Folge 7 - NS-Regime und Reichsnährstand
Ein Beitrag
In dieser Folge
- spreche ich über die Milchwirtschaft während des NS-Regimes,
- geht es um die Rolle der Volksgesundheit in dieser Zeit und
- geht es um die Zeit während des zweiten Weltkriegs
Über die Zeit des NS-Regimes haben wir alle viel in der Schule gelernt. In meiner Schulzeit waren die Jahre zwischen 1933 und 1945 stets präsent. Daher gehe ich in dieser Folge auch auf die bekannten Greueltaten dieser Zeit nur ganz am Rande ein.
Die Milchwirtschaft durchlief in dieser Zeit noch einmal eine Wandlung, nur um dann nach dem zweiten Weltkrieg wieder völlig von vorne anfangen zu müssen.
Und doch haben auch diese Jahre die Entwicklung geprägt und die Begriffe "Milch" und "gesund" noch enger miteinander verknüpft.
Transkript
Schön, dass du wieder dabei bist bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch.
In dieser Folge sprechen wir nun über die Zeit zwischen 1933 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde auch die Landwirtschaft gleichgeschaltet und in die drei Abteilungen der Mensch, der Hof und der Markt eingeteilt. Es ging im NS-Regime darum, ein autarkes Deutschland zu schaffen, das unabhängig vom globalen Markt agieren konnte. Keine schlechte Idee aus der heutigen Perspektive betrachtet, wo uns jedes weitere Peak in eine wirtschaftliche und auch persönliche Krise stürzen kann. Aber selbstverständlich waren die Beweggründe damals ganz andere als sie es heute sind, wenn wir uns für eine lokale, dezentrale Landwirtschaft engagieren.
Und natürlich war es damals auch eine ganz andere Zeit, denn heute leben wir in der Zeit der Globalisierung und wir können uns gar nicht rein regional ernähren. Und das müssen wir auch gar nicht, denn wir können durchaus die Vorzüge der Globalisierung mit den Vorzügen der regionalen, dezentralen Landwirtschaft vereinen und einfach Schritt für Schritt versuchen, die Welt wieder ein bisschen besser zu machen.
Aber zurück zu der Zeit zwischen 1933 und jetzt zunächst erst einmal 39, die Zeit des NS-Regimes. „Blut und Boden“ lautete das Motto des Reichs-Nährstands, der das Bauerntum hochidealisierte und die landwirtschaftliche Produktion und damit auch die Milchwirtschaft straff durchorganisierte. Wie ich in der vorangegangenen Folge erzählt habe, gab es vor 1933 den Reichsmilch-Ausschuss und der wurde dann mit der Übernahme der Nationalsozialisten hinfällig und vom Reichs-Nährstand abgelöst, durch den die Werbung quasi umgedreht wurde.
Nun gab es Propaganda, die die Bauern dazu aufforderte, mehr Milch und Fett abzuliefern. Und in den Jahren des Nationalsozialismus bis hin in den Zweiten Weltkrieg wurde die Milchwirtschaft straff umstrukturiert und zur Effizienz gezwungen. Mit dem Zweiten Weltkrieg war eine deutschlandweite Versorgung unmöglich und auch in den Nachkriegsjahren herrschte noch lange Zeit ein Mangel. Die Milchpropagandamaschine musste daher in den 1950er und 60er Jahren fast wieder von vorne anfangen. In vielen Geschichtsdokumenten, die ich jetzt gelesen habe, viele Quellen sprechen von dem Jahr 1945 als Stunde Null. Und so ungefähr kann man das auch sehen mit der Milchwirtschaft, denn alles, was jetzt vorher schon aufgebaut wurde, alle Maschinen und auch teilweise das Wissen, ging durch den Zweiten Weltkrieg kaputt. Das Wissen wurde zwar noch weiter vermittelt, aber es hat dann wieder länger gedauert, bis wirklich auch die Materialien, die Technik, alles wieder da war, um in diesem Stand von vor dem Zweiten Weltkrieg wieder zu erreichen, so dass diese beiden Kriege, der Erste und der Zweite Weltkrieg und die Jahre dazwischen, viel wieder kaputt gemacht haben, was in der Milchwirtschaft aufgebaut worden war.
Die Zeit, die wir gerade in dieser Folge besprechen, die Zeit des NS-Regimes, in dieser Zeit wurde versucht, diese Verluste, die es während des Ersten Weltkriegs gab, wieder wettzumachen, so dass einfach weiter gearbeitet wurde und weitere Techniken entwickelt wurden, aber dann kam eben der Zweite Weltkrieg und dadurch waren die Materialien wieder weg, so dass wir also immer nach dem Motto einen Schritt vor und zwei Schritte wieder zurück in der Milchwirtschaft gegangen sind.
Über die Zeit des NS-Regimes und dann auch des Zweiten Weltkriegs habe ich sehr, sehr, sehr viel in der Schule gehört, gesehen und gelesen, weshalb ich davon ausgehe, dass auch du sehr viel Input bekommen hast, in der Vergangenheit. Aufgrund dessen möchte ich jetzt da gar nicht so weit in die Tiefe gehen, denn der Verlauf der Zeit und welche Gräueltaten begangen wurden, das ist uns allen klar. Mein Fokus ist jetzt in diesem Sinne die Kuhmilch und die Milchwirtschaft und da die Kuhmilch ja auch immer mit der Gesundheit in Verbindung gebracht wird und auch immer diese beiden Faktoren Volksgesundheit und Volkswirtschaft im Vordergrund stehen, wenn es um Milchwirtschaft geht und um Kuhmilch, möchte ich hier nochmal eine Passage zitieren, aus einem Dokument, das ich auf der Seite sozialpolitik.com/sozialgeschichte gefunden habe. Das ist ein Dokument für den Schulunterricht und ich fand es sehr schön aufbereitet, sodass ich da noch einmal einen Abriss über die Sozialgeschichte Deutschlands bis 1945 und dann ab 1945 durchlesen konnte.
„Wer krank und gesetzlich versichert war, hatte Anspruch auf medizinische Behandlungen. Bis zum Jahr 1933 war dabei nicht beurteilt worden, ob jemand sich gesundheitsbewusst verhalten hatte. Diese Einstellung ändert sich im Nationalsozialismus, hat aber kein neues Versicherungsgesetz zur Folge. ‚Jeder Deutsche hat die Pflicht, so zu leben, dass er gesund und arbeitsfähig bleibt‘ schreibt ein von der NSDAP herausgegebenes Gesundheitsbuch vor. ‚Krankheit ist ein Versagen. Wer Krankheitshalber häufig im Arbeitsplatz fehlt, ist ein schlechter Kranke. Die Medizin soll nicht mehr vorrangig den einzelnen Menschen behandeln, sondern sie soll die Volksgesundheit schützen und den deutschen Volkskörper gesund erhalten.‘“
Du siehst also auch hier wieder diesen Gedanken, dass es nicht um das Individuum geht, sondern wirklich um das Volk als Ganzen, in diesem Sinne eben die Volksgesundheit wieder, die keine Erfindung des NS-Regimes war, schon vorher immer wieder genannt wurde, aber jetzt eben auch als Propaganda genutzt wurde. Der deutsche Volkskörper, was jetzt hier gerade in diesem Zitat nicht genannt wird, ist dann die Volkswirtschaft. Aber im Grunde ist es eben so, nur der gesunde Mensch kann auch arbeiten, sodass nur, wenn die Volksgesundheit erhalten wird, auch die Volkswirtschaft erhalten wird.
Und ich finde dieses Zitat „Krankheit ist ein Versagen. Wer Krankheitshalber häufig im Arbeitsplatz fehlt, ist ein schlechter Kranke.“ Das ist diese Aussage dahinter, diese Intention. Ich finde, dass man sie auch heutzutage noch oft findet. Wir dürfen gar nicht mehr krank werden. Wir versagen uns das auch selbst. Wir dürfen nicht krank sein. Und es wird von uns erwartet, dass wir uns auch noch krank zur Arbeit begeben, weil das einfach zum guten Ton gehört. Und wer sich mal krank schreiben lässt, ist eben ein Versager. Und dass so etwas in einem Gesundheitsbuch der NSDAP drinsteht, sollte uns ein wenig zu denken geben, ob wir nicht vielleicht da auf dem falschen Weg sind und uns nochmal überlegen sollten, wie wichtig wir uns selbst sind und unsere Gesundheit. Aber das nur als kleiner Schlenker.
Und zurück noch einmal in die Zeit zwischen 1933 und dem Zweiten Weltkrieg. Hitler hat damals den Krieg bewusst schon vorbereitet. Er hat seine Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg mitgebracht, in dem er auch schon gekämpft hatte. Er hat diesen Krieg lange geplant und deswegen war es auch nicht so eine Überraschung wie der Erste Weltkrieg. Und deswegen war der Start in den Zweiten Weltkrieg auch nicht so verheerend wie der Start in den Ersten Weltkrieg. Hitler war sich dessen bewusst, dass die Bevölkerung nicht ohne Weiteres in einen nächsten Krieg starten wollte, war doch der Erste Weltkrieg noch nicht wirklich lange her. Aber für ihn war es eben wichtig, er hatte seine eigenen Ziele. Und so hat er versucht den Start durch die Propaganda so einfach wie möglich zu machen, so leicht wie möglich verständlich für die Bevölkerung. Und deshalb gab es zu Beginn des Zweiten Weltkriegs auch noch keine Lebensmittelrationierung. Das kam dann mit der Zeit, so dass einfach zu Beginn des Zweiten Weltkriegs noch keine Einschränkungen vorhanden waren.
Dann aber natürlich im Laufe des Zweiten Weltkriegs und zum Ende hin war auch hier wieder Hunger und Mangel allgegenwärtig. Der Zweite Weltkrieg endete dann in einen Hungerwinter 1946-47 und hinterließ Deutschland in Trümmern. Wie schon eingangs erwähnt, wird 1945 das Ende des Zweiten Weltkriegs oft als Stunde Null bezeichnet und so entstand dann das neue Deutschland aus den Trümmern heraus, aus dem Hunger heraus, aus dem Mangel heraus. Und unsere Vorfahren haben das alles erlebt und es ist noch gar nicht so lange her. Direkt im Anschluss des Zweiten Weltkriegs gab es sogenannte Hamsterfahrten, wirklich von der Stadt aufs Land um irgendwie an Nahrung zu kommen und wo dann viele Tauschgeschäfte durchgeführt wurden, wo dann irgendwelche Teppiche getauscht wurden gegen Milch und Eier oder Fleisch. Es war einfach ein Leben in Armut, Kälte, es gab Krankheiten und Hunger und das war dann die Situation, in die der Zweite Weltkrieg mündete und aus der dann in den Nachkriegsjahren die gesamte Wirtschaft in Deutschland, aber eben auch die Milchwirtschaft wieder auferstehen musste.
Alles war kaputt, keiner hatte Geld und natürlich ging es den Bauern und Landwirten auch gar nicht anders. Die meisten Männer waren entweder im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft geraten oder kamen kriegsversehrt wieder nach Hause, sodass überall die Frauen übernommen hatten und trotzdem waren eben nicht ausreichend Arbeitskraft vorhanden, um dann zum Beispiel auf einem Bauernhof den Betrieb weiterhin so zu erhalten, wie es vor dem Krieg gewesen war. Und mit den Nachkriegsjahren starten wir jetzt in eine sehr interessante Zeit und das ist jetzt wirklich der Beginn der Milchwirtschaft, wie wir sie heute kennen.
Es startet in der Nachkriegszeit mit dem Wissen, was seit 1870 angehäuft wurde, die Umsetzung aber unterbrochen wurde durch diese beiden Weltkriege, die sehr, sehr viel verheerendes angerichtet haben und jetzt ging es darum zu sehen, wie kurbeln wir die Wirtschaft an, wie schaffen wir das Deutschland wieder aus den Trümmern aufzubauen und welche Rolle wird die Milchwirtschaft dabei spielen.
Und darum geht es dann auch in der nächsten Folge, wir schauen uns die Milchwirtschaft in den Nachkriegsjahren an, wie sie sich entwickelt hat, wie der Milchkonsum damals aussah und natürlich auch wie die Milchwerbung sich da entwickelt hat. Und ich freue mich, wenn du dann wieder mit dabei bist.
Links zur Folge
Quellen
Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.
Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel
Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)
Weitere Quellen
ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.
Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.
FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom
HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG
SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann
WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag
BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432
Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo