Die ideologische Stoffserviette

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Folge 068 - die ideologische Stoffserviette

Bei einer Veranstaltung wurde ich während der Mittagspause darauf angesprochen, ob ich meine eigene Stoffserviette mitbringe, weil ich die Nutzung von Papierservietten aus ideologischen Gründen verweigere.

Diese Frage hat mich zunächst stark irritiert, war doch "Ideologie" für mich eher negativ besetzt.

In dieser Folge nehme ich die Stoffserviette zum Anlass kritisch über meine Definition von "Ideologie" nachzudenken und auch mein Handeln in diesem Zusammenhang zu erörtern.

Bin ich dogmatisch, wenn ich konsequent handele? War die Frage überhaupt so gemeint? Wie gehe ich damit um?

Vollständiges Transkript

Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge des Von Herzen Vegan Podcasts, der dir hilft, dich gelassen und souverän durch deinen veganen Alltag zu bewegen. Ich bin Stefanie und ich möchte dir heute eine kleine Geschichte erzählen, die mir vor kurzem passiert ist.

Ich war bei einer Fortbildung für VHS-Kursleiter·innen und in der Mittagspause bin ich dann losgezogen, um mir einen Burger zu besorgen, weil ich in letzter Zeit so selten in die Stadt komme, dass das für mich ein Highlight war zu Vincent Vegan zu gehen und mir einen Burger zu holen. Wir hatten nur ganz wenig Zeit und ich musste ganz schnell hin und wieder zurück und eine von den Teilnehmer·innen hat mich begleitet und sie hat sich dann woanders was geholt und ich habe mir meinen Burger direkt in meine Dose einpacken lassen.

Ich hatte mich vorbereitet, ich nehme meistens eine Dose, eine Stoffserviette, einen Strohhalm aus Metall und Besteck mit, da ich jetzt aber wusste, ich werde auf jeden Fall einen Burger essen und brauche kein Besteck, hatte ich das Besteck zu Hause gelassen. Ich war also vorbereitet, ich habe dann den Burger mir direkt in meine Dose packen lassen, bin damit wieder zurück und dann haben wir uns in dem Pausenraum gesetzt und gegessen und wir waren irgendwie so sechs Leute und jede·r hat so unterschiedlich etwas gegessen.

Manche hatte sich selbst was von zu Hause mitgebracht und die anderen hatten sich was gekauft, zwei mit Styroporverpackungen so To-go Sachen, eine hatte sich wohl was beim Bäcker besorgt und die anderen weiß ich jetzt nicht mehr, jedenfalls habe ich dann meine Dose dahingestellt und habe in meinem Rucksack nach meiner Stoffserviette gekramt und da hat mir dann hilfsbereit eine Teilnehmerin eine Papierserviette angeboten und ich meinte, ich habe eine Serviette dabei, ich muss sie nur eben finden, dann habe ich sie auch gefunden.

Und dann meinte die andere Teilnehmerin, die neben mir saß und mit mir auch das Essen geholt hatte, dass sie mir auch eine Papierserviette angeboten hätte, aber dass sie gedacht hat, dass ich die wahrscheinlich aus ideologischen Gründen ablehnen würde. Und das hat mich im ersten Moment total abgestoßen, dass ich gedacht habe: „Was? Ideologisch? Ich und eine Stoffserviette - wie kann die denn ideologisch sein, was ist das denn?“

Dann habe ich da länger darüber nachgedacht, ich habe in dem Moment ganz spontan erst mal gar nichts dazu gesagt, nur einfach das quasi überspielt, indem ich die Serviette benutzt und weiter gegessen habe.

Im Nachhinein hat es aber dann in mir gewirkt, weil ich dann gedacht habe: warum denkt sie denn, dass das ideologisch ist, dass ich eine Stoffserviette benutze und keine Papierserviette? Für mich ist es einfach nur konsequent, weil ich denke, wenn ich gut vorbereitet bin, dann ist es auch gar kein Problem, wirklich auf diese ganzen To-go Sachen zu verzichten und ein bisschen was für die Umwelt zu tun. Und in der Vergangenheit habe ich halt öfter mal sowas einfach nicht mitgenommen und dann hat mich das total genervt, wenn ich dann doch eben wieder die Papierserviette genommen habe oder doch mir was To-go einpacken lassen habe und dann womöglich noch eine Plastiktüte dabei hatte und alles.

Und deswegen bin ich jetzt vorbereitet und für mich ist es, wie gesagt, einfach nur konsequent, ich habe dann aber nochmal nachgeschaut, was heißt denn jetzt ideologisch eigentlich, was bedeutet Ideologie und warum ist mir das so sauer aufgestoßen, dass sie mich als ideologisch oder meine Handlung als ideologisch bezeichnet hat und auch eben mir quasi unterstellt hat, dass ich eine Ideologie folge.

Früher hätten wir natürlich im Brockhaus nachgeschaut, heute ist das wohl Wikipedia, ich habe jetzt allerdings im Wiktionary geschaut und da steht: „Ideologie ist eine Anschauung, oft auch Weltanschauung, eine bestimmte Meinung, ein Ergebnis eines Diskurses, eine Idee, eine Denkweise über Mensch und Gesellschaft, die zu bestimmten Zielen, Ergebnissen führen und diese unterstützen soll. Eine politische und soziale Theorie, ein System von Anschauung, Begriffen und anderen ideellen Komponenten, welches einen gesellschaftlichen Standpunkt darstellt“

Und wenn ich das so sehe, dann kann ich dem zustimmen, also es ist für mich ein gesellschaftlicher Standpunkt, dass ich dafür stehe, so nachhaltig wie möglich zu handeln und ja, natürlich ist es bequemer sich da keine Gedanken drüber zu machen, aber ich finde es einfach konsequent und ja, es ist für mich ein gesellschaftlicher Standpunkt. Insofern hat sie damit eigentlich recht, dass ich aus ideologischen Gründen auf die Papierserviette verzichte und die Stoffserviette nehme.

Und dann habe ich mich aber gefragt, warum ist es denn so negativ bei mir angekommen, warum habe ich denn da so ein Problem mit und es gibt auch eine zweite Definition, vor der „negativ besetzt“ steht: „Ein häufig erstarrter dogmatischer Diskurs, eine in dieser Art aufzufassende Meinung, eine Meinung, die mit der Absicht vertreten wird, andere oder sich selbst zu täuschen“ und ich glaube, dass in mir eben diese negativ besetzte Definition von Ideologie vorherrscht und ich dadurch ihren Kommentar bewertet habe und gedacht habe: nein, das bin ich nicht, ich will mich nicht täuschen und ich möchte auch andere nicht täuschen und ich möchte niemanden meine Meinung aufzwingen, das ist das alles gar nicht und deswegen habe ich mich so dagegen gewehrt und fand das einfach unpassend, dass sie das gesagt hat. Weil ich gedacht habe, hey, es ist konsequent, die Hütte brennt, wir müssen handeln, wir haben keine Zeit mehr, wir müssen etwas tun und da ist Menschen, die konsequent dann etwas tun, als, ja, einer Ideologie verfallen zu bezeichnen eher kontraproduktiv.

Jetzt weiß ich natürlich nicht, ob ihr Kommentar die erste Definition zugrunde gelegt hat oder die zweite Definition, ob sie es eher negativ gesehen hat oder nicht, ich habe sie nicht gefragt und deswegen sind das alles nur Spekulationen, die ich anstellen kann.

Letztlich spielt sich die ganze Diskussion, die ich jetzt gerade eben aufgesprochen habe, nur in meinem Kopf ab, ich reagiere auf das, was sie sagt, sie sagt, dass ich wahrscheinlich aus ideologischen Gründen in die Papierserviette ablehnen werde und ich interpretiere das so, dass sie mich verurteilt, dass sie das negativ sieht und dass sie denkt, dass ich einem Dogma verfallen bin.

Es kann aber eben auch sein, dass sie denkt, dass ich gewisse Ideale habe und dass ich die eben nicht verraten möchte und dass sie denkt, dass ich bestimmte Werte habe, denen ich folge. Aber wie gesagt, das weiß ich nicht, das ist alles nur in meinem Kopf und letztlich liegt es dann an mir zu reagieren.

Bei mir hat sich dieser Kommentar auch lange festgesetzt und auf der Rückfahrt, das war eine etwas längere Rückfahrt von dem Kurs, habe ich dann da immer wieder darüber nachgedacht und habe mich dann so hochgeschaukelt und gedacht, meine Güte, wie kann sie das nur so nennen, ideologisch und also, was soll das denn und das kann doch gar nicht wahr sein. Ich habe mich dann regelrecht so daran festgebissen und als ich zu Hause war, habe ich dann erst mal alles aufgeschrieben, was in meinem Kopf war, weil mir das mittlerweile hilft, um klarer zu denken und auch all das negative rauszulassen.

Manchmal schreibe ich es tatsächlich auf Toilettenpapier und spüle es ab, wenn es ganze negative Sachen sind, so wie Ajahn Brahm das empfiehlt, aber oft hilft es, einfach das aufzuschreiben und dann nochmal zu reflektieren. Oder ich rede mit Carsten da drüber, um mir dann nochmal meine Meinung von außen einzuholen, weil eben vieles einfach nur durch unsere Wahrnehmung gesehen wird, durch unsere subjektive Brille.

Und mittlerweile, seit ich jetzt auch nochmal die Definition gelesen habe, kann ich damit jetzt auch schon wieder viel besser umgehen und kann auch sagen, ja okay, ich folge ideellen Werten und in der positiven, nicht negativ besetzten Definition kann ich dieser Aussage zustimmen.

Was natürlich nichts an der Situation ändert, dass ich dann wieder irgendwie der Freak war, diejenige, die es anders macht und den anderen damit dann auch wieder den Spiegel vorhält. Und das ist natürlich etwas, was du als Veganer·in auch gut kennst, allein dadurch, dass du es anders machst, hältst du deinen Mitmenschen den Spiegel vor und das löst natürlich wieder in den Mitmenschen negative Gefühle aus, die sie dann wiederum mit spitzen Kommentaren an dir auslassen. Und natürlich ist auch so etwas bei diesem Treffen passiert, bei diesem Pausenessen und darüber werde ich dann in der nächsten Folge noch einmal sprechen.

Ja und dann freue ich mich natürlich, wenn du beim nächsten Mal wieder mit dabei bist.

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