Wann bin ich eigentlich vegan?

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Folge 066 - Wann bin ich eigentlich vegan?

In den vergangenen 5 Jahren habe ich viele Veganer·innen kennengelernt. Manche lebten schon viel länger als ich vegan, andere kürzer und wieder andere wollten sich nicht mehr vegan nennen, weil ihnen der Begriff vegan als zu negativ besetzt erschien.

Ich habe viele Diskussionen verfolgt und auch selbst geführt, rund um die Frage wie vegan etwas ist.

Und ich habe immer wieder gemerkt, wie sehr es Menschen, die gerade am Beginn ihres veganen Lebens stehen, verunsichert, wenn langjährige Veganer·innen sie mit Tatsachen konfrontieren, über die sie noch gar nicht nachgedacht haben.

Darum blicke ich in dieser Folge auf die ursprüngliche Definition der Vegan Society of England, die besagt:" Veganism is a way of living which seeks to exclude, as far as is possible and practicable, all forms of exploitation of, and cruelty to, animals for food, clothing or any other purpose."

Vollständiges Transkript

Herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Von Herzen Vegan Podcasts, der dir hilft, dich gelassen und souverän durch deinen veganen Alltag zu bewegen.

Ich bin Stefanie und ich möchte in dieser Folge über die grundsätzliche Definition von vegan sprechen.

Ich lebe jetzt seit fast fünf Jahren vegan und habe in dieser Zeit sehr, sehr viele Veganer·innen kennengelernt und auch ihre verschiedene Art vegan zu leben. Also vom anfänglichen her nur das Essen betreffend, über die Kleidung und verschiedene Kosmetika hin auch zu keinen Zoobesuchen mehr, sich mit Tierversuchen beschäftigend und auch generell Firmen zu boykottieren, die viel Tierleid verursachen. Und da habe ich eine ganze Bandbreite an Menschen kennengelernt, die alles vereinen oder nur vereinzelt einige Dinge leben, aber alle vegan leben und sich alle auch als vegan bezeichnen.

Dann habe ich wiederum Menschen kennengelernt, die sich nicht mehr als vegan bezeichnen wollen, weil sie das Gefühl haben, dass dieser Begriff negativ besetzt ist und sie nicht mit diesem Negativen in Verbindung gebracht werden wollen. Die gar nicht sagen, dass sie vegan leben, es aber eigentlich tun und vielleicht sagen, dass sie sich pflanzlich ernähren oder einfach gar nicht darüber sprechen. Dann habe ich vor allem in Facebookgruppen Menschen kennengelernt, die schon länger vegan leben, die Menschen, die noch nicht so lange vegan leben vorhalten, dass sie, wenn diese zum Beispiel jetzt ein veganes Produkt im Supermarkt entdeckt haben und freudig darüber berichten, dass dieses Produkt aber eben nicht palmölfrei sei. Oder von einem Hersteller, der viel Tierleid verursacht oder nicht verpackungsfrei oder, oder, oder.

Und all diese Erlebnisse und Erfahrungen haben in mir dieses Gefühl ausgelöst, dass es doch einige Veganer·innen gibt, die veganer als andere sind oder sein wollen oder sich so sehen. Und dass es vielen Menschen, die am Anfang stehen und gerade im Begriff sind, vegan zu werden, dadurch sehr schwer fällt sich überhaupt auch selbst als vegan zu bezeichnen, so dass viele sagen „Ich bin im Übergang, ich lebe noch nicht so richtig vegan.“ Und wenn ich dann da nachfrage „Was ist denn da? Warum sagst du, du lebst noch nicht so richtig vegan?“ dann haben diese Menschen vielleicht noch Lederschuhe oder sie machen noch Ausnahmen für ihre Oma, die sie nicht enttäuschen wollen und essen einmal im Jahr ihre Kekse oder so was. Und da herrscht einfach eine große Verunsicherung, auch bei Menschen, die gerade beginnen, vegan zu leben.

Und ich möchte das jetzt einmal zum Anlass nehmen und die offizielle Definition von Veganismus oder Vegan der Vegan Society zitieren, und zwar die deutsche Übersetzung. Die Begriffsdefinitionen geht nämlich auf die bereits 1944 gegründete Vegan Society of England zurück, genauer gesagt auf dessen Mitbegründer Donald Watson. Und die heute verwendete Definition entstand mit der offiziellen Anerkennung der Vegan Society als gemeinnützige Organisation im Jahre 1979 und lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:

„Veganismus ist eine Lebensweise, die versucht - soweit wie praktisch durchführbar - alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeiten an leidensfähigen Tieren für Essen, Kleidung und andere Zwecke zu vermeiden; und in weiterer Folge die Entwicklung und Verwendung von tierfreien Alternativen zu Gunsten von Mensch, Tier und Umwelt fördert. In Bezug auf die Ernährung bedeutet dies den Verzicht auf alle Produkte, die zur Gänze oder teilweise von Tieren gewonnen werden.“

Diese Übersetzung habe ich der Internetseite der Veganen Gesellschaft von Österreich entnommen und die wichtige Komponente dieser Definition ist tatsächlich „so weit wie praktisch durchführbar“.

Und das nimmt natürlich allen Menschen, die einem erzählen: „Was machst du denn auf einer einsamen Insel? Hm, aber für dein Getreide, da wurden auch Tiere getötet. Was machst du denn mit den ganzen Insekten, die getötet wurden? usw. und so fort.“ Also diesen ganzen Argumenten nimmt diese Definition definitiv den Wind aus den Segeln und macht das alles auch realistisch. Wir leben in einer nicht veganen Welt. Das ist leider so. Wir sind immer noch eine Minderheit. Der Idealzustand wäre, dass alle Menschen vegan leben würden und es keinen Grund mehr gäbe, Tierleid zu verursachen. Solange wir aber noch auf dem Weg dorthin sind, ist es das für uns gesündeste und praktikabelste uns an diese Definition zu halten, „so weit wie praktisch durchführbar“, unseren Veganismus zu leben.

Und ich möchte diese Definition auch auf alle ausweiten, die sich in der Entwicklung befinden, die gerade eingestiegen sind, vegan zu leben. Dass du deinen Veganismus immer so weit durchführst, wie gerade praktisch möglich, denn Menschen, die schon länger vegan leben, hatten schon viel mehr Möglichkeiten, sich mit der Materie zu beschäftigen. Und ich kann aus Erfahrung sagen, dass es ein Bewusstwerdungsprozess ist, was eigentlich alles hinter Veganismus steckt und was das alles bedingt. Bei mir war es so, dass erst mit dem vegan leben dann auch das Bewusstsein für die Nachhaltigkeit kam und ich erst nach und nach in Frage gestellt habe, was ich da eigentlich alles tue und ich auch nach und nach erst mein Verhalten angepasst habe. Ich habe auch ganz lange noch Lederschuhe getragen, weil ich sie einfach nicht wegschmeißen wollte. Für mich ist das immer ein Abwägen „Was ist jetzt wirklich sinnvoll und was ist auch nachhaltig?“ Und ich konnte irgendwann einfach keine Lederschuhe mehr anziehen, weil sich das für mich komisch angefühlt hat. Und dann habe ich die Lederschuhe, die ich noch hatte, verkauft oder verschenkt und mir dann ein neues Paar vegane Schuhe gekauft, so dass ich heute keine Lederschuhe mehr besitze.

Das war aber alles ein Prozess. Das kam nicht mit einem Fingerschnippen auf einmal. Natürlich kann es sein, dass du ein Mensch bist, der sofort alles radikal auf den Kopf stellt. Das kann natürlich sein. Wir sind einfach unterschiedliche Menschen und jeder und jede von uns geht da ihren oder seinen eigenen Weg. Ich finde es dabei sehr erleichternd, wenn ich mich immer wieder auf die Definitionen der Vegan Society zurückbesinne und mir überlege, soweit praktisch durchführbar. Das gilt ja auch für Medikamente zum Beispiel. Wenn ich jetzt ein bestimmtes Medikament dringend brauche und das ist leider nicht vegan oder es ist mit Tierversuchen an Tieren getestet worden und ich kann aber kein anderes bekommen. Dann würde ich in diesem Fall höchstwahrscheinlich dieses Medikament nehmen, auch wenn es eben nicht meinen Grundsätzen entspricht. Und auch da würdest du vielleicht anders handeln. Und auch das ist eben ganz individuell. Das kommt jetzt wieder ganz darauf an, wie du als Mensch gestrickt bist und welche Möglichkeiten, welche Kraftreserven dir vielleicht auch zur Verfügung stehen.

Um noch mal zu verdeutlichen, was ich damit meine: Eine Bekannte von mir hat lange versucht vegan zu leben und hatte aber gleichzeitig so viel um die Ohren und große Probleme mit dem Vater ihrer Kinder, der ihr die Kinder wegnehmen wollte und es letztlich auch tatsächlich gemacht hat, dass sie einfach in ihrem Leben keinen Platz hatte für diese Gedanken um den Veganismus. Da waren andere Dinge, die für sie viel existenzieller waren, um die sie sich zuerst kümmern musste. Und da war einfach kein Platz zu schauen, wie sie das jetzt schaffen kann, vegan zu leben. Und das meine ich auch mit Möglichkeiten und Kraft und Energiereserven. Denn wenn du in deinem Leben an verschiedensten Fronten unterwegs bist und sehr viel Kraft und Energie in verschiedensten Bereichen aufwendest und gerade am Anfang stehst, um vegan zu werden, dann kann es gut sein, dass du das vegan werden erst mal verschiebst, weil andere Dinge für dich gerade jetzt in diesem Moment wichtiger sind oder später in diesem Prozess, dass du vielleicht schon vegan lebst, dass du dich also vegan ernährst, aber gerade keine Kraft hast, sich jetzt auch noch mit den Tierleid verursachenden Firmen zu beschäftigen oder dich mit Kleidung zu beschäftigen oder mit Nachhaltigkeitsaspekten.

Und deswegen plädiere ich auch dafür, diese Definition so zu sehen, dass ich eben meinen Möglichkeiten entsprechend den Veganismus in mein Leben integriere. Und wenn ich eben gerade erst nur meine Ernährung umstellen kann, dann bin ich eben nur in diesem Bereich vegan. Dann ist es halt gerade so und dann wird die Zeit kommen, dass ich mich auch noch mit den anderen Bereichen beschäftigen kann. Ich bin aber immerhin schon einen wichtigen Schritt gegangen. Wenn wir beginnen, wirklich alles ins Detail zu hinterfragen, dann können wir eigentlich gar nichts mehr essen, trinken, kaufen oder generell irgendwie auf diesem Planeten existieren, weil wirklich alles irgendwie auf irgendeinem Weg mit Tierleid zusammenhängt. Das ist dann definitiv nicht praktikabel.

Denn auch das Gemüse oder Obst, was angebaut wird, ist nicht vegan, weil es unter Umständen eben mit nicht veganem Dünger gedüngt wurde oder Pflanzenschutzmittel gespritzt wurden, die wiederum andere Tiere töten oder bei der Verarbeitung Tiere getötet wurden oder beim Transport Tiere getötet wurden. Und es gibt immer irgendwie irgendwas. Vielleicht sind auch die Maschinen, die die Ernte verarbeiten, aus tierlichen Materialien hergestellt. Also irgendwo in den Reifen oder generell irgendwo in der Maschine ist irgendetwas drin. Also es kann immer irgendetwas sein. Wir können da immer tiefer bohren und immer wieder schauen. Oder derjenige oder diejenige, die jetzt da geerntet hat, lebt nicht vegan und verursacht deswegen Tierleid. Das kann alles möglich sein.

Also das Konsequenteste, um Tierleid zu vermeiden, um den Planeten zu entlasten, wäre tatsächlich, wenn die Menschheit aussterben würde. Und solange wir das nicht wollen, müssen wir da leider Kompromisse eingehen. Da hilft es eben, sich an diese Definition zu halten und zu sagen „Soweit praktisch durchführbar, lebe ich diesen Veganismus und versuche so wenig Tierleid wie möglich zu verursachen.“ Und da ist für mich wirklich jeder Schritt wertvoll. Jeden Schritt, den du da gehen kannst, jedes Mal, wenn du merkst okay, da könnte ich noch was verbessern, da könnte ich noch was ändern, das könnte ich anders machen. Das ist jedes Mal ein wertvoller Schritt, den du gehst, so dass wir dann irgendwann unser Ziel erreichen und in einer Gesellschaft leben, die friedvoll und liebevoll mit allen Lebewesen umgeht.

Und in der Definition heißt es ja auch an allen leidensfähigen Tieren also geht es da auch wieder um die Definition: Was macht das Tier jetzt leidensfähig? Und kann ein Regenwurm tatsächlich Leid erfahren? Leidet der? Und wie ist es mit Mikroben und Bakterien? Können die leiden und Bäume und Pilze und ich weiß nicht was, also können die leiden? Sich diese Definitionen immer wieder vor Augen zu führen und das Handeln, dein Handeln damit abzugleichen, das hilft mir enorm und ich hoffe auch, dass dir das hilft, wenn du mal wieder vor einer Entscheidung stehst und dir überlegst „Sollte ich nicht besser so oder so handeln?“ Oder in einer Endlosschleife grübelst, ob das jetzt okay ist zum Beispiel eine Wurmkiste dir in die Küche zu stellen? Ist es in Ordnung, Würmer zu halten? Ist das überhaupt noch vegan? Das ist nämlich zum Beispiel so eine Endlosschleife, in der ich mich jetzt die ganze Zeit befunden habe. Also da hilft mir das zu sagen okay, das ist keine Ausbeutung an leidensfähigen Tieren. Also ist es für mich in Ordnung. Und auch da kannst du natürlich wieder anderer Meinung sein.

Wichtig ist mir tatsächlich, dich auf deinem individuellen Weg entsprechend deiner Möglichkeiten zu unterstützen. Und dazu gehört auch, dass du gut auf dich achtest und gut für dich sorgst. Und entsprechend dieser Maxime habe ich beschlossen, dass ich jetzt eine Winterpause für diesen Podcast einläuten werde. Die nächste Folge erscheint dann am 12.01.2020. Für spezielle Unterstützung in Notfallsituationen hör dir gerne noch mal die Folgen 13, 14 und 15 an. Die hatte ich letztes Jahr extra aufgenommen für die Weihnachtszeit und die sind natürlich nach wie vor aktuell. Das heißt, da findest du ganz viele Tipps, wie du die Weihnachtszeit auch noch ganz souverän überstehst oder wie du nach einem nervenaufreibenden Familienessen deine kreisenden Gedanken stoppst, zum Beispiel. Also Folge 13, 14 und 15 dieses Podcasts lohnt es sich noch anzuhören, wenn du dich da vorbereiten möchtest.

Und dann wünsche ich dir eine schöne Vorweihnachtszeit, entspannte Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr 2020. Und ich wünsche dir, dass all deine Träume und Wünsche in Erfüllung gehen. Und dann freue ich mich, wenn wir uns im nächsten Jahr wieder hören.

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Hinweis zum Von Herzen Vegan Clan

Im November 2021 ist der Von Herzen Vegan Clan ein Teil meiner damals neuen Community, des Experimentariums geworden.

Das Experimentarium gibt es seit Dezember 2022 nicht mehr.

Ich bin gerade dabei eine neue Online-Community aufzubauen. Wenn Du interessiert bist, schau doch mal vorbei:

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