Psychologin Dr. Tamara Pfeiler über vegane Kinder
Ein Beitrag
Diese Folge ist quasi eine Fortsetzung der Folge 114, in der die vegane Psychologin Dr. Tamara Pfeiler schon einmal zu Gast war und mir viele Fragen zu den psychologischen Herausforderung in unserem veganen Alltag beantwortet hat.
In dieser Folge sprechen wir nun über folgende Punkte:
- Umgang zu Hause, wenn nicht alle 100% vegan sind (Erklärung der Gründe für vegane Lebensweise trotz des unterschiedlichen Verhaltens der Eltern, ohne, dass nun der nicht-vegane Partner (oder auch die Großeltern) als „böse“ erscheint/en.
- Zusätzlich noch das Thema „Probierenwollen“ von anderem Essen - zulassen oder verbieten? - sei es nun woanders oder in der Familie. Denn gerade unsere Dreijährige möchte häufiger mal beim Papa vegetarisches probieren; oft nimmt sie dann auch eine Alternative, manchmal darf sie aber auch einmal kosten. Da sind wir also nicht immer so ganz konsequent, obwohl wir uns einig sind, die Kinder eigentlich vegan zu ernähren.
- Thema Bauernhofbücher: zensieren? gar nicht vorlesen? irgendwie begleiten?
- Und wie soll ich am besten reagieren, wenn andere Kinder hier bei uns sind und über Fleisch usw schwärmen und sagen "Mama sagt mit Fleisch werde ich groß und stark"
- KiTa/Schule (Sonderrolle aufgrund anderen Essverhaltens (anderes Essen, mitgebrachtes Essen), Gefahr des Außenseitertums hierdurch, Außenseiterrolle vermeiden/vorbeugen, Kind unterstützen/emotional stärken) und
- Kommunikation mit den Eltern als Erwachsene
Tamara hat wieder viele wertvolle Tipps gegeben und ich freue mich, sie in dieser Folge mit Dir teilen zu können.
Links zur Folge
Vegan Mind Training von Dr. Tamara Pfeiler
https://vegan-mind.de/
Transkript (Korrektur gelesen von Lakoja)
Stefanie Ich freue mich sehr, dass ich heute wieder einen Gast habe, und zwar noch einmal Dr. Tamara Pfeiler, die wir schon aus Folge 114 kennen. Und wir hatten damals leider zu wenig Zeit, um ausführlich noch über vegane Kinder zu sprechen und werden das jetzt nachholen. Und ich habe auch einige Fragen gesammelt. Also ich freue mich sehr, Tamara, dass du hier bist.
Tamara Ja, vielen Dank. Ich freue mich auch sehr, dass ich hier sein darf und dass das Thema jetzt so viel Anklang gefunden hat, dass wir tatsächlich noch mal eine komplette Folge dazu drehen, finde ich richtig toll oder aufregend.
Stefanie Genau. Wir sehen uns gerade im Video, deswegen könnte man das auch Drehen nennen. Also von daher: alles gut. Ja, also es ist tatsächlich sehr viel positives Feedback gekommen. Viele haben sich sehr über deine Worte gefreut, was du erklärt hast, was du erzählt hast und es hat vielen schon sehr geholfen. Und der Wunsch war da, dass wir noch mal auf vegane Kinder etwas weiter eingehen. Und die erste Frage war jetzt von einer Hörerin, deren Partner nicht vegan lebt, sondern mittlerweile immerhin vegetarisch, deren Kinder auch noch nicht von Geburt an vegan leben. Die Kinder sind jetzt ungefähr drei und fünf oder sechs und da ist auch die Frage wie kommuniziere ich das denn den Kindern gegenüber, dass jetzt ich selbst als Mutter vegan lebe, aber der Vater lebt halt vegetarisch. Und wie mache ich das denn, dass ich sage “warum lebe ich jetzt vegan”, ohne zu sagen “Na ja, der Vater ist halt böse oder die Großeltern sind böse, weil sie eben nicht vegan leben”?
Tamara Ja, das ist eine super gute Frage, weil das ja ein Konflikt ist, den ganz, ganz viele sozusagen haben. Und ich finde es total spannend, dass genau diese Bewertung der Partner ist böse, wenn er eben noch nicht vegan lebt. Oder generell nicht vegan lebende Menschen, die Angst davor, dass nicht vegan lebende Menschen sozusagen als böse bewertet werden könnten von den Kindern, ist eigentlich eine ganz schöne Projektion, weil Kinder da viel, viel liebevoller und einfacher auch mit umgehen. Das heißt, diese Angst, die da dahinter steckt, ist meistens die Angst von dem Elternteil, und ich kenne das von mir selber auch sehr gut. Ich hatte diese Angst auch, aber die lädt eigentlich dazu ein, dass man sich selbst viel, viel intensiver nochmal mit diesem Thema und vor allem mit den ganzen Bewertungen, die man auch hat, auseinandersetzt und die sozusagen nicht auf die Kinder überträgt. Weil meine Erfahrung ist, dass diese emotionale Schwere dieses Thema halt häufig für uns Erwachsenen hat, für Kinder gar nicht so emotional schwer sich anfühlt. Das heißt, Kinder können ganz gut trennen, wenn man ihnen einfach erklärt okay, es gibt die Kategorie vegan, wir machen das aus den und den Motiven. Und es gibt Menschen, die essen halt anders, ernähren sich halt anders. Und da gibt es gar nicht so einen riesen Diskussionsbedarf bei Kindern. Die akzeptieren das einfach, weil sie sozusagen nicht diese Entweder-Oder-Kategorie haben, sondern bei Kindern funktioniert das mit dem “Und” viel, viel besser noch als bei uns, also bei uns ist ja häufig dieses schwarz-weiß: entweder vegan oder nicht vegan. Und da hängen halt diverse Bewertungen mit dran. Und bei Kindern ist es halt okay, wir machen das hier so und da ist es halt anders. Da sind Kinder wirklich sehr flexibel.
Stefanie Und wie würdest du das machen, wenn das Kind jetzt sagt: “Aber Papa, der isst derzeit Käse, warum macht er das denn?” Also wenn das Kind tatsächlich so nachfragt, warum das so ist, was würdest du da antworten?
Tamara Ich würde da wirklich ganz transparent und auch authentisch mit umgehen. Einmal transparent, dass man einfach erklärt und da ist natürlich das Wissen über Karnismus sehr, sehr hilfreich, dass man einfach sagen kann, es gibt unterschiedliche Gewohnheiten, Menschen haben unterschiedliche Dinge gelernt und manche von uns haben eben gelernt, dass es völlig normal ist bzw. einfach die Gewohnheit ist, Käse aus Kuhmilch zu essen. Und wir oder ich habe mich halt entschieden, diesen Käse nicht mehr zu essen, weil ich das nicht gut finde, wie es mit den Kühen zum Beispiel umgegangen wird und mehr bedarfs eigentlich gar nicht. Also man muss das dann nicht alles total einordnen und wieder kategorisieren in gut oder schlecht. Das hat das Kind also gar nicht so das Bedürfnis häufig danach, kommt natürlich auch noch ein bisschen drauf an, wie alt die Kinder sind. Aber jetzt gerade bei so kleinen Kindern, würde ich sagen, reicht das erstmal aus.
Stefanie Ich stell mir das so vor, also mein Mann lebt ja auch vegan, das heißt, wir haben die Situation hier nicht. Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, meine Schwiegereltern, die nicht vegan leben und wir würden das mit denen zusammen am Tisch diskutieren, dass mein Kind dann sagt “Warum isst Opa denn das und das?” Und Opa hört zu, während ich das erkläre, dass Opa sich vielleicht angegriffen fühlt. Würdest du dann eher das unter vier Augen führen, das Gespräch mit dem Kind, und nicht in Anwesenheit des nicht veganen Parts?
Tamara Das hat natürlich total was mit den Beziehungsqualitäten innerhalb der Familie oder auch zu tun. Das heißt einmal natürlich, okay, welche Themen bespreche ich generell unter vier Augen mit meinem Kind und da kann ja beides wichtig sein. Einmal ein Vier-Augen-Gespräch sowohl mit dem Kind, als vielleicht auch mit dem Opa. Als Vorbereitung für dieses Familiengespräch. Weil wenn die Kinder lernen, dass da jetzt nichts Schlimmes dran ist an dem Thema, dann haben die sicherlich auch das Bedürfnis, mal mit allen sozusagen zu besprechen. Und auch da ist es natürlich wichtig, dass man die Bewertungen rauslässt. Also man kann ja wirklich, also quasi die Bewertung der Person rauslässt. Man kann ja sagen, das Verhalten sehe ich anders. Ich habe da einen anderen Standpunkt dazu, aus dem und dem Grund und trotzdem habe ich den Opa lieb. Und das ist ja sozusagen das, was wichtig ist für die Kinder, dass sozusagen die Beziehungen gewahrt werden. Und ich finde, das ist eigentlich eine total große Chance auch für unsere Kinder, dass sie sozusagen mit einer anderen Verständnis auch groß werden. Ja, weil nämlich das Verhalten ist ja nicht gleich der Person, sondern man kann ein Verhalten von einer Person ablehnen, obwohl man sie sehr gerne hat.
Stefanie Und noch etwas zu diesem Thema. Also da war auch noch eine Frage zusätzlich zum Essen. Also das Thema probieren wollen von anderem Essen zulassen oder verbieten. Ich lese das immer einmal kurz vor, sei es nun woanders oder in der Familie, denn gerade unsere 3-jährige möchte häufiger mal beim Papa Vegetarisches probieren. Oft nimmt sie dann auch eine Alternative. Manchmal darf sie aber auch einmal kosten. Da sind wir also nicht immer so ganz konsequent, obwohl wir uns einig sind, die Kinder eigentlich vegan zu ernähren. Was sagst du denn dazu?
Tamara Das finde ich total spannend. Also wenn sich die Eltern sozusagen einig darüber sind, dass sie ihre Kinder vegan ernähren wollen, warum ernährt sich der Partner zu Hause dann nicht auch vegan? Also ich kann das ja total verstehen, wenn da eine Uneinigkeit herrscht zwischen den Partnern, zwischen den Eltern. Der eine sagt vegan, der andere sagt zum Beispiel vegetarisch, dass dann natürlich alles auf den Tisch kommt, was die Partner oder die Elternteile sagen und die Kinder dann sozusagen beides tatsächlich auch als Auswahl haben. Klar, verstehe ich. Spannend finde ich es jetzt in diesem speziellen Fall, wenn man sich schon einig ist, dass man die Kinder vegan ernähren möchte, dann wäre für mich, zum Wohle der Kinder sozusagen, um die nicht in diesen Konflikt zu bringen, dass sie also unterschiedliche Kategorien zu Hause haben. Wäre dann eher die Frage, warum lässt sich der Partner nicht auch auf vegan zumindest zu Hause ein? Also da würde ich eher dann nochmal gucken, was da für Schwierigkeiten sind.
Tamara Das andere ist, dass natürlich auch da, finde ich, gibt es kein richtig und falsch. Da gibt es keinen richtigen Ratschlag sozusagen, sondern es geht immer für mich darum, dass man einen Kompromiss findet, wo jeder, also vor allem die Erwachsenen, sich wohl mit fühlen oder zumindest mit anfreunden können. Weil wenn der erwachsene Elternteil sich nicht wohlfühlt, dann überträgt sich das immer auf das Kind. Das heißt, wenn das Kind Probleme hat, dann darf man immer erst mal bei sich selber hingucken, was sozusagen bei einem selbst der zugrunde liegende Konflikt ist. Deswegen würde ich tatsächlich sagen, es gibt da keinen Ratgeber, sondern es ist wirklich auch eine Frage jetzt, unabhängig von dem Thema, wie tolerant gehen wir innerhalb der Familie miteinander um? Wie offen thematisieren wir unsere Gefühle? Wie wertungsfrei können wir auch mit den Gefühlen der anderen Personen umgehen? Fühlen wir uns schnell angegriffen? Gibt es da emotionale Verstrickungen, die schwierig sind? Ja, irgendwelche Dynamiken? Haben wir bestimmte Muster, in denen wir immer wieder reagieren, sozusagen das erst mal sich anzugucken, bevor man da sozusagen dieses Thema auf die Kinder projiziert und bei den Kindern dann anfängt herumzudoktern in Anführungsstrichen. Also ich habe wirklich immer die Erfahrung gemacht, wenn die Eltern fein sind mit dem wie sie es für sich handhaben, ist es für die Kinder auch in Ordnung.
Stefanie Okay, jetzt noch aus einer anderen Familie, wo alle vegan leben, also die Eltern und die drei Kinder, hat die Mutter starke Probleme damit, wie sie reagieren soll, wenn andere Kinder, also befreundete Kinder, die auch schon so im Grundschulalter auf jeden Fall sind, bei denen sind und über Fleisch schwärmen, zum Beispiel, und sagen “Mama sagt, mit Fleisch werde ich groß und stark” und sie weiß einfach nicht, was sie dazu sagen soll. Das verschlägt ihr halt jedes Mal die Sprache.
Tamara Ja, da ist es natürlich auch gut, sozusagen, wirklich Karnismus zu verstehen und sich nicht emotional oder persönlich angegriffen zu fühlen dann in dem Moment, sondern es wirklich sozusagen auch ein bisschen Distanz reinzubekommen über dieses Verständnis, über Karnismus und seine ganzen psychischen Mechanismen, die da eben mit involviert sind. Und was meine Erfahrung ist, ist da einfach ganz gut zu sagen, darauf einzugehen, zu sagen Ja, das stimmt, Viele Menschen haben genau dieses Denken, dass es so ist. Wir können ja mal gucken, ob das tatsächlich so stimmt. Und da kann man ja sehr gut ins Tierreich gehen und sich zum Beispiel da mal die großen, starken Tiere raussuchen, wie zum Beispiel ein Elefant oder ein Gorilla und sagen “okay, was sind denn hier die großen, starken Tiere?” Und quasi mit den Kindern wirklich ins Gespräch zu gehen und das so ein bisschen mehr wie so eine Forscherinnen-Herangehensweise sozusagen aufzuziehen, um aus diesem persönlichen Angriff, der ja häufig unter emotionaler Betroffenheit sozusagen rauszukommen und das wirklich ein bisschen spielerischer mit Kindern zu besprechen, weil die merken ganz schnell, dass das nicht unbedingt das einzig Wahre ist, sondern dass es einfach unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt. Und das ist ja auch okay. Ja, ich finde, das ist sozusagen, das darf man sich auch langfristig überlegen. Wenn wir jetzt gerade noch die Mehrheit karnistisch sozialisiert ist mit genau diesen Glaubenssätzen, dann ist der nächste Schritt nicht, dass die Mehrheit vegan mit veganen Glaubenssätzen sozialisiert wird, sondern dann ist sozusagen die Frage wie können wir Karnismus erst mal aufweichen. Und der allererste Schritt ist, dass wir ein Bewusstsein überhaupt darüber entwickeln, dass das nur Meinungen sind und nicht die Wahrheit. Also keine Fakten, sondern wirklich Glaubenssätze. Und genau da finde ich, kann man sehr, sehr gut mit anderen erwachsenen Ansätzen, aber eben auch mit Kindern, dass die da ein Bewusstsein schon entwickeln. Okay, meine Mama sieht es so, die Mama von Paul sieht es aber so und die von Linda sagt das und das dazu.
Stefanie Ja, okay. Ich habe noch selber eine Frage. Tatsächlich? Nicht nur Hörer Hörerinnen fragen. Und zwar so Bauernhof-Bücher. So was also habe ich jetzt. Haben wir jetzt nicht mehr so das Thema. Mein Kind ist ja jetzt schon neun, aber hatten wir auch. Also gerade bei so kleineren Kindern hat man das ja meistens so im Regal, oder? Wie gehst du damit um? Zensierst du so was? Kaufst du das gar nicht? Nutzt du nur Alternativen? Wie machst du das?
Tamara Das ist eine total coole Frage, weil ich immer beim Vorlesen Bücher umgedichtet habe. Also nicht nur die Bauernhofbilder, das sind bei mir generell Lebenshofbücher, weil die Wahrheit des Bauernhofes wird ja in keinem Buch thematisiert. Es wird ja nie gezeigt, dass ein Tier geschlachtet wird oder gegessen wird. Deswegen kann man sehr gut Bauernhofbücher in Lebenshofbücher umdichten. Ich habe das übrigens auch bei Genderthemen immer gemacht. Ich habe einfach die Figuren ausgetauscht. Ja, ich habe das Mädchen dann einfach mit einem Jungennamen vorgelesen und den Jungen mit dem Mädchennamen, um da sozusagen bisschen Abwechslung und Diversität reinzubekommen. Und das ist doch mega cool. Solange das Kind noch nicht lesen kann, kann man das easy sozusagen machen und muss nicht nur neue Bücher kaufen. Ähm, aber klar, es ist natürlich auch total schön, wenn man vegane Bücher oder Geschichten zu Hause hat. Da gibt es ja leider aber nicht so viele und die wenigsten sind positiv, sondern es sind ja viele auch sehr schwer. Oder mit traurigen Inhalten. Genau.
Stefanie Ja, also mich hat das immer mit Mama Muh zum Beispiel gestört, dass da nie irgendwo ein Kälbchen auftaucht. Aber die werden immer alle zum Melken gebracht und das habe ich dann irgendwann auch mal thematisiert. Dann, als mein Kind ein bisschen älter war und da, als er angefangen hat mit Mama Muh, da waren wir noch vegetarisch. Das heißt, das ist uns nicht aufgefallen, das ist quasi mit uns so ein Prozess gewesen. Aber heute würde ich das eben auch dann wieder anders machen. Und deinen Ansatz finde ich total cool, so zu dichten, einfach zu sagen, das ist ein Lebenshof oder generell das einfach anders vorzulesen.
Tamara Das ist total super. Und das Coole ist ja also auch vegane Ersatzprodukte, die sehen ja einfach genau gleich aus. Das heißt, wir sagen dann halt, okay, ist halt ein Pflanzenkäse oder Mandelkäse oder das ist halt jetzt ein Haferdrink oder eine Tofu-Salami. Also, das machen wir schon auch und ich finde es aber auch sehr cool, was du jetzt gesagt hast. Man ist doch auch selber immer in einem Prozess und das ist wirklich eine Erfahrung, die ich so häufig mache, dass, wenn wir vegan werden oder geworden sind, dann suchen wir halt so krass nach Sicherheit, weil das ist ja eine ganz tiefe Verunsicherung einfach auch mit sich bringt, dass wir erleben, dass das, womit wir aufgewachsen sind, wenn wir vorher vegetarisch waren, wo wir schon dachten, wir verhalten uns schon ethisch korrekt und dann kommt auf einmal raus: Oh mein Gott, das stimmt gar nicht. Das ist so eine krasse Verunsicherung, die viele auch wirklich mit sich tragen. Und da ist es eine total normale Reaktion, dass wir dann versuchen, ganz viel Sicherheit uns zu erschaffen im Außen. Und wichtig ist aber aus meiner Perspektive, dass wir uns wirklich erlauben, dass wir diesen Prozess teilen. Nicht nur mit unseren Kindern, sondern auch mit unseren Familienangehörigen, auch mit Fremden. Dass es nicht darum geht, jetzt die die beste, überzeugendste, unangreifbarste, perfekteste Veganerin zu sein, sondern dass es wirklich darum geht, genau andere Menschen in diesen Prozess mit rein zu nehmen, auch in den emotionalen Prozess, weil das der absolute Türöffner ist für dein Gegenüber. Weil dieses Ich muss jetzt total hier, darf nur noch richtige Argumente bringen, muss das beste Argument bringen, muss total überzeugend sein, darf überhaupt keine Ambivalenz auch gegenüber meinem Kind spüren. Also auch nicht. Das darf kein Konfliktthema sein. Es ist doch Quatsch. Es ist doch ein Konfliktthema und das ist das authentischste und auch das einladendste, das zu thematisieren, anstatt zu sagen “okay, ich sehe das jetzt so und so und das ist das einzig Wahre” und die Vergangenheit so ein bisschen abzuschneiden und gar nicht mehr zu thematisieren, das ist ja eigentlich das, wo es dann auch in Gesprächen häufig sehr anstrengend wird, weil dann alle nur noch recht haben wollen und sich gegenseitig versuchen zu überzeugen und man sozusagen die persönliche Beziehung eigentlich total verliert.
Stefanie Ja, also ich merke das halt auch bei uns, dass wir da, als wir eben vegan geworden sind und das Kind war so zweieinhalb ungefähr, da hat es natürlich noch nicht so viel verstanden von dem, was wir da gemacht haben. Das heißt, da kommen Gespräche dann auch so im Nachhinein, dass ich dann sage, ja, wir waren halt auch früher so und deswegen können wir das eben auch verstehen, dass andere Menschen vielleicht diesen Weg einfach noch nicht gegangen sind oder das noch nicht irgendwie so sehen, wie wir das sehen. Und das hilft. Unserem Kind hilft das sehr. Aber natürlich kommt das ja ganz individuell auch wieder auf den Weg an. Wenn jetzt das Kind natürlich schon vegan geboren wird, sage ich mal, wie deine beiden Jüngeren, dann ist das ja auch eine ganz andere Voraussetzung. Wenn du dann schon fest bist in deinen Argumenten, deiner Überzeugungen, deinem Wesen vielleicht auch. Bei mir war es halt viel so, dass ich erst mal meine Werte neu sortieren musste und so einen ganzen Weg gehen muss, bis ich überhaupt da einen Weg gefunden habe, damit umzugehen. Und vielleicht ist es auch eigentlich eine ganz gute Überleitung zur nächsten Frage, denn ich hatte damals tatsächlich im Kindergarten, wir sind quasi vegan geworden und das Kind kam dann in den Kindergarten, hatte ich eine kurze Phase, wo ich gedacht habe “Oh ja. Kinder müssen selbst entscheiden können, was sie essen dürfen und deswegen darf mein Kind, obwohl es vorher nur vegetarisch gelebt hat, jetzt auf einmal alles essen.” Und mein Kind war total überfordert damit. Also er ist damit gar nicht klar gekommen und hat dann auch darum gebeten, tatsächlich, dann war er schon drei, hat darum gebeten, dass ich wieder sage, was er jetzt essen kann und was nicht.
Tamara Ja, ganz spannendes Thema. Auch ein riesen Streitpunkt oder ein riesen Konfliktthema, auch bei ganz vielen, weil ja viele tatsächlich Angst haben, ihre Kinder da in irgendeinen Druck oder Zwang sozusagen reinzugeben. Und da finde ich es auch einfach nochmal total wichtig, sich bewusst zu machen, dass eine karnistische Lebens- oder Ernährungsweise, also Tiere zu essen, auch einen Zwang und einen Druck sozusagen darstellen. Ja, in unserer aktuellen Gesellschaft. Also die Mehrheit hat sich ja nie bewusst und selbstbestimmt und frei und reflektiert dafür entschieden, Tiere zu essen, sondern ist genau so von klein auf geprägt worden und so aufgewachsen, dass das irgendwie normal ist und selbstverständlich und einfach dazugehört. Obwohl das so heftige ethische Konsequenzen oder auch Umweltkonsequenzen auf unsere Umwelt hat. Und da finde ich es total spannend, dass das eigentlich totales Minderheitenproblem ist, was du beschreibst. Also wir lehnen sozusagen ein Verhalten ab und nur in Anführungsstrichen, weil es von der Mehrheit als soziale Norm akzeptiert ist, denken wir, wir müssten unser Kind sozusagen die Wahl überlassen, ob es jetzt zu diesem mehrheitlichen Verhalten sich dafür entscheiden möchte oder nicht. Und wenn man sich das unter dieser Perspektive mal anschaut, dann muss man einfach sagen: “Unser Kind hat ja fast gar keine Wahl, wenn wir ihm die Wahl lassen, sondern es beugt sich, wenn, dann dem sozialen Druck, den eine soziale Norm sozusagen ausübt.” Aber es ist weder von seiner emotionalen noch von seiner kognitiven Reife in der Lage, mit 3,4,5,6,7 wirklich frei zu entscheiden. Und was würde das denn eigentlich bedeuten, frei zu entscheiden, dass ich mich sozusagen gegen 90 % der Gesellschaft richte? Das ist ganz schön viel erwartet von so einem Kind. Und ich finde, dass es eher dazu führt, dass wir die Verantwortung abgeben und uns auf unser Kind sozusagen aufladen und unser Kind ein bisschen auch alleine lassen, in dem Moment, weil wir sozusagen für uns selbst die innere Stärke oder die Kraft innerlich nicht haben, eine klare Position einzubeziehen. Übertragen wir die Verantwortung auf unser Kind und überfordern es aber gnadenlos damit. Und ich hatte das ja auch erzählt, glaube ich, mit meiner größten Tochter, die sozusagen in diesen zwei Welten aufgewachsen ist. Und ich muss sagen, in dem Moment, wo ich ganz klar und auch ganz resolut Position bezogen habe, hat sich das Ganze auch entspannen können, weil ich dann ihr nicht mehr die Verantwortung sozusagen abgegeben habe oder überlassen habe, sie alleine gelassen habe, sondern sie hat einfach eine ganz klare Haltung, kennt sie von mir und daran kann sie sich natürlich auch abarbeiten. Also ich bin dann ein Gegenüber und dann kann sie rebellieren. Das kann sie natürlich auch mal scheiße finden, aber mir ist es lieber, sie findet das dann mal scheiße, anstatt dass sie sich allein gelassen fühlt. Und ich finde das eigentlich auch unsere Aufgabe als Eltern, genau das auszuhalten, dass wir auch mal scheiße sein dürfen. Für und bei unseren Kindern. Und dass wir halt da ganz klar sagen: “okay, das sind meine Regeln”. Und die können ja unterschiedlich sein. Ich kenne vegane Eltern, die sagen, für mich ist es okay. Also wirklich okay, wenn mein Kind vegetarisch isst im Kindergarten. Ich kenne aber auch ganz viele, die sagen, es geht nicht anders und die fühlen sich total unwohl damit. Und dann würde ich sagen, geht es eher darum, zu sich zu stehen, das zu respektieren, auch sich selbst zu respektieren, da integer, sich selbst gegenüber zu sein und sich dann eher zu überlegen okay, ich brauche jemand oder ich brauche vielleicht Unterstützung, um mich innerlich zu stärken, dann hole ich mir die, damit ich da einen anderen Umgang oder eine andere Lösung finde. Und meine Erfahrung ist da tatsächlich, wenn man ins Gespräch geht mit anderen, auch mit Einrichtungen, dass es Lösungen gibt. Man muss aber halt fragen, wenn man sich noch nicht mal traut, das Thema überhaupt anzusprechen und zu fragen: “Hey, wie sieht's aus? Kann ich vegane Alternativen mitbringen? Kann ich das Mittagessen selber mitbringen?” und und und. Dann kann man auch keine Lösung finden.
Stefanie Ja, das passt jetzt super, was du gerade alles erzählt hast. Zu der letzten Frage, die ich hier noch bekommen hatte zum Thema Kita-Schule. Sonderrolle aufgrund anderen Essverhalten, anderes Essen, mitgebrachtes Essen, Gefahr des Außenseitertums hierdurch. Also wie kann man diese Außenseiterrolle vermeiden, vorbeugen und das eigene Kind unterstützen und emotional stärken? Das war noch so wichtige Themen, die Antworten suchten.
Tamara Das finde ich auch eine mega tolle Frage. Aus der Mobbingforschung weiß man und es ist immer hart, gerade für Menschen, die Mobbingopfer sind, dass es eben auch was mit der Person zu tun hat, die gemobbt wird. Das hat jetzt nichts damit zu tun, dass jemand, der gemobbt wird, irgendwie selbst schuld ist. Aber das sagt was aus, dass es eine bestimmte Vorerfahrung dieser Person gibt, die Opfer von Mobbing zum Beispiel wird, zum Beispiel geringen Selbstwert, ja, wenig Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, die fehlt und und und. Und da geht es wirklich nicht darum, dass irgendjemand selbst schuld ist, wenn er irgendwie ausgegrenzt wird oder so. Das gar nicht. Und genau da finde ich, kann man aber mega gut ansetzen, auch bei uns. Also erstmal wäre für mich wieder: Fühlen die Eltern sich als Außenseiter? Fühlen wir Veganer:innen uns als Außenseiter oder können wir die Perspektive einnehmen: Hey, wir sind hier die Pionier:innen eigentlich in der Gesellschaft? Ja, wir gehen wirklich einen komplett neuen Weg. Wir haben komplett andere, neue Visionen für die Welt und wir sind die, die vorangehen. Wir sind die Allerersten. Und natürlich ist es ungemütlich. Ja, also es ist wirklich ungemütlich, weil wir ja ins Dunkle reinlaufen und also einen Weg gehen, den vorher noch keiner gegangen ist und dann auch noch ganz schön krassen Gegenwind sozusagen von der Mehrheit der Gesellschaft bekommen, weil die sagen: “Hey, was machen ihr da, das wollen wir aber gar nicht, wir fühlen uns eigentlich ganz wohl, wo wir jetzt gerade sind, da wollen wir aber nicht wirklich hingucken.” Und jetzt geht es darum, dass wir natürlich diese, also erst mal uns selbst sozusagen, dafür abfeiern, wirklich Hardcore abfeiern müssten, was wir Geiles hier gerade machen, dass wir uns überhaupt dafür entschieden haben, dass wir den Mut haben, dass wir die Kraft haben, die Stärke haben, freiwillig in eine Minderheitenrolle zu gehen. Und dass wir aufhören sollten, uns selbst als Außenseiter Minderheit zu sehen, sondern wirklich, wir sind die Minderheit, die vorangeht, wir sind die Pionierinnen innerhalb der Gesellschaft. Und wenn wir das sozusagen auf unsere Kinder dann auch übertragen können, dass wir unsere Kinder darin abfeiern können, dass es eine krasse innere Stärke einfach auch ist, zu sagen: “Hey, nur weil ihr alle anderen das anders macht, find ich's nicht richtig oder mach ichs anders?” Natürlich bedarf das ein ganz schönes Selbstvertrauen und Selbstsicherheit und genau das brauchen noch unsere Kinder. Die sollten viel mehr gestärkt werden in dieser Selbstsicherheit, in ihrem Selbstwert, dass sie eben nicht zu Mitläufern werden, zu Menschen werden, die lieber die Klappe halten, weil es irgendwie unangenehm sein könnte. Die sich unterdrücken lassen, nur weil jemand vielleicht ein Lehrer ist und der in der Hierarchie ein bisschen weiter oben steht. Das wollen wir doch gar nicht. Wir wollen doch selbstdenkende, selbstverantwortliche junge Menschen, die wirklich auch in der Lage sind, hier was Neues auch zu kreieren, weil wir brauchen das ja und das ist wirklich so, finde ich, auch wieder phänomenal, wenn wir es sozusagen schaffen, unsere innere Perspektive zu switchen. Und das ist nur eine Perspektive, da braucht es noch nichts im Außen, nur die Frage, wie bewerte ich das als Außenseitertum oder bewerte ich das als etwas, wo man sich echt mächtig auf die Schulter klopfen kann? Allein das macht schon so viel aus, macht einen riesen Unterschied.
Stefanie Und hast du da konkrete Tipps? Vielleicht, wie du jetzt deine eigenen Kinder stärkst? Also vielleicht, ie kleineren sind da ja noch nicht so sich dessen bewusst. Aber vielleicht deine ältere Tochter.
Tamara Auf jeden Fall. Die kleineren lieben das auch. Also wenn du dir mal anguckst: kleine Kinder haben überhaupt kein Problem zu sagen; “Hey, ich liebe mich, ich find mich richtig super”, das ist ja ihre Natur, sozusagen sich selbst gut zu finden. Und was passiert bei uns im Laufe der Jahre? Gerade Pubertät und so finden sich alle nur noch scheiße. Das ist ja ein riesen Problem. Und dem können wir entgegenwirken, indem wir wirklich uns erlauben, dass wir unsere Kinder abfeiern können, also richtig abfeiern und wertschätzen. Ja, also auch wirklich sagen: “Hey, du bist einfach nur dadurch, dass du bist, dein Sein ist schon ein riesen Geschenk”. Ich sag meinen Kindern zum Abends immer: “Ich liebe dich und bin super dankbar dafür, dass ich deine Mama sein darf.” Ja, ich sage ihnen regelmäßig: “Hey, du bist so ein tolles Kind. Ich find dich einfach super.” Allein das. Das sind Sätze, die haben wir nicht unbedingt gehört. Also unsere Generation, geschweige denn unsere Eltern. Natürlich konnten die das uns auch nicht sagen, weil die das selber auch nicht gehört haben. Ja, da war ja schon die größte Weiterentwicklung, dass die Eltern ihren Kindern gesagt haben: ”Hey, ich liebe dich”, zum Beispiel. Oder keine körperliche Gewalt mehr als Erziehungsmethode angesehen haben. Und da sind wir halt auch, finde ich, auf einem riesen Weg. Das ist alles ein Prozess und wirklich zu sagen auch meinen Kindern: “hey, ist es mega cool, wenn du dich selber auch toll findest.” Also weg von diesem. Oh Gott, es könnte irgendwie arrogant oder eingebildet sein. Nee, Eigenlob ist richtig cool. Du darfst dich selber toll finden, du darfst dich selber witzig finden. Ja, also wirklich. All das sozusagen zu fördern. Und, ja, das ist natürlich ganz viel über verbal, also ganz viel Kommunikation, weil das, wie wir mit unseren Kindern kommunizieren, so kommunizieren unsere Kinder später auch mit sich selbst. Und wie wir das von uns wissen, so wie wir mit uns selbst sprechen. Und wir haben als Erwachsene meistens noch riesengroßen Kritiker, eigenen Kritiker in uns, der uns ja sozusagen die ganze Zeit nur beschwert und sagt: “Das hast du nicht gut gemacht, das war scheiße. Ach, heute siehst auch noch kacke aus und da entspricht dem nicht so viel, wie du eigentlich sein solltest” und und und. Und genau das kommt aber darüber, dass wir halt auch so, sozusagen, mit uns selbst kommunizieren. Und dem können wir natürlich sehr entgegenwirken, wenn wir anders mit unseren Kindern sprechen.
Stefanie Ja, ich habe die ganze Zeit nur genickt. Das hört man natürlich nicht. Deswegen genau, ja, auf jeden Fall denke ich auch, dass wir da als Elterngeneration schon einiges mitgenommen haben, wo jetzt halt vielleicht auch unsere Aufgabe ist, als Eltern da einen Cut zu machen und das aufzuarbeiten, um dann das nicht weiter an die Kinder zu geben. Wobei wir natürlich automatisch ja einiges weitergeben.
Tamara Genau, und deswegen ist es halt so wichtig, dass aber auch wir Eltern mit unseren Verletzungen und Traumatisierungen, die wir erlebt haben, als Kinder, dass wir wirklich den Mut haben und auch die Bereitschaft haben, das aufzuarbeiten, um eben diesen Kreislauf wirklich zu kappen. Weil so, wie ich mit mir jetzt spreche, spreche ich natürlich auch mit meinem Kind. Ich habe auch scheiß Tage, wo ich mich selbst fertig mache und dann rutscht mir auch was fieses meiner Tochter gegenüber raus. Das ist ja total normal und menschlich, weil natürlich unsere Beziehungen immer ein Spiegel sind, wie wir in Beziehungen mit uns selbst sind. Ja, und genau deswegen ist es aber so unglaublich wertvoll und so unglaublich stärkend, wenn eine Person im System, also in meiner Familie, es reicht wirklich eine Person, wenn beide Eltern das zusammen machen, ist das natürlich noch mal cooler. Wenn die sozusagen anfängt etwas zu verändern, dann verändert man immer das System mit. Und das darf man nicht vergessen. Also es lohnt sich nicht nur für einen selbst, sondern eben auch für alle anderen um einen herum, die man sehr liebt, sogar bei den Eltern. Also ich weiß noch, wir haben vor zwei Jahren, an Silvester oder Weihnachten war das, durfte jeder einmal Konfetti schmeißen über sich selbst und wir haben gerufen: “Ich liebe mich!” Und wir haben Videos gedreht und mein Papa, meine Mama, die haben noch nie gemacht. Alle fanden es toll. Alle fanden es natürlich auch ein bisschen befremdlich. Klar, wenn man es noch nie gemacht hat. Aber die fanden, das hebt automatisch die Energie und die Stimmung. Mega witzig. Kann ich jedem empfehlen. Das wäre wirklich ein Tool, das regelmäßig auch in den Familienalltag einzubauen. Kann man auch mit Blättern, Gras Es muss ja kein Konfetti sein, kann man auch mit etwas Nachhaltigerem machen oder einfach nur so sich abfeiern.
Stefanie Da du jetzt die Eltern, also die Großeltern quasi bzw. wenn ich erwachsen bin, meine Eltern genannt hast, stelle ich dann noch eine kurze Frage, bevor wir zum Ende kommen: Und zwar ist das auch was, was ich schon öfter gefragt wurde: Wie gehe ich denn, wie kommuniziere ich als Erwachsene oder als Erwachsener mit meinen Eltern über Veganismus? Hast du da noch einen Tipp?
Tamara Ja, also das ist natürlich auch ein riesen Thema in ganz vielen Familien. Grundlage dafür ist immer, wie gesund, funktional und liebevoll ist die Beziehung dieser Eltern-Kind-Beziehung. Wenn die natürlich schon sehr konfliktreich ist, dann werden sich diese Konflikte natürlich auch in diesem Thema weiter forttragen. Aber was ich wirklich sagen kann, ist, dass es sehr, sehr produktiv oder sehr, sehr gut ist, wenn man wirklich die Dinge proaktiv anspricht. Das heißt, man überlegt sich vorher, was für Befürchtungen könnten denn eigentlich hochkommen bei den Großeltern? Und da ist bei allen: das Kind könnte, also das Enkelkind könnte nicht genügend Nährstoffe bekommen, weil da ja wirklich diese ganzen karnistischen Überzeugungen noch sehr, sehr, stark vertreten sind und dass man wirklich das auch anspricht und sagt: “Ja, ich kann mir gut vorstellen, du hast die und die Ängste. Ich kann dir nur sagen, ich habe mich sehr intensiv damit auseinandergesetzt”, anstatt in so eine Rechtfertigungssituation zu kommen, wo man das Gefühl hat, man muss sich nur noch verteidigen. Also wirklich die Ängste ganz aktiv anzusprechen, auch das, was wir am Anfang hatten. Ich möchte, dass ihr wisst, dass ihr deswegen jetzt keine schlechten Menschen für mich seid. Also wirklich diese Themen zu enttabuisieren, weil diese Bewertungen ja bei allen stattfinden. Unsere Mitmenschen sind ja nicht doof. Ja, die wissen natürlich, wenn ich jetzt sage: “Hey, ich leb jetzt vegan und ich find es total scheiße, dass andere Tiere getötet werden.” Es ploppt bei denen natürlich direkt die Gedankenblase auf und dann denken sie: “Oje, findet die mich jetzt auch scheiße?” Diese Angst ist bei ganz vielen da. Und wirklich diese Themen ganz bewusst auch anzusprechen, das bedarf natürlich dann wieder erst mal einer intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen inneren Welt, was eigentlich dafür Bewertungen und auch Gefühle hochkommen. Und das kenne ich ja auch von mir selbst und von ganz vielen anderen. Dass nach der Umstellung neben dieser Unsicherheit und diesem großen Schock sozusagen, den man da hat, natürlich ganz viel Wut auch hochkommt. Ich war auch so wütend, weil ich dachte, meine ganzen moralischen Instanzen in meinem Leben, wieso hat mich denn keiner aufgeklärt? Das kann doch irgendwie nicht sein. Ja, und das dann sozusagen dem Karnismus in die Schuhe zu schieben und nicht den Eltern, die dann was wieder falsch gemacht haben. Also, da bedarf es natürlich viel Reflexion.
Stefanie Ja, ich wollte auch sagen, das setzt natürlich voraus, dass ich eben meinen Eltern nicht die Schuld gebe oder sie nicht als böse abstempel, damit ich überhaupt mit ihnen so sprechen kann, dass ich dann sage: “Okay, nein, ihr seid nicht böse für mich”, aber das ist halt quasi dann die Grundvoraussetzung, um überhaupt ein konstruktives Gespräch führen zu können.
Tamara Ja, und auch die andere Meinung wieder mit reinholen. Also zum Beispiel zu sagen: “Hey, ich, für mich geht's jetzt gar nicht mehr, dass mein Kind irgendwelche tierische Produkte isst. Hast du denn da eine Idee, wie wir unsere gemeinsamen Essen zum Beispiel gestalten könnten?”, anstatt zu denken okay, ich muss jetzt hier total alles kontrollieren, muss jetzt für alle möglichen Eventualitäten schon eine Lösung haben, Vorschlag haben und sag dann nur noch hier: “Das sind meine Bedingungen. Friss oder stirb.” Das führt ja auch häufig sozusagen dazu, dass der andere sich dann vor den Kopf gestoßen fühlt, sondern auch da könnte man viel mehr wieder ins Gespräch gehen und wirklich auch zusammen nach einer Lösung schauen.
Stefanie Okay, jetzt sind wir schon wieder am Ende unserer Zeit angekommen, also danke ich dir jetzt auf jeden Fall schon mal für das, was du alles wieder beantwortet hast und für die ganzen Tipps. Hast du zum Abschluss noch irgendwie einen Tipp, der dir so auf dem Herzen liegt, was du gern noch teilen möchtest?
Tamara Ja, also was? Was ich immer wieder feststelle, ist wirklich, dass es, je besser wir mit uns selber klarkommen und ich meine jetzt nicht nur klarkommen im Sinne von: ja, okay, das irgendwie aushalten, sondern umso liebevoller und zugewanter die Beziehung mit uns selbst ist, wie wir mit uns sprechen, wie wir mit uns umgehen, das braucht es einfach, vor allem in der veganen Community, also nicht nur unter veganen Eltern, sondern generell, dass wir diese, diese Verletzungen und auch diese Traumatisierung, die viele eben mit sich mitnehmen dadurch, dass sie der Wahrheit auf einmal in die Augen blicken und diese ganze Gewalt irgendwie sehen, braucht es einfach wirklich psychische Selbstfürsorge. Und das ist sozusagen ein bisschen mein Appell an alle Veganerinnen und Veganer, da wirklich gut auf sich achtzugeben. Und ich möchte einfach auch nochmal sagen, dass es anders geht. Wir wir finden uns häufig mit Dingen ab, weil wir vielleicht in dem Moment keine Lösung sehen. Und meine Erfahrung ist aber gerade als Psychologin, dass ganz viel psychologisches Wissen noch gar nicht da ist, also dass es da wirklich noch ganz viel Aufklärung zu braucht. Und ich sehe das sozusagen mit den Menschen, mit denen ich arbeite. Was für ein unglaubliches Veränderungspotenzial diese psychologische Arbeit hat. Also das ist wirklich lebensverändernd. Kann ich so sagen, habe ich bei mir selber erfahren, weil ich auch wirklich lange, lange Depression hatte. Kannst du ganz offen sagen, über mehrere Jahre immer wieder und das sozusagen für mich auch darüber lösen konnte und das eben auch immer wieder auch bei anderen sehe, es geht anders. Wir wissen nur manchmal halt in den Situationen nicht, wie es anders geht. Und, ja, also da wirklich nochmal diese Hoffnung gibt es und es gibt Mittel und Möglichkeiten, man darf vielleicht einfach mal an einer anderen Stelle gucken und suchen, als wo man bisher gesucht hat. Das ist ja auch meistens so, wenn man denkt, man muss jetzt besonders gut aufgestellt sein in Gesprächen, dann guckt man halt, das ist jetzt das beste Argument für meinen Standpunkt, wie kann ich noch besser argumentieren? Vielleicht geht's gar nicht darum, sondern es geht darum, viel weicher wieder zu werden, viel durchlässiger, viel offener, viel authentischer und auch emotionaler. Und es geht emotional zu sein, ohne sich selbst oder andere abzuwerten.
Stefanie Ja, super. Danke für das schöne Schlusswort. Und ja, ich bin gespannt, vielleicht müssen wir dann noch mehr Folgen machen.
Tamara Sehr gerne. Lass uns einfach einen neuen Podcast machen.
Stefanie Also zu diesen ganzen Fragen. Also, von daher herzlichen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast.
Tamara Ich danke dir für deine Fragen und auch den Menschen, die jetzt hier die Fragen eingereicht haben. Vielen Dank für euch alle. Ihr seid toll.
Hinweis zum Von Herzen Vegan Clan
Im November 2021 ist der Von Herzen Vegan Clan ein Teil meiner damals neuen Community, des Experimentariums geworden.
Das Experimentarium gibt es seit Dezember 2022 nicht mehr.
Ich bin gerade dabei eine neue Online-Community aufzubauen. Wenn Du interessiert bist, schau doch mal vorbei: