Folge 9 - Der Milchkaufmann
Ein Beitrag
In dieser Folge
- stelle ich Dir den Milchkaufmann als Berufsstand vor,
- erzähle ich Dir von der Rolle, die dieser beim Aufstieg der Milch als Grundnahrungsmittel gespielt hat,
- berichte ich von den Herausforderungen vor denen der Milchkaufmann stand
Die Fachzeitschrift "Der Milchkaufmann" ist meine Lieblingslektüre geworden, seit ich zur Kuhmilch forsche.
Ich werde auf diese besondere Zunft auch noch in zukünftigen Folgen detaillierter eingehen. Diese Folge soll zunächst einen Überblick geben.
Transkript
Schön, dass du wieder dabei bist, bei Milchgeschichten, dem Podcast rund um die Kuhmilch. Ich bin Stefanie und in dieser Folge knüpfen wir natürlich wieder an die Vorgängerfolge an und es soll in dieser Folge um den Milchkaufmann gehen.
Ich möchte noch einmal zurückblicken. In der vorangegangenen Folge haben wir über den Grünen Plan und den Marschallplan gesprochen. Der Grüne Plan war ein Förderprogramm der 1950er Jahre, mit dem die Nachkriegsagrar-Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland gefördert wurde. Ziel war es Strukturen im ländlichen Raum zu schaffen, die sich leichter Bewirtschaften ließen, um die Bevölkerung sicherer mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Der Marschallplan dagegen wurde von den USA bereitgestellt und es ging darum die Wirtschaft anzukurbeln, Deutschland mit Lebensmitteln, Rohstoffen und Waren zu versorgen.
Einige Jahrzehnte gab es in Deutschland einen Beruf, der heute ausgestorben ist, den Milchkaufmann. Sein Wirken begann in den 1920er Jahren und endete in den 1970er Jahren. Er fungierte als Mittelsmann zwischen den Molkereien und den Verbraucher:innen und präsentierte in seinem Ladengeschäft eine große Auswahl an Milch- und Milchprodukten. Sein Hauptgeschäft war die lose Molkereimilch, die er aus einer Kanne in die mitgebrachten Gefäße der Kundinnen schöpfte.
Der Alltag dieser Zunft ist in der Fachzeitschrift „Der Milchkaufmann“ sehr gut dokumentiert und zeigt auch vor welchen Herausforderungen der Milchkaufmann stand. Ich habe diese Zeitschrift gefunden, als ich in der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel war und dort in der Bibliothek in den Archiven stöbern durfte. Und ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich diese Zeitschrift lese. Es ist wirklich ein wunderbares Dokument.
Ich möchte auch gleich aus dieser Zeitschrift zitieren: „Ein Werbefachmann weist darauf hin, dass ein Geschäft sozusagen eine Tankstelle für gute Laune, für Frohsinn und Heiterkeit sein muss. Der Kunde muss wissen, dass unsere Geschäfte durch die aufgelockerte, dort herrschende Stimmung ihn selbst aufheitern. Die Leute müssen gerne in den Betrieb kommen. Es muss sozusagen ein psychologischer Sog entstehen.“
In der Fachzeitschrift gibt es ganz viele Ratschläge für den Milchkaufmann, ausgehend davon, wie er sein Geschäft führen kann, wie er sein Schaufenster gestaltet, welche Probleme es geben kann, wie er seine Milch am besten verkauft, Rezeptideen und natürlich auch über Preise, Bezahlung, Buchhaltung. Und ein Problem damals waren die Bauern, die ab Hof verkauft haben. Und nach meiner Lektüre hatte ich das Gefühl, dass der Milchkaufmann in der damaligen Zeit im ständigen Clinch mit den Bauern gelegen hat.
Hygiene war ein wichtiges Stichwort der Nachkriegszeit und so propagierte der Milchkaufmann die reine weiße Molkerei-Milch als die einzig wahre Milch. Der Ab-Hof-Verkauf der Bauern mit ihrer unbearbeiteten Rohmilch aus dem dreckigen Kuhstall war dem Milchkaufmann ein ständiger Dorn im Auge. Über all die Jahre hinweg finden sich immer wieder Streitschriften im Milchkaufmann, in denen gegen den Ab-Hof-Verkauf gewettert wird. Natürlich, wie sollte es anders sein, geschieht es im Namen der Volksgesundheit. Sowieso hatte es der Milchkaufmann nicht leicht in der Nachkriegszeit und der darauffolgenden Zeit des Wirtschaftswachstums zu bestehen. Die Welt war am Wandel und mit der steigenden Kaufkraft und dem immer mehr, mehr, mehr landete die Trinkmilch schließlich gut verpackt im Kühlregal des Supermarkts und der Milchkaufmann war arbeitslos.
Das ist natürlich ein Grund, weswegen wir den Milchkaufmann heute gar nicht mehr kennen. Frag einmal deine Eltern, die kennen den Milchkaufmann noch, deine Großeltern sowieso? Vielleicht kennst du den Milchkaufmann auch selber noch, aber dann gehörst du definitiv einer früheren Generation an als der, der ich angehöre. Denn klar, es gab den Milchkaufmann bis in die 1970er Jahre hinein, aber er wurde dann vom Supermarkt verdrängt, weil einfach keiner mehr in diese Fachgeschäfte ging und die Milch, du kennst sie heute auch nur aus dem Kühlregal, du würdest sie nicht in einem Fachgeschäft kaufen. Heute ist es natürlich wieder anders, heute wird der Ab-Hof-Verkauf wieder als etwas Besonderes und Normales angesehen, aber damals war das wirklich teuflisch böse.
Ich möchte dazu noch einige Zitate aus dem Milchkaufmann beifügen: „Aufklärung der Hausfrauen, vor allem der Mütter, wird weiterhin notwendig sein, um sie davon zu überzeugen, welche große Gefahren der Hausiererhandel mit loser Milch für die Gesundheit der Kinder und Kranken mit sich bringt. Nimmt der Abhofverkauf langsam einen Umfang an, der eine ernstliche Gefährdung nicht nur der Volksgesundheit, sondern auch der gesetzlichen Ordnung bedeutet. Richtschnur allen Handels könne allein der Gedanke sein, Qualität im Dienste der Volksgesundheit, das Erfordere ein Festhalten an der Mindestmenge, einen gesunde Kalkulation aller Preise ohne politische Einflüsse und ein energisches Eindämmen des Abhofverkaufs.‘ Beifall unterstrich seine Feststellung gegenüber dem angeblichen Naturrecht der Erzeuger auf freien Verkauf ihrer Erzeugnisse, dass niemand ein Recht haben könne, die Gesundheit seiner Mitmenschen zu untergraben. Aller Erfolg bei der Qualitätsverbesserung der Trinkmilch sei in Frage gestellt, wenn hier nicht durchgegriffen werde.“ Dieses letzte Zitat stammt von dem Nestor des deutschen Milchhandels Bernhard Scholz.
Die größte Zielgruppe des Milchkaufmanns waren die Hausfrauen, die ganz dem damals aktuellen Rollenbild folgend für den Haushalt und damit auch den Einkauf verantwortlich waren. So versorgte der Milchkaufmann die Hausfrauen nicht nur mit frischer Milch und Butter, sondern auch mit kostenlosen Werbezeitschriften wie „Frisch und Froh“ und „Delikat“, die neben Rezepten auch Fortsetzungsromane und Klatsch enthielten, ein Format das auch heute noch gern gelesen wird.
Oder den Milchhaushaltskalender mit der Aufschrift, „Wer schafft, braucht täglich Milch“, mit Rezepten, Ratschlägen und Hinweisen für die Hausfrau und dem immer wieder auftauchenden Hinweis auf den Milchkaufmann als die Einkaufsquelle für Milch- und Milchprodukte.
Hier noch ein Zitat: „Werbung weckt Wünsche. Jeder Milchkaufmann muss sein bester Werbefachmann sein.“
Der Milchkaufmann wurde regelmäßig unter der Rubrik, „Was wünscht die Hausfrau?“ dazu angehalten, den Kunden bestimmte Produkte anzubieten. Gleich mit Dialogbeispielen und dem Hinweis, dass nur ein aktiver Milchkaufmann ein erfolgreicher Geschäftsmann sein kann.
Hierzu auch noch zwei Zitate: „Frühjahr und Frühjahrskuren sind stets miteinander verbunden. Bieten wir also unseren Hausfrauen, sie sprechen gerne auf die Schlanke Linie an, vermehrt Quark in diesen Wochen an und geben ihnen zusammen mit unserem werbenden Angebot auch die entsprechenden Rezepte mit. Stehen ihre Milchtrinkbecher, stets sauber und einladend bereit, wenn die erhitzte Hausfrau und ihre Kinder im Vorbeigehen schnell ein Glas kühle Milch trinken wollen? Was für eine gute Gelegenheit gibt es hierbei mit den Kunden der näheren Kontakt zu kommen, ihnen so nebenbei und unauffällig dies und jenes anzubieten?“
Auch die Schaufenstergestaltung wurde in fast jeder Ausgabe der Fachzeitschrift als Werbefaktor von größter Bedeutung angesprochen. Klar, damals war ein schön gestaltetes Schaufenster noch ein Blickfang, etwas, das Supermarktketten heute schon lange nicht mehr haben und auch nicht brauchen. Wir wissen ja, was uns darin erwartet.
Hierzu auch noch ein Zitat: „Jedes Schaufenster wird damit zu einem Werbefaktor von größter psychologischer Bedeutung. Es ist gleichsam das Bindeglied zwischen dem Geschäftsmann und seinem Kunden. Von der Tradition allein, das muss jeder Milchkaufmann wissen, lässt sich heute nicht leben.“
Wie schon erwähnt war Hygiene, ein Schlagwort der Nachkriegszeit, alles musste sauber und modern sein. Die Molkereimilch, welche der Milchkaufmann in seinem blitze blanken Geschäft verkaufte, gehörte zu dieser Entwicklung dazu. Weg vom schmutzigen Kuhstall, von den Händlern, die von Tür zu Tür zogen und ihre bakterienverseuchte Milch aus offenen Kannen verkauften, hin zur reinen weißen Supermilch.
Der Milchkaufmann hatte in seinem Geschäft strenge hygienische Auflagen zu erfüllen, die mit einem großen finanziellen Aufwand verbunden waren. Wollte er neben Milch- und Milcherzeugnissen noch andere Lebensmittel in seinem Laden verkaufen, musste er für diese Waren nach 1952 in seinem Geschäft einen abgetrennten Raum schaffen. Durch die Fachzeitschrift wurde immer wieder dazu angehalten, sich nur an den höchsten hygienischen Standards zu orientieren, damit das Image der reinen weißen Milch nicht getrübt wurde.
Hierzu wieder ein Zitat: „Nur ein Höchstmaß an Sauberkeit, nur eine vorbildliche Erfüllung aller hygienischen Anforderungen und nur eine in jeder Hinsicht mustergültige Ausstattung und Ausgestaltung der Geschäftsräume sichern dem Milchgeschäft heute inmitten eines harten Konkurrenzkampfes die Existenzberechtigung und damit die Existenzmöglichkeit. Darüber hinaus muss in Anbetracht der dem Milchhandel auferlegten großen volkswirtschaftlichen Verantwortung jeder Milchkaufmann ein Fachmann von höchsten Qualitäten, ein geschickter und gründlich ausgebildeter Kaufmann und ein hervorragender Propagandist und Werbefachmann sein.“
Die Lektüre des „Milchkaufmanns“, also der Fachzeitschrift, gibt einen sehr guten Einblick, wie damals in der Nachkriegszeit bis hin in die 1970er Jahre die Werbung für die Milch- und die Milchwirtschaft aussah. Oft zitiert wird dort Otto Grube aus Dortmund ein Milchwerbefachmann und dieser hat 1952 Folgendes gesagt: „Es waren also nicht nur Überlegungen landwirtschaftlicher Absatzsteigerungen, sondern ebenso sehr die Erkenntnis volksgesundheitlicher Notwendigkeit, die die Milchwerbung auf den Plan riefen.“
Hier ist wieder unser Zweigespann aus Volksgesundheit und Volkswirtschaft und beides wird, wie ich schon erwähnt habe, immer wieder angeführt. Volksgesundheit immer vordergründig und dahinter steckt immer die Volkswirtschaft.
„Will man den Milchverbrauch stärker heben, so kommt es darauf an, die größeren Möglichkeiten, die nicht in den rein wirtschaftlich bedingten Bestimmungsgründen liegen, auszuschöpfen. Das heißt, die Verbrauchsgewohnheiten zu ändern.“
Und das sollte natürlich mit der Werbung, mit der Milchwerbung geschehen und da gab es verschiedene Zielgruppen, auf die ich dann in späteren Folgen noch einmal eingehen möchte und ich freue mich, wenn du dann wieder dabei bist.
Links zur Folge
Lebendiges Museum online: Grüner Plan
https://www.hdg.de/lemo/bestand/objekt/druckgut-aid-broschuere-der-gruene-plan.html
https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-gruenderjahre/wirtschaft-und-gesellschaft-im-westen/wandel-der-landwirtschaft.html
Kritik am Grünen Plan
http://www.zeit.de/1956/51/gruener-plan-am-scheideweg
Lebendiges Museum online: Marshall-Plan
https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre/doppelte-staatsgruendung/marshall-plan-und-waehrungsreform.html
https://www.hdg.de/lemo/bestand/medien/video-marshall-plan.html
Quellen
Einen großen Teil meiner Informationen beziehe ich aus der Bibliothek der ehemaligen Milchforschungsanstalt in Kiel.
Max Rubner-Institut
Hermann-Weigmann-Str. 1
24103 Kiel
Diese Bibliothek beherbergt einen wahren Schatz an Dokumenten zur Milchwissenschaft und direkt gegenüber ist auch noch der Unverpacktladen- sehr praktisch :-)
Weitere Quellen
ROLLINGER, Maria, 2013: Milch besser nicht. 5. Auflage Trier: JOU-Verlag | Meine Rezension zum Anhören.
Die Milch : Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels / hrsg. im Auftr. der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann ... [Museumsdorf Cloppenburg, Niedersächsisches Freilichtmuseum], Cloppenburg : Museumsdorf Cloppenburg, 1996.
FINK-KEßLER, Andrea, 2013: Milch - Vom Mythos zur Massenware. 1. Auflage München: oekom
HAHN, Christian Diederich, 1972: Vom Pfennigartikel zum Milliardenobjekt - 100 Jahre Milchwirtschaft in Deutschland. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann OHG
SCHWERDTFEGER, Curt, 1956: Milch, Wunder der Schöpfung, Quelle der Gesundheit : Ein dokumentar. Bildwerk über d. Milch u.d. Milcherzeugnisse. 2. Auflage Hildesheim : Verlag Th. Mann
WIEGELMANN, Günter, 1986: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung. 2. Aufl. Münster: F. Coppenrath Verlag
BROCKS, Christine, 1997: Die Kuh - die Milch : eine Publikation des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
Grafes Handbuch der organischen Warenkunde, Vol. 5 Halbbd. 1 (ab S. 306)
http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN832533432
Lebendiges Museum online: http://www.dhm.de/lemo