Wann sage ich, was ich wirklich denke?

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Folge 072 - Wann sage ich, was ich wirklich denke?

Kennst Du das, Dein nicht-veganes Gegenüber sagt etwas und Du würdest gerne ganz offen und ehrlich antworten, aber Du verkneifst Dir Deine Antwort lieber, weil Du genau weißt, dass es Dein Gegenüber nicht verstehen würde? Oder es zu Diskussionen käme. Oder Dein Gegenüber verletzt wäre. Oder Du dann das Best of der Argumente hörst, die Nicht-Veganer·innen in solchen Situationen standardmäßig abzusondern scheinen?

Wann und wie entscheidest Du, ob Du nun doch besser antwortest oder nicht- und was Du am besten sagst?

Darüber spreche ich in dieser Folge.

Vollständiges Transkript

Herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Von Herzen Vegan Podcasts, der dir hilft, dich gelassen und souverän durch deinen veganen Alltag zu bewegen. Ich bin Stefanie und ich möchte heute über die Frage reden, wann du das sagst, was du denkst und wann vielleicht nicht.

Das klingt jetzt erstmal so ein bisschen abstrakt. Ich mache es direkt mal an einem Beispiel fest und zwar hatte ich mich mit Carsten unterhalten, der erzählt hat, dass es in seiner Firma eine Snackbox gibt und da gibt es so die üblichen süßen Riegel unter anderem Kinderschokolade und diejenige, die diese Snackbox befüllt, hatte Carsten gefragt, welche veganen Riegel er denn gerne hätte, damit nicht nur für die Nicht-Veganer·nnen etwas in dieser Snackbox wäre, sondern auch für die Veganer·innen, was ja an sich super ist. Nur bei Carsten ging dann gleich der Gedankengang los, dass er die Snackbox eigentlich an sich blöd findet und schon allein dieser Begriff Kinder-Riegel, der mit dem Blut der Kälbchen getränkt ist, total unpassend ist und das hätte er am liebsten gesagt, hat es aber dann nicht.

Ein anderes Beispiel, das schon länger her ist: als ich angefangen habe vegan zu leben, da war ich auch noch sehr sensibel, was die verschiedenen neuen Entdeckungen anging, die ich getätigt habe und die ganzen Informationen und diese Grausamkeiten, die sich mir da offenbart haben. Und ich habe mit diesem Wissen und in dieser Anfangseuphorie dann einer Freundin damals geschrieben: „Aber du weißt schon, dass Hühner einfach nicht normalerweise so viel Eier legen würden und dass der Mensch sie dazu nötigt und dass sie dann auch geschlachtet werden, wenn sie nicht mehr genug Eier legen und dass das alles überhaupt nicht positiv ist.“ so ungefähr, ich weiß es nicht mehr genau, aber es war so ein: „dir ist schon klar, dass das alles nicht okay ist?!“ und sie ist halt auf dem Bauernhof aufgewachsen und war auch mal mit einem dieser Hühnerstallinhaber liiert in ihrem Landkreis und der hat ihr natürlich was ganz anderes erzählt und da hat sie dann auch gesagt: „naja, aber die sind doch so gezüchtet, die können doch gar nicht anders, also ist das doch okay, wenn die Eier legen, also ist doch in Ordnung“ und da habe ich mich dann auch auf Diskussionen eingelassen, die dann unsere Freundschaft doch stark gefährdet haben, was ich jetzt so im Nachhinein einfach auch nicht mehr tun würde.

Oder du bist auf einer Social Media Plattform unterwegs und liest dann da Kommentare, wo du denkst du möchtest diese Person am liebsten wachrütteln, wieso sie nicht, was ich sehe, ich würde jetzt so gern etwas schreiben und da ist eben die Frage, wann mache ich das und wann mache ich das nicht und warum und letztlich geht es darum, welche Rolle du einnehmen möchtest. Möchtest du als Vertretung aller Veganer·innen, als Stellvertreter·in gelten und dich dahin stellen und im Namen dieser sprechen und agieren, möchtest du im Namen der Tiere sprechen und dich da in eine Diskussion stürzen, was ja völlig in Ordnung ist oder möchtest du dich selbst schützen und antwortest deswegen vielleicht nicht.

Ich musste das auch erst mal lernen, was mich jetzt unglücklich macht, welche Kommentare ich besser nicht äußere, sondern einfach nur denke und letztlich ist das natürlich auch wieder ganz individuell. Carsten hat in dem Fall zum Beispiel eben nicht seine Gedanken geäußert, weil er sich selber schützen und sich nicht auf diese Diskussion einlassen wollte, die dann vielleicht auch dazu geführt hätte, dass ihn seine Kolleg·innen dann eher schief angeguckt bis gemobbt hätten. Denn seine Gedankengänge sind für nicht-Veganer·innen im besten Fall einfach nur unverständlich. Im schlimmsten Fall verstehen sie das allerdings als Angriff und da Carsten sich ja in der Firma in der Minderheit befindet in seiner Rolle als Veganer, würde das dann eben zu einem sozialen Ausschluss führen und da war es dann einfach seine Entscheidung, sich selbst zu schützen und abzuwägen, was er jetzt sagt und was nicht.

Und das gehört ja auch die ganze Zeit zu unserer Rolle als Veganer·innen abzuwägen, will ich zu dieser Gemeinschaft gehören, dann versuche ich mich irgendwie so auszubalancieren, dass ich trotzdem zu meinen Werten stehe, aber vielleicht nicht alles in der Schärfe sage, wie ich es denke. Und das ist dann wirklich wieder ein Ausprobieren und zu schauen, was kann ich sagen, was stößt sowieso auf taube Ohren, wie schütze ich mich jetzt am besten da und wie schaffe ich es, dass mein Leben in dieser Gemeinschaft, in der ich mich gerade befinde, nicht zu einem Spießrutenlauf wird und ich noch mehr zum Außenseiter oder zur Außenseiterin werde, als ich schon bin durch diese Rolle als Veganer·in.

Und das ist natürlich auch Veranlagungssache, denn es kann ja auch sein, dass du eher extrovertiert bist und es dir überhaupt nichts ausmacht, wenn die Kolleg·innen über dich tuscheln oder irgendwie negative Kommentare auf dich einprasseln und du einen richtig starken Schutzpanzer entwickelt hast, der das alles an dir abprallen lässt und dir das wichtig ist und du dich einfach nur wohl mit dir selbst fühlst, wenn du deine Werte ganz offen vertrittst. Ich für mich habe herausgefunden, dass es mir am ehesten hilft, wenn ich möglichst wertschätzend mit allen Menschen um mich herum umgehe und anerkenne, dass sie, genauso wie ich, einen Prozess durchlaufen.

Und ich durchlaufe diesen Prozess des Veganseins und Veganwerdens schon um einiges länger als die meisten Personen um mich herum und deswegen, wenn ich mit Nicht-Veganer·innen zusammentreffe, bereite ich mich einfach innerlich schon darauf vor, dass ich auf die immer gleichen Fragen treffen werde und ja, das kann durchaus ziemlich nervig sein. Ich versuche aber immer wieder mir zu sagen, dass ich die Fragen vielleicht zum millionsten Mal höre, aber mein Gegenüber diese Frage vielleicht zum ersten Mal äußert und dann eben auch nicht genervt zu reagieren. Oder mein Wissensstand sich von meinem Gegenüber unterscheidet, was das Mensch-Tier-Verhältnis angeht und die Realität, in der wir leben, sehr weit von dem Wissensstand entfernt ist, den mein gegenüber hat oder zulässt zu haben. Denn meist wissen wir das ja eigentlich alles schon, aber wir verdrängen es dann und wollen es irgendwie nicht wissen und dann ist es natürlich noch unangenehmer, wenn mir da jemand vorlebt, dass es doch auch anders geht und dass es möglich ist, in einer Welt zu leben, in der die Missstände, die wir heute haben, behoben sind.

Und so ist das reagieren auf die nicht-vegane Umwelt definitiv immer ein Abwägen zwischen, will ich jetzt mich selbst schützen oder möchte ich in der Stellvertreter·innenfunktion aller Veganer·innen nun für die Veganer·innen, für die Tiere auch sprechen oder schweigen, denn es kann ja auch sein, dass du das nicht sagst, weil du der Meinung bist, sonst würdest du dem Veganismus schaden und das kann ja auch sein. Das kann aber auch in die Nähe dieser Normfixiertheit kommen, dass ein·e gute Veganer·in ausschließlich schlank, fit und eloquent ist und wenn du das nicht bist, dann outest du dich bitte auch nicht als Veganer·in. Das ist wiederum etwas, was ich überhaupt nicht unterstützen kann. Ich würde immer in erster Linie davon ausgehen, wenn du etwas sagst oder nicht sagst, dass du abwägst, ob du dich damit schützt oder nicht, denn wir sind eine Minderheit in dieser nicht-veganen Welt und wenn wir da nicht untergehen wollen und weiterhin ausreichend Kraft haben möchten, um für unsere Werte einzustehen, um für die Tiere einzustehen, für die Rechte der Tiere, dann ist es wichtig, uns an erster Stelle zu stellen und uns zu schützen. Das hat für mich überhaupt nichts mit Egoismus zu tun, sondern dient einfach unserem Überleben in dieser nicht-veganen Welt.

Was das Diskutieren und Debattieren in Social Media angeht, da habe ich ja schon mal den Graslutscher zu interviewt, denn ich selber neige auch dazu, mich da in etwas reinzusteigern, wenn ich solche Kommentare lese und ich mache das einfach generell nicht. Ich diskutiere und debattiere einfach nicht auf Social Media, weil mir das nicht liegt. Ich werde da viel zu schnell emotional, dann kreisen die Gedanken bei mir und ich lasse mich dann auf irgendwelche Trolldebatten ein und deswegen mache ich das einfach nicht und das ist für mich meine Schutzfunktion, um mich davor zu schützen, dass mich das ausbrennt, in Social Media zu debattieren. Wenn dir das aber liegt und wenn du das gerne machst und es dir was gibt, dann hör dir gerne nochmal die Folge mit dem Graslutscher an, der hat da einige gute Tipps formuliert, wie du effizient auf Social Media debattieren kannst. Es gibt einfach Menschen, die können das gut und der Graslutscher gehört für mich auch dazu, deswegen unterstütze ich ihn auch über Steady, weil er auch diese Artikel schreibt und generell da sehr aktiv ist. Der macht einfach was, was ich nicht kann und das ist für mich auch ein Stück weit Diversität, dass wir uns auf das konzentrieren, was wir einfach gut können.

Und was du vielleicht für dich auch überlegen kannst, was ist denn eine Form von Aktivismus, die dir liegt, die du gerne machst und die dich nicht ausbrennt? Denn wir müssen ja nicht alle auf die Straße gehen, wir müssen nicht alle auf Social Media debattieren. Es kann eben auch sein, dass das für dich einfach nur ist, dass du in deinem Bekanntenkreis, in deinem sozialen Umfeld als Vorbildfunktion gilst, einfach nur dadurch, dass du vegan lebst, also dass du überhaupt nicht großartig irgendwas machen musst, sondern einfach nur, indem du dein Ding machst, bist du ein Vorbild.

Und das alles, was ich jetzt so beschrieben habe, ist natürlich nichts, was du so ad hoc einfach kannst und umsetzt, sondern etwas, was sich für dich entwickelt, etwas, was du für dich erforscht und rausfindest, was für ein Typ Mensch du bist, was für eine Art von Aktivismus dir vielleicht liegt, wie du mit Kommentaren umgehst und in welcher Situation auch - weil auch das ist nicht nur phasenabhängig von deinem veganen Leben, wie lange du schon vegan lebst oder vielleicht auch, wie intensiv du dich gerade mit verschiedensten Bereichen beschäftigst - sondern natürlich auch mit deinem Leben, also wie alt du gerade bist so, also das spielt auch noch eine Rolle, in welcher Lebensphase du dich befindest. Ob du vielleicht Mutter oder Vater bist, ob deine Kinder noch klein sind oder schon älter, ob du keine Kinder hast, ob du schon Oma bist oder Opa, das spielt alles mit eine Rolle, in welcher Situation du dich gerade befindest. Und als Frau* spielt da dann auch noch der Zyklus eine Rolle, dass du da schaust, okay, in welcher Phase du dich befindest und je nachdem in welcher Phase du dich befindest, ist das dann auch wieder ein Indikator dafür, wie aktiv du sein kannst oder wie du dich schützt, weil du halt vielleicht in einer Phase extrovertierter bist als sonst und in anderen Phasen mehr auf dich achten musst.

Und das sind alles so Faktoren, die dazu beitragen, dass du deinen individuellen Weg findest, wie du ganz persönlich mit dieser nicht-veganen Außenwelt umgehst und lernst dich so zu schützen, dass es dir gut geht und dass du einfach gelassen vegan leben kannst.

Und dann freu ich mich natürlich auch, wenn du beim nächsten Mal wieder mit dabei bist.

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Hinweis zum Von Herzen Vegan Clan

Im November 2021 ist der Von Herzen Vegan Clan ein Teil meiner damals neuen Community, des Experimentariums geworden.

Das Experimentarium gibt es seit Dezember 2022 nicht mehr.

Ich bin gerade dabei eine neue Online-Community aufzubauen. Wenn Du interessiert bist, schau doch mal vorbei:

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