenge Vorschriften für die entstehenden Milchfachgeschäfte und neue Richtlinien für die Auswahl von Milchhändlern waren nur die eine Seite. In manchen Städten wurde die Produktionskette vom Stall bis zum Endverbraucher straff durchorganisiert und überwacht. Hygiene im Stall, Hygiene auf dem Weg zur und in der Molkerei, Hygiene im Milchfachgeschäft. Das war der Dreisatz, dem sich die Milchwirtschaft verschrieben hatte. Jedoch noch nicht flächendeckend in der ganzen Weimarer Republik und doch liegen hier die Anfänge für unsere gegenwärtige Lage, in der sich keiner mehr Gedanken über Hygiene macht.
Und dazu noch einmal ein Zitat aus Grafes Handbuch der organischen Warenkunde von 1928: „Um gute und reichliche Milch zu erhalten, ist es notwendig, die Milchtiere gut zu pflegen, reichlich zu nähren und gesund zu erhalten. Sehr wesentlich ist für die Gesundheit der Milchtiere Aufenthalt im Freien. Stets nur in oft schlecht gelüfteten Stellen gehaltenes Vieh erkrankt leicht an Tuberkulose“
Zur gleichen Zeit wurde 1926 der Reichsmilch-Ausschuss gegründet, um den Milchabsatz anzukurbeln, denn der Milchkonsum war zu dem Zeitpunkt rückläufig. Die Motive waren vordergründig die Volksgesundheit, denn nach den entbehrungsreichen Jahren des Ersten Weltkriegs und den trubeligen Jahren danach sollten vor allem Kinder die nahrhafte Kuhmilch trinken. Im Hintergrund allerdings war das Motiv wieder die Volkswirtschaft, denn 1926 machte die Produktion von Milch und Milchprodukten etwa ein Fünftel der gesamten landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus. Ein Großteil davon stammte aus kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben, die von der Milchwirtschaft abhängig waren.
Der Reichsmilch-Ausschuss warb mit den verschiedensten Methoden um neue Milchtrinker, darum, dass eben der Milchkonsum angekurbelt wurde. Und ich habe dazu eine kleine Sammlung erstellt, die ich hier einmal vortragen möchte.
- Und zwar gab es Plakate von namhaften Künstlern gezeichnet an Litfasssäulen, Plakatwänden und in Schaufenstern im ganzen Land.
- Es gab Trickfilme, die in Schulen und öffentlichen Vorführungen gezeigt wurden.
- Es gab auch ein Milchboot mit blauweißem Sonnensegel und riesigen Milchflaschen, das unter anderem die Elbe entlang fuhr.
- Es gab einen Milchwerbe Heißluftballon, als fliegendes Propagandaplakat, auf einem Flugplatz auf dem Milch ausgeschenkt wurde.
- Es gab Milchflugzeuge mit Piloten, die selbst Milchtrinker waren.
- Es gab Milchwerbetage, an denen die ganze Stadt im Zeichen der Milch stand.
- Es gab einen Milchonkel als Geschichtenerzähler und es gab Milchwettbewerbe für Kinder.
- Und es gab beliebte Filmstars, die Autogramme gaben und ihre Vorliebe für Milch zeigten.
Das ganze wurde dann garniert durch Propagandasprüche wie „Milch gibt Kraft“, „Mehr Milch, Butter, Käse im Haushalt“, „Milch, Butter, Käse, Roggenbrot, Nahrhaft! Gut! Billig!“ „Trinkt Milch, sie ist gesund und schmeckt gut.“ Es stand eben alles unter dem Motto mehr Milch. Immer mit diesen beiden Motiven einmal die Volksgesundheit wieder zu sanieren und zum anderen natürlich auch die Volkswirtschaft anzukurbeln. Gerade wenn wir uns dann noch einmal die Weltwirtschaftskrise 1929-30 in Erinnerung rufen, die ja nicht auf einmal mit einem Schlag da war, sondern auf die nach dem Ersten Weltkrieg wirklich alle hinschlitterten.
Ich möchte dann noch einmal aus dem Buch „Mein Opa, sein Holzbein und der große Krieg“ von Nikolaus Nützel zitieren: „Am 1. Februar 1923 kostete in München ein halbes Kilo Brot 400 Mark, lese ich in der Stadtchronik. Am 11. Oktober des gleichen Jahres hatte sich der Preis um das hunderttausendfache erhöht auf 40 Millionen Mark. Was die Menschen an einem Tag verdienten, war am nächsten Tag kaum noch etwas wert. Wenn jemand Geld gespart hatte, löste sich dieses Guthaben innerhalb kürzester Zeit in Luft auf. Am 3. November 1923 legte die Münchner Bäckerinnung den Brotpreis noch einmal um mehr als das 20-fache höher fest als Mitte Oktober. Ein Pfund kostete jetzt 9 Milliarden Mark. In der Münchner Stadtchronik folgt auf den Eintrag über den Brotpreis am 3. November 1923 ein Text über den Hitler-Putsch am 8. und 9. November. Adolf Hitler versuchte an diesen Tagen zum ersten Mal die Not und Verzweiflung vieler Menschen auszunützen, um sich selbst an die Spitze des Landes zu setzen. Es sollte aber noch zehn Jahre dauern, bis er damit Erfolg hatte. Doch es zeichnete sich schon bald nach Kriegsende ab, dass die wirtschaftliche Katastrophe in die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg rutschte, weitere Katastrophen nach sich ziehen würde.“
Ich finde es wichtig, dass wir diesen geschichtlichen Kontext im Kopf behalten, denn wie ich es schon mal in einer vorangegangenen Folge erwähnt habe, wirkt es bei manchen Quellen so, als wäre immer alles in Ordnung, als würde die Wirtschaft und auch die Wirtschaftskraft jedes Einzelnen ganz kontinuierlich weiter existieren, obwohl es diese Krisen gab. Das heißt, es gab damals immer noch Menschen, die ganz normal weiterleben konnten, aber die meisten konnten es eben nicht. Und mir geht es ja in diesem Podcast darum darzustellen, wie aus Kuhmilch ein Grundnahrungsmittel werden konnte. Und wenn weder die Kuhmilch vorhanden ist, noch das Geld, um sie zu kaufen, kann sie auch kein Grundnahrungsmittel werden. Und deswegen finde ich es wichtig, diese geschichtlichn Ereignisse alle im Hinterkopf zu behalten, wenn wir die Geschichte der Kuhmilch betrachten.
Ich möchte dazu auch noch einmal aus dem „Lebendigen Museum Online“ LEMO zitieren: „Firmen, Zusammenbrüche, Bankenschließungen und Massenarbeitslosigkeit waren die Folgen der Weltwirtschaftskrise. Zwischen September 1929 und Anfang 1933 stieg die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland von 1,3 auf über 6 Millionen. Das Realeinkommen sank um ein Drittel, Armut und Kriminalität nahm sprunghaft zu. Massenverelendung kennzeichnete in der Wirtschaftskrise des Alltagsleben breiter Bevölkerungsschichten. Für ältere Menschen bestand keinerlei Hoffnung auf eine Anstellung. Auch jüngere Arbeitslose mussten jede Chance eines kleinen Verdienstes ergreifen, um dem gefürchteten sozialen Abstieg und der Obdachlosigkeit zu entgehen. Viele Menschen erkannten nur im Freitod einen Ausweg aus ihrer existenziellen Not. Andere versuchten durch Heimarbeit, Hausieren und Tauschgeschäfte den täglichen Überlebenskampf zu gewinnen oder zogen als Straßenmusikanten von Haus zu Haus. Für unzählige Frauen war Prostitution der letzte Ausweg.“
Und das war der Nährboden, auf dem das NS-Regime seine Saat auswarf, der allgegenwärtige Hunger, die Massenarbeitslosigkeit und der Mangel. Nach dem Ersten Weltkrieg fällt Deutschlands Industrieproduktion zunächst auf den Stand von 1888 zurück. Die Versorgungslage der Bevölkerung verschlechtert sich massiv. Preise für Waren und Dienstleistungen steigen, Löhne sinken, kleine Unternehmer und Gewerbetreibende gehen bankrott. Vermögenswert und Ersparnisse schmelzen dahin, Immobilien verlieren an Wert, ein Großteil der Bevölkerung verarmt. Mit der Währungsreform dem DOS-Plan und ausländischen Krediten kommt die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung. Produktion, Konsum und Volkseinkommen nehmen zwischen 1924 und 1928 zu. Und dann kommt die Weltwirtschaftskrise und alles bricht zusammen.
Am 27. März 1930 zerbricht die letzte Regierung der Weimarer Republik, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügt. Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit treiben die Wählerinnen und Wähler schließlich in die Arme der Nationalsozialisten, die ab dem Jahr 1930 mit der NSDAP ihren Weg zur Machtübernahme ebnen. Und um die Rolle der Milch während des NS-Regimes, welche Propaganda es damals gab und wie die Milchwirtschaft vorangetrieben wurde, soll es dann in der nächsten Folge gehen. Und ich freue mich, wenn du dann wieder mit dabei bist.
Links zur Folge
Lebendiges Museum online
http://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg
"Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg" von Nikolaus Nützel
https://www.buch7.de/store/product_details/1021135912
Quellen
Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.
Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel
Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)
Weitere Quellen
ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.
Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.
FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom
HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG
SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann
WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag
BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432
Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo