Folge 128 - Die grüne Lüge

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Folge 128 - Die grüne Lüge

In dieser Folge

  • spreche ich (Stefanie) mit Svenja Sgodda über das Buch "Die grüne Lüge" von Kathrin Hartmann,
  • besprechen wir welche Inhalte uns besonders bewegt haben und
  • erörtern wir, was Du nach der Lektüre tun kannst.

Zu dieser Buchbesprechung habe ich Svenja Sgodda eingeladen, da sie sich im Vorfeld schon sehr stark mit dem Buch auseinandergesetzt hatte und ich es spannend fand, ihre Sicht auf das Buch zu erfahren.

Svenja hat eine ganze zeitlang auf apfelmaedchen.de zu den Themen Nachhaltigkeit und Minimalismus gebloggt. Sie ist die Veranstalterin der MinimalKon, ist selbst Minimalistin und lebt seit vielen Jahren vegan.

Damit ist sie die perfekte Gesprächspartnerin für die Buchbesprechung von "Die Grüne Lüge". Hör doch einfach einmal rein...

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Vollständiges Transkript

Stefanie In dieser Folge habe ich einen Gast. Und zwar bin ich diesmal nicht mit Carsten zusammen, sondern mit Svenja. Und jetzt fragst du dich, liebe Hörerin, lieber Hörer, wahrscheinlich, wer Svenja ist. Und deswegen darf ich Svenja jetzt einmal kurz vorstellen.

Svenja Ja hallo, mein Name ist Svenja, wie wir gerade schon erfahren haben und ich beschäftige mich seit ungefähr 2013 mit den Themen Minimalismus und Veganismus und auch Nachhaltigkeit. Eine ganze Zeit lang habe ich zusammen mit meinem Freund unter Apfelmädchen & sadfsh gebloggt. Vielleicht kennen das die einen oder anderen noch. Und im Rahmen der europäischen Nachhaltigkeitswoche habe ich vor einigen Wochen das Buch „Die grüne Lüge“ gelesen und freue mich deshalb sehr, dass Stefanie mich heute eingeladen hat und wir zusammen noch mal ein bisschen darüber reden wollen.

Stefanie Also noch mal herzlich willkommen. Ja und genau wie Svenja schon sagt, es geht jetzt um das Buch „Die grüne Lüge“. Ich würde es ja jetzt in die Kamera halten, aber es macht keinen Sinn. (lacht) Genau. Das Buch „Die grüne Lüge“ ist von Kathrin Hartmann und als Untertitel schreibt sie „Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“. Und wir hatten schon mal ein Buch von Kathrin Hartmann besprochen und zwar „Aus kontrolliertem Raubbau“. Und deswegen war ich jetzt auch ganz gespannt auf dieses Buch. Und es gibt dazu auch einen Film. Den haben wir aber beide, sowohl Svenja als ich, noch nicht gesehen. Das heißt, wir beziehen uns jetzt hier wirklich nur auf das Buch. Vielleicht mal so so ganz allgemein. Svenja, wie fandest du das Buch denn so?

Svenja Gut. Also ich würde das wirklich jedem empfehlen, der anfängt auch sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Besonders weil es einfach einen ganz anderen Blick noch mal auf Nachhaltigkeit wirft, als wir häufig in unserer Mediendiskussion haben. Es geht ja häufig darum irgendwie, dass wir grüner konsumieren müssen und wir müssen Bio kaufen und irgendwelche Sachen mit Siegeln. Und Kathrin Hartmann sagt: Ja, aber lass uns erst mal einen Schritt aus dieser ganzen Geschichte zurückgehen und einen Blick auf das ganze System werfen und da irgendwo mit unseren Veränderungen ansetzen. Und ich glaube, dass das wirklich eine Bereicherung sein kann nicht nur für den öffentlichen Diskurs, sondern auch für uns als Verbraucher oder als Bürger.

Stefanie Und welchen Eindruck hat das Buch so bei dir hinterlassen, als du das gelesen hast?

Svenja Das Buch macht relativ wütend, würde ich sagen. Man fühlt sich einfach vereimert. Egal wie aufgeklärt man im Vorfeld schon ist, es gibt einfach Sachen, die ich nicht wusste und wo ich dachte so ja, warum erzählt einem das eigentlich keiner? Und gleichzeitig habe ich für mich so rausgenommen, wann immer ich das Wort „verantwortungsvoll“ irgendwo lesen werde im Zusammenhang mit Unternehmen, werde ich wissen so was bedeutet einfach genau das Gegenteil von verantwortungsvoll.

Stefanie Kannst du da ein Beispiel nennen? Etwas, das Dir so besonders aufgefallen ist im Buch? Also was dich wirklich wütend gemacht hat?

Svenja Am Anfang, ganz am Anfang geht es um diese Kaffeekapseln und das ist ja so ein Beispiel was wir irgendwie alle kennen. Also wir alle wissen, dass das eine blöde Sache ist und wir besser nicht so eine Kapselmaschine zu Hause haben sollten. Aber es geht dann weiter auch zum Beispiel um Öl-Unfälle und wie da hinterher Aufräumarbeiten durchgeführt werden, wo man beim Lesen einfach denkt meine Güte, also man hält sich wirklich die Hand an den Kopf und denkt, wer hat das sich denn so überlegt, dass das Sinn macht und ich finde, wenn es dann schon so einen gesunden Menschenverstand gibt, ist man einfach ja irgendwie entsetzt darüber, dass irgendwer irgendwo entschieden hat: Das macht Sinn.

Stefanie Ich fand es auch total krass bei diesen Aufräumarbeiten, dass da gesagt wurde: Ja, die dürfen keine Masken tragen, weil das sonst in dem Werbefilm zu diesem Unglück schlecht aussehen könnte. Dass die Gesundheit aufs Spiel gesetzt wird, willentlich und bewusst, einfach nur damit das Image von - BP war das dann in dem Fall - nicht beschädigt wird. Also das fand ich auch so total krass, als ich gedacht habe: Menschen sterben dafür, Menschen leiden dafür und nur damit es nach außen hin schön aussieht.

Svenja Ja genau. Oder auch diese Erzählung, dass sie quasi Grenzwerte hatten für die Menge an - ich weiß nicht genau welche Chemikalie es gewesen ist, die sie da zuführen, für die Bindung von dem Öl benutzt haben, damit es irgendwie abgetragen werden kann - und niemand sich Gedanken darüber gemacht hat, wenn man das zigfache davon jetzt einsetzt, dass das dann eventuell nicht mehr cool ist, sondern irgendwelche Schäden verursacht. Naja. Also das ist ja so im ganz normalen Menschenverstand. Ich meine, wir wissen alle, ein bisschen Zucker ist nicht schlimm und wenn wir uns nur von Zucker ernähren, dann hat das irgendwelche Kosten oder ein bisschen Alkohol ist nicht schlimm, aber wenn wir ständig betrunken sind, hat auch die Konsequenzen Und da ist es so: Nur bisschen von der Chemikalien ist okay und immer das zehnfache oder das 20 fache ist auch in Ordnung. Es macht einfach keinen Sinn sich dann vorher Gedanken drüber zu machen, ob das irgendwelche Konsequenzen für das Leben in dem Ökosystem hat.

Stefanie Genau, was ich ziemlich krass fand, war diese Geschichte, wo der eine Forscher erzählt hat oder der Wissenschaftler, dass er da im Auftrag getaucht ist und sich sein Taucheranzug zersetzt hat. Da habe ich auch gedacht: Oh Gott. Also das muss dann doch klar sein, dass das giftig ist und gefährlich. Aber so was haben wir alles nicht mitgekriegt.

Svenja Ja, bzw. man bekommt es ja manchmal auch mit und trotzdem reichen solche Einzel-Vorkommnisse ja nicht um wirklich so eine kritische Masse dazu zu bewegen irgendwas zu verändern. Also wir wissen ja von solchen Sachen. In keinem Zeitalter wie in unserem sind Informationen so zugänglich. Wir können ja im Prinzip alles rausfinden.

Stefanie Das stimmt.

Svenja Trotzdem schaffen wir es häufig nicht, von diesen Informationen dann unser eigenes Verhalten zu ändern. Aber das ist jetzt eine ganz andere Baustelle. Da kommt jetzt mal die Psychologin durch. Aber das muss man auch, finde ich, immer noch im Hinterkopf behalten. Also natürlich ist das alles erschreckend, aber vieles von dem könnten wir ja auch jetzt schon wissen. Natürlich ist es mit System, dass die Informationen irgendwie möglichst vor uns geheim gehalten werden. Aber trotz alledem kommen ja solche Sachen immer wieder zum Vorschein.

Stefanie Ja, das stimmt. Es ist ja auch generell so, irgendwie denke ich auch, dass eigentlich fast jede·r denkt: Ich weiß, dass es nicht okay ist, sich so ein T Shirt für 2 € oder so zu kaufen oder 1,50 Euro und dass da irgendwie was sein muss und das wahrscheinlich auch jede·r mitbekommen hat, dass da die Fabriken eingestürzt sind. Und trotzdem sagen noch viele naja, ich kann es mir nicht leisten, deswegen kaufe ich trotzdem weiterhin diese günstigen T Shirts sozusagen. Also das ist so ein. Ja, ich finde es zwar auch ganz schade, aber ich mache weiter wie bisher so.

Svenja Ich glaube auch, dass man da die eigene Rolle gar nicht unbedingt nur auf das Konsumentendasein reduzieren sollte, sondern natürlich wäre das auch an der Tagesordnung, dass dann irgendwie die Politik was macht. Also es geht ja auch ganz, ganz stark bei Kathrin Hartmann immer wieder darum, dass sie sagt ja, wir als Einzelpersonen müssen natürlich was machen, wir können nicht einfach nur sagen: Oh, die da oben. Aber gleichzeitig muss es einfach bestimmte Rahmenbedingungen geben, die solche Sachen verhindern. Also an einer Stelle, ich muss mal gerade ein bisschen blättern wird irgendwie der der Chef vom Bundesverband der Deutschen Industrie zitiert. Und ich zitiere jetzt mal direkt aus dem Buch: „Aus Sicht der Wirtschaft kritisch sind unter anderem die diskutierte gesetzliche Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte.“ So, das schreibt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Ich meine, das ist natürlich ein hartes Thema. Wir reden hier nicht darüber, ob irgendwelche besonders hohen Standards umgesetzt werden sollen, sondern über die Achtung der Menschenrechte in der Produktion. Und das hat mich wirklich, wirklich erschrocken, als ich das gelesen habe, das Zitat.

Stefanie Ja, ich hatte das „Aus kontrolliertem Raubbau“ schon gelesen, das Buch und da war ich sein bisschen, sagen wir mal, schon vorgewarnt sozusagen. Und ich finde dass Kathrin Hartmann in diesem Buch, was ja das Buch zum Film ist quasi, dann auch einfach wieder zeigt, wie wir jetzt schon auf - also eigentlich schon die ganze Zeit - auf Kosten der anderen leben und dass, damit es uns gut geht und unsere Menschenrechte gewahrt werden, das dann im globalen Süden nicht so ist, also dass da ja Landraub und auch alles was dazugehört einfach an der Tagesordnung ist.

Svenja Ja, ich fand sehr eingängig das Schlagwort „grüner Kolonialismus“, was sie dafür benutzt. Also ich glaube, da kann man dann direkt - ich meine, Kolonialismus, das haben wir alle irgendwie in der Schule gelernt - aber dass das im Prinzip so eine Fortsetzung ist und jetzt alles unter so einem Deckmantel so ein wirtschaftlicher Kolonialismus und dann grüner Kolonialismus stattfindet.

Stefanie Der Kolonialismus hört sich immer so an wie vor, keine Ahnung, 300 Jahren oder so, deswegen so antik irgendwie. Aber es ist das Jetzt, was jetzt stattfindet und was wir uns irgendwie nicht so wirklich bewusst machen, finde ich. Ja genau so ist auch das mit dem Klimawandel, dass der Klimawandel schon stattfindet. Also nur jetzt nicht hier bei uns in Hamburg oder in Bremen oder keine Ahnung. Also jetzt nicht so krass wie in anderen Ländern, schon im globalen Süden , dass es da schon diese Stürme gibt und alles. Ich glaube, das war jetzt in diesem Buch nicht so aufgezeigt oder mehr die Probleme jetzt nicht die mit dem Klima zu tun haben, sondern mehr mit der Wirtschaft. Aber es hängt ja irgendwie auch alles zusammen. Wir verursachen das ja durch unsere Lebensweise eigentlich mit dem Klimawandel. Oder siehst du das anders?

Svenja Nein, das sehe ich nicht anders.

Stefanie Wenn man eine kontroverse Stellung dazu einnimmt.

Svenja Nein, ich möchte dir da vollkommen beipflichten. Du hast Recht. Gab es denn eine Stelle, die dich besonders, also emotional oder vielleicht auch vom Rationalen her berührt hat, also wo du einfach hängengeblieben bist?

Stefanie Ich hatte jetzt das mit den Kaffeekapseln schon wieder verdrängt. Das war so ganz am Anfang. Das Buch hatte ich am Anfang relativ zügig angelesen und dann habe ich es länger liegen lassen. Also bei mir war es schon das mit diesem, dass sich da der Taucheranzug zersetzt hat. Das fand ich schon ziemlich krass, aber ich hab dann nachher auch noch, jetzt gerade aktuell, das gelesen mit dem Fleischkonsum. Wo ich dann auch wieder gedacht habe okay, das ist wieder so typisch. Ich habe jetzt ihren Namen jetzt grad nicht parat, aber diese Dame, die auch als geläuterte Ex- Veganerin bezeichnet wird, da dass sie, die sich die „Bovidiva“ nennt, dann sagt, dass es so wichtig ist und viel nachhaltiger die Rinder in dieser Massentierhaltung zu belassen, weil man sonst, wenn man die alle auf die Weide stellt, viel mehr Ressourcen verbrauchen würde.

Und das ist wieder so typisch, aber dass das in so einem krassen Ausmaß schon stattfindet einfach und dass es Menschen gibt, die so argumentieren und dass das dann einfach so hingenommen wird, das finde ich ziemlich hart. Und dass das Ethische da auch gar keine Rolle spielt, weil da geht es ja nur um die Nachhaltigkeit. Also es ist nachhaltiger die Rinder alle irgendwie da in diesen Feedlots zu belassen, als sie wirklich auf die Weide zu stellen. Und es wird ja auch davon ausgegangen, dass der Fleischkonsum sich nicht einschränken muss. Der muss immer steigen. Wo wir wieder bei diesem Wirtschaftswachstum wären - mehr, mehr, mehr – wo auf Basis dieses bestehenden Systems wieder gearbeitet wird.

Svenja Ja, es ist so ein bisschen so ein Schönrechnen. Indem man sich eine passende Vergleichsebene schafft, ist auf einmal das Aktuelle vollkommen in Ordnung. Indem ich sage ja, wir können nicht alle Fleisch essen, also Tiere essen, die auf der Weide gestanden haben. Wir müssen das irgendwie machen, schaffe ich ja durch den Vergleich, so eine Rationalisierung, so eine Begründung. Währenddessen, wenn die Alternative wäre, wir essen einfach keine Tiere, sondern Obst und Gemüse oder andere Nahrungsmittel, dann würde so ein Vergleich ja ganz anders ausfallen.

Stefanie Genau. Und Judith Capper, die Person, die im Buch von Kathrin Hartmann zitiert wird, behauptet auch, dass es ja so wäre, dass wenn jetzt alle vegan werden würden, würden ja viel mehr Düngemittel und Pestizide und was weiß ich was gebraucht werden als jetzt. Und das ist so total verquer. Das schreibt Kathrin Hartmann dann auch, dass es so ganz verquer ist und dass es so eine Umkehrung ist. Aus den Veganer·innen und Vegetarier·innen macht das jetzt die Bösen und die Fleischesser·innen sind dann die Weltretter·innen. Da hab ich auch wieder gedacht: oh muss das immer sein? Aber offensichtlich haben solche Menschen ja auch irgendwie eine große Reichweite, wenn das jetzt so stark dann wieder aufgezogen wird. Und vielleicht ist es auch in Amerika oder im englischsprachigen Raum so, ich weiß es nicht. Also das war auf jeden Fall was, was mich irgendwie dann auch wieder berührt hat.

Und was mich auch immer wieder berührt, ist dieser Landraub von indigenen Völkern. Das ist was, was ich, bevor ich „Aus kontrolliertem Raubbau“ gelesen habe, überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Da habe ich nie drüber nachgedacht. Und jetzt denke ich da immer häufiger drüber nach. Und das es ja nicht nur darum geht, dass der Regenwald zerstört wird, sondern auch, dass da Menschen vertrieben werden, die da eigentlich im Einklang mit der Natur leben. Und dass es auch um die Menschen geht, nicht nur um die Tiere und um die Umwelt, sondern auch um die Menschen. Und das hat Kathrin Hartmann hier ja auch noch mal gezeigt.

Svenja Ja, vor allen Dingen auch finde ich diese Bevormundung, die da immer mit mit reinspielt. Also dieses Argument ja, aber wenn die einen besseren Lebensstil haben wollen, dann würden die das genauso machen wie wir auch. Ich denke mir ja, die können das vielleicht auch für ihr eigenes Land selber entscheiden. Wir können ja nicht einfach als europäisches Land hingehen und sagen: Ja, wir entscheiden jetzt mal für euch, wie ihr zu leben habt. Und ach ja, wir nehmen auch noch eure Rohstoffe übrigens. Also das ist ja schon unglaublich anmaßend, was da stattfindet.

Stefanie Ja, definitiv. Also auch dieses: Was ist denn überhaupt jetzt der bessere Lebensstil? Also was, was ist das denn? Muss das denn immer der westliche Lebensstil sein? Also nur so? Also das ist ja auch dieses, woran messe ich das denn jetzt überhaupt? Ja und dann die Bevormundung. Ja, ich stimme dir voll und ganz zu.

Svenja Und gleichzeitig, das fand ich auch sehr erschreckend, wie konsequenzenlos das Ganze stattfindet. Also das führte ja auch Kathrin Hartmann häufiger an, dass es diese ganzen Abkommen gibt und Zusammenschlüsse und Runde Tische und dergleichen. Die sich dann dort auf irgendwelche gemeinsamen Programmpunkte einigen. Aber es gibt einfach keine Sanktionen, wenn sich irgendjemand da nicht dran hält. Das ist also vollkommen wertlos. Es ist eigentlich nur PR. Wenn keine Taten folgen und man einfach weitermacht wie bisher mit Brandrodung und Enteignung und fehlenden Umbaumaßnahmen in den ganzen Fabriken als Brandschutz, dann ist es vollkommen wertlos. Und wir kriegen zwar mit: Ja, hier, was weiß ich, Textilunternehmen eins und Textilunternehmen zwei haben sich zusammengetan und machen jetzt ein tolles Programm. Bis 2030 wollen sie das und das und das umsetzen. Und wir kriegen aber dann viel weniger davon mit, ob das überhaupt tatsächlich passiert.

Stefanie Genau. Und andersherum heißt es ja auch, dass sie bis 2030 so weitermachen wie bisher.

Svenja Ja, gleichzeitig zu diesem Programm auf dem Papier und das arbeitet Kathrin Hartmann ja sehr schön raus im Rahmen von Greenwashing, wie dann diese großen Unternehmen wie Nestle usw. und so fort grüne Produkte rausbringen und wir sie dann als Weltretter·innen feiern, weil sie jetzt, was weiß ich, Plastik aus dem Meer nehmen und daraus die Turnschuhe haben oder so und gleichzeitig machen sie eine große Spendenaktion und was weiß ich. Irgendjemand hat auch auf seine Gage verzichtet oder so und letztendlich machen die Produkte dann irgendwie so 1 % oder so vom Jahresumsatz aus und 99 % sind weiterhin irgendwie umweltzerstörend.

Und wir kriegen aber natürlich dieses 1 % auf dem Silbertablett präsentiert als die Heilsversprechungen. Alles ändert sich jetzt. Konzern ABC hat eingesehen, es muss anders weitergehen und man setzt sich jetzt an vorderster Front dafür ein, um dann hinter verschlossener Tür einfach weiterzumachen wie bisher und sich zu freuen: So hey, wir haben eine coole Werbemaßnahme gemacht. Das hat uns so und so viel Prozent von Budget gekostet und wir können aber business as usual machen. Hinter der Tür.

Stefanie Ja und auch dieses: das fördert ja eigentlich auch wieder nur den Konsum. Es hat zwar jetzt das grüne Mäntelchen um, aber es ist auch wieder Konsum und es wird dann auch wieder weggeworfen oder? Also so kurz getragen und dann war's das oder so. Also das heißt, sie sind trotz grünem Mäntelchen dann immer noch in dieser Schiene drin. Es ist ja auch das, was Kathrin Hartmann da auch noch schreibt, dass ist ja das Schöne sozusagen, dass man nichts ändern muss an seinem Verhalten. Man konsumiert dann einfach nur grün weiter. Und das ist ja das, was es dann einfacher macht, dass man sagt okay, dann kaufe ich so weiter wie bisher, aber ich kaufe mir dann das T-Shirt aus dem Plastik, aus dem Meer, wo dann das noch draufsteht.

Svenja Ich hab vor, glaub ich anderthalb Jahren oder so meinen Beitrag zu dem Thema geschrieben und habe das als Konsum Verschiebung bezeichnet. Das ist keine Konsumveränderung, da wird am System nix verändert, sondern du greifst einfach im Regal jetzt drei Fächer weiter rechts. So und das war's. Du hast deinen Konsum verschoben, das kostet dich jetzt vielleicht mehr und du hast ein besseres Gewissen. Aber verändert hast du deshalb trotzdem noch nicht viel. Weil du bist in deiner Rolle als Konsument geblieben. Also das ist ja auch was, was immer wieder angeprangert wird, dass wir uns vor allen Dingen mittlerweile gar nicht mehr als politisch aktive oder gesellschaftlich aktive Bürger verstehen, sondern hauptsächlich als Konsument·innen innerhalb von diesem System und glauben, wir können innerhalb des Konsum des kapitalistischen Systems durch unser Kaufverhalten irgendwie das ganze System verändern, was nicht funktioniert, wie wir gesehen haben.

Stefanie Ja, ja genau das, was ja auch Harald Welzer schreibt und so dieses „weiter wie bisher geht es einfach nicht“ und dass das System an sich das Problem ist. Ich habe allerdings so ein Problem sozusagen damit, das alles dann zu sagen, dass die Regierung oder die Politik das lösen muss. Das schreibt sie jetzt ja auch so nicht exakt, dass das nur die Politik lösen kann. Aber es gibt ja auch einige, die dann sagen na ja, ich kann nichts machen, allein die Politik muss das jetzt richten. Ich finde wir können schon alleine was machen.

Svenja Dazu habe ich mir, total witzig, dass du das ansprichst, das passende Zitat rausgeschrieben: „Wir müssen uns aus der Ohnmacht befreien, die viele von uns ob des Weltenwahnsinns verspüren.“ Das schreibt sie auf Seite 213, also relativ weit hinten. Und das ist ja genau dieses, was du auch beschrieben hast, wir können selber nichts ändern und die da oben müssen was machen. Nein, es müssen alle was machen, man muss unten was machen und in der Mitte was machen und in der Politik was machen.

Stefanie Ja, es müsste eigentlich ein neues System geben. Aber das ist ja auch das, was dann im Buch immer wieder, wenn Kathrin Hartmann ihre Interviews, die sie zum Film geführt hat, dann aufschreibt, was dann immer wieder gesagt wird: es ist so toll, wir können noch mehr Rindfleisch verkaufen, noch mehr Palmöl, noch mehr, keine Ahnung, immer mehr. Und dann auch dieser Zertifikatehandel und so, also einfach diese verschiedensten Arten wie man den Konsum immer weiter steigern kann und dann aber so tun kann, als wär's irgendwie nachhaltig, dass man sich da ein gutes Gewissen kauft, das finde ich so, das ist so präsent auch die ganze Zeit.

Bei mir hat das beim Lesen so ein Gefühl hinterlassen: Ich habe keine Lust mehr auf diese Welt. Also ich habe irgendwie so gedacht: Oh, das ist alles so schlecht und ich habe dann wirklich auch diese Ohnmacht direkt gespürt, weil ich gedacht habe, egal was ich jetzt mache - trotzdem wird sich in Bangladesch irgendwie nicht sofort was ändern und keine Ahnung, in Brasilien auch nicht und der Regenwald wird trotzdem weiter abgeholzt und was kann ich denn schon tun? Also das hat das bei mir wieder ausgelöst.

Svenja Ja, das kann ich total nachvollziehen. Bei mir hat es interessanterweise ausgelöst, dass ich noch mal wieder darüber nachgedacht habe, ob ich in eine Partei eintreten und mich politisch engagieren möchte. Einfach weil das für mich so eine Möglichkeit sein könnte, nicht nur ohnmächtig oder konsumentisch aktiv zu sein, sondern auch tatsächlich aktiv. Was eine Alternative sein kann und einfach auch rauszugehen und den Unmut kundzutun und nicht nur Unmut gegenüber Firmen kundzutun, indem man irgendwelche wütenden Emails schreibt: „Ihr habt immer noch alles nur in Plastik verpackt.“ Das ist ja auch richtig.

Aber wichtig ist auch zum·r Bürgermeister·in zu gehen und zu sagen: hier, das läuft einfach blöd. Oder mal nachzufragen, wie ist denn das eigentlich? Was habt ihr denn hier für Glühbirnen oder so. Also ganz banale Sachen und nicht mehr diesen Umweg zu nehmen über die Wirtschaft, sondern einfach auch Volksvertreter·innen - ich meine, die heißen ja sogar so! - Volksvertreter·innen direkt anzusprechen und zu sagen: das ist das, was mich beschäftigt, mich beschäftigt Klimawandel, mich beschäftigt Nachhaltigkeit, kümmer dich mal, lass uns mal was machen. Also einfach da aktiv zu werden. Ich glaube, das muss man noch viel häufiger sich vornehmen und dann natürlich auch selber machen.

Das muss wieder viel, viel präsenter sein, so wie zum Beispiel in der Anti Atomkraft Bewegung. Denn wenn die Leute nur an RWE geschrieben hätten, wir wollen aber kein Atomkraftwerk, dann wäre das vielleicht ganz anders heute. Die Leute sind auf die Straße gegangen und haben gesagt: Nee, wir haben da keine Lust zu. Wir wollen das nicht.

Stefanie Ja, ja, das habe ich auch noch miterlebt. Ich bin in einem Ort groß geworden, der ein Brennelemente Zwischenlager in der Nähe hatte. Daher habe ich das als Kind noch mit erlebt, was da los war, dass bei jedem Castortransport sich da auf die Schienen geschmissen wurde. Das ging, das war möglich.

Ich habe auch das Gefühl, dass wir heute mehr in dieser Ohnmacht sind und auch so eingelullt sind von allem. Also das ist alles so normal und dieses Protestieren, das ist so unnormal. Vielleicht ist das auch so auf diese 68- Generation zurückgestuft sozusagen, dass man denkt naja, das waren die damals, aber wir haben auch gar keine Zeit zu demonstrieren, wir müssen ja die ganze Zeit konsumieren. Ich muss jetzt arbeiten, damit ich mir das nächste größere Fernsehgerät kaufen kann. Und dann habe ich allerdings auch irgendwie keine Zeit, um jetzt noch mal was darauf zu gucken. Ich muss ja noch weiterarbeiten und so. Und dann hat man natürlich auch keine Zeit, sich irgendwie politisch zu engagieren.

Ich bin ja so ein bisschen bei der Albert Schweitzer Stiftung aktiv. Da merke ich schon in der Szene, dass es da viele gibt, die auch auf die Straße gehen und gegen die Massentierhaltung protestieren und so eine Silent-Line bilden oder so und so was machen. Aber es ist dann schon so, dass es viele gibt, die einfach nur so sagen: Ja okay, ich guck mir das mal an. Aber diejenigen, die da wirklich aktiv mitmachen, das ist dann wieder nur ein kleinerer Prozentsatz von denen.

Svenja Ja genau. Es ist einfach nicht cool genug irgendwie in unserer Gesellschaft. Also es ist einfach im Mainstream nicht mehr vorhanden, irgendwie da besonders aktiv zu sein und für das was einem wichtig ist auf die Straße zu gehen.

Stefanie Ich glaube, wir haben es hier einfach noch zu gut. Also, weil der Klimawandel uns ja auch noch nicht so juckt. Wir haben ja auch das Problem nicht. Ich merke das im Kleinen. Wenn ich was hab, was mich wirklich stört, dann gehe ich auch los und versuch das zu ändern. Und dann werde ich richtig aktiv. Und ich glaube, das geht anderen ja auch so. Es muss ja jetzt nicht um große Dinge gehen, sondern kann ja auch um kleinere Dinge gehen. Dadurch, dass ich Mutter bin, merke ich, dass andere Eltern, wenn die was stört am Kindergarten oder an der Schule oder so, dann machen die auch einen großen Aufstand. Also da geht es schon.

Vielleicht bewegt uns das hier noch nicht so sehr und dann wird man noch zu arg irgendwie als Gutmensch oder irgendwie negativ betitelt, wenn man dann sagt, aber guckt mal, der Klimawandel ist doch schon da, auf der anderen Seite der Welt sozusagen, da ist doch schon alles kaputt. Vielleicht müsste jetzt, keine Ahnung, Hamburg regelmäßig überschwemmt werden, damit wir verstehen was los ist.

Svenja Ja genau. Also man müsste das einfach viel greifbarer machen. Das ist ja ein wirkliches Problem, dass der Klimawandel als großes Konstrukt, das ist natürlich furchtbar weit und irgendwie so unbestimmt und kaum fassbar und das macht es dann schwierig. Klar, sind wir alle dagegen und so, aber es ist dann wenig konkret und wenn es wenig konkret wird, dann gibt es auch wenig konkrete Handlung. Das ist ja klar. Ist doch was ganz anderes, als wenn das an deiner Schule um die Anschaffung von irgendwas geht, das super konkret ist, für alle ist der Bezug zu ihrem Lebensalltag klar. Währenddessen Klimawandel so was Weites ist - wo ist der Bezug zu meinem Alltag? Wenn man anfängt sich zu informieren, klar, dann sieht man den Bezug. Aber man muss es sich immer wieder präsent machen und immer wieder den Bezug herstellen.

Stefanie Hast du dich denn jetzt schon in eine Partei eingetragen?

Svenja Da muss ich jetzt ein bisschen ausholen. Ich habe schon mal einen Mitgliedsantrag gestellt, okay, und der ist irgendwie versandet. Ich habe dann eine Rückmeldung gekriegt und dann nichts mehr passiert. Ich bin dadurch, dass die Partei jetzt nicht regelmäßig von meinem Konto abgebucht, wohl davon überzeugt, dass ich nicht Mitglied bin. Ich muss aber gestehen, es liegt auf so einem Haufen. Ich habe das dann auch nicht weiter verfolgt. Ich werde es aber jetzt noch mal angehen und werde noch mal nachhaken, was denn da schief gelaufen ist beim Eintrittsverfahren.

Stefanie Das ist aber jetzt auch glaube ich so ein Beispiel. Das habe ich ja selber auch. Wenn es nicht kritisch genug ist, dann lässt man es erst mal so liegen. Ich habe das auch in so einem ganz kleinen Rahmen. Ich fahre jetzt immer Fähre und mich hat es so genervt, dass die Leute, die einsteigen wollen, sich nicht in die Schlange stellen und warten, bis alle ausgestiegen sind. Die drängeln sich dann schon drauf und dann ist da immer so ein Gerangel und man kommt nicht runter und keine Ahnung. Und so habe ich gedacht, das kann doch nicht wahr sein, das muss doch möglich sein, dass wir an diesem Landungssteg das hinkriegen, dass die Leute warten und dann einsteigen, dass es etwas geordneter abgeht. Und dann habe ich auch da bei dem Betreiber angerufen. Dann war es aber freitags und da hat der Mensch am Telefon gesagt, da ist keiner mehr da, der sich drum kümmern kann. Und er hat mir eine Nummer gegeben, wo ich dann anrufen soll und dann habe ich es doch nicht mehr weiterverfolgt. Dann ist es auch wieder versandet.

Svenja Die Zuhörer·innen halten uns jetzt für superfaul. Als wenn wir gar nichts geregelt bekommen.

Stefanie Die wissen ja Bescheid. Auch bei unseren Hörerinnen und Hörern könnte ich mir vorstellen, dass es ihnen ähnlich geht. Also wenn Du, liebe·r Hörer·in, auch so was hast, kannst du gerne eine E Mail schreiben. Denn das ist natürlich auch interessant, einfach mal zu hören, wie es dir so geht im Alltag, ob du unsere Erfahrungen teilst. Das wär doch was, oder einfach mal zu schauen, wo engagierst du dich im Alltag oder hast du auch das Problem, dass es bei dir manchmal versandet?

Aber um mal zurück aufs Buch zu kommen, wo ich hier so „abgeschwoffen“ bin sozusagen. Ich fand jetzt wieder, das war auch bei „Aus kontrolliertem Raubbau“ so, dass hier bei dem Buch viele Missstände aufgezeigt wurden und dann aber dieses „Was kann ich denn jetzt tun?“, relativ dünn war. Wie fandest du das?

Svenja Ja, definitiv. Das ist ja nicht nur in Kathrin Hartmanns Buch ein Problem, wenn man das so nennen will, sondern in vielen Büchern, die sich mit Nachhaltigkeit oder mit Problemen der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen beschäftigen, dass es alles sehr analytisch bleibt und einen wütend macht oder aufrüttelt oder einfach auch nur neutral informiert. Und am Schluss bleibt man aber in so einem Loch und weiß eigentlich gar nicht: Was ist denn jetzt der nächste Schritt? Was müssen wir jetzt machen?

Und mich bringt das dann zu zwei Gedanken, jetzt wo ich das häufiger gesehen habe. Erstens, vielleicht denken wir, dass es viel, viel, viel komplizierter ist, etwas zu verändern, als es tatsächlich ist. Vielleicht ist es einfach so, es gibt gar nicht so einen großen zehn Punkte Plan, den man befolgen muss, um sich für irgendwas einzubringen. Sondern vielleicht ist es einfach Anfangen, was machen und ohne den zehn Punkte Plan rausgehen und was starten. Ich habe zwei Punkte genannt und habe jetzt den zweiten vergessen.

Stefanie Kathrin Hartmann spricht in ihrem Buch auch darüber, dass man mit dem Kassenzettel abstimmt. Ich meine, dass sie das geschrieben hat oder ich hab's jetzt aus einem anderen Buch. Hast du das auch gelesen?

Svenja Ich habe das, glaube ich, mal in einem anderen Kontext gelesen.

Stefanie Ich bin mir nämlich jetzt nicht sicher, aber ich finde es trotzdem gut. Es ist auch eine politische Handlung zu sagen wo kaufe ich jetzt überhaupt ein und was kaufe ich, wie viel kaufe ich? Ich finde, es geht ja auch nicht nur darum, wie du das vorhin sagtest, seinen Konsum zu verschieben, sondern es geht ja darum, auch weniger zu konsumieren. Die Hamburger Müllabfuhr hat auf ihren Müllwagen jetzt immer stehen „Wer Hamburg liebt, vermeidet Müll.“ Und da habe ich gedacht: okay, das war früher auch nicht so. Früher war es so, du trennst deinen Müll und das ist toll. Und ja, das stimmt. Es ist viel besser, Müll zu vermeiden, als ihn erst mal großläufig zu trennen. Natürlich sollte man ihn trotzdem trennen, wenn man ihn hat. Aber so dieses vermeiden, das finde ich auch, das macht mehr Sinn. Aber dann kommt wieder der Verzicht und dann sagen wieder alle: Nein, ich will nicht verzichten.

Svenja Also so kann ich dir als Minimalistin vollkommen zustimmen. Klar, es ist in jedem Falle nicht möglich, dass wir weiterhin so konsumieren, wie wir jetzt konsumieren. Also unabhängig davon, ob es grün ist oder nicht. Selbst mit grünem Konsum wird es sehr eng werden. Weniger oder gar nicht konsumieren ist natürlich ein Schritt, den man gehen kann. Und ich will aber trotzdem noch mal betonen, dass es nicht reicht, wenn wir jetzt alle aufhören zu konsumieren. Oder was heißt aufhören? Wir können nicht aufhören zu konsumieren, aber unseren Konsum um, was weiß ich wie viel Prozent runterfahren. Das verändert das System natürlich auch nur schrittweise, also nur in einem bestimmten Maß.

Ja, wir müssen trotzdem uns dann mit der Frage beschäftigen: Was für eine Wirtschaft wollen wir denn überhaupt haben? Was für eine Gesellschaft wollen wir denn überhaupt haben? Und das können wir nicht an der Kasse bei einem Supermarkt mal nebenbei entscheiden. Da muss man sich dann engagieren, in welchem Maß auch immer. Also das kann sein - muss natürlich nicht sein - ich arbeite jetzt nicht mehr, ich kündige meinen Job und verschreibe mich jetzt voll der Weltveränderung. Es kann auch sein, ich engagiere mich in meinem Verein oder ich engagiere mich vor Ort oder so und gestalte aber die Gesellschaft oder die Welt, mit der ich gerne leben möchte.

Stefanie Ja, das Problem wird ja auch sein, wenn jetzt zum Beispiel ganz Deutschland sich entscheiden würde, weniger zu konsumieren, würde ja trotzdem die Wirtschaft wahrscheinlich so weitermachen wie bisher und dann einfach nur alles exportieren.

Svenja Die würden einfach neue Märkte erschließen und würden sich freuen, würden das wahrscheinlich noch als Erfolg verkaufen. Schaut mal hier Deutschland hat es schon geschafft, aber die anderen, die müssen erst noch diesen Schritt auch erreichen. So, wir könnten uns dann auf die Schulter klopfen als Vorreiter. Ja deutsche Unternehmen würden dann weiter irgendeinen Müll ins Ausland verkaufen und würden die Rohstoffe aus irgendwelchen unsicheren Quellen beziehen. Aber wir wären dann wieder fein raus.

Stefanie Für wie wahrscheinlich hältst du das, dass wir das schaffen, das System zu stürzen?

Svenja Das ist eine schwierige Frage, weil meine Gegenfrage wäre: Was wäre denn also für dich ein Systemsturz?

Stefanie Ja, okay.

Svenja Also das ist ja so eine Kettenreaktion. Wenn wir sagen okay, wir wollen ein anderes Wirtschaftssystem. Dann hat das natürlich auch Auswirkungen auf unsere Gesamtgesellschaft, also nicht nur unsere deutsche Gesamtgesellschaft oder unsere europäische, sondern die Welt Gesamtgesellschaft. Und dann ist natürlich die Frage: okay, wo ist der Stein, den ich umstoße, der einfach so einen Rieseneffekt hat, dass das gesamte System sich verändert? Und ganz wichtig ja auch die Frage was ist das System danach? Also von daher finde ich das schwierig zu sagen: so ja, wir schaffen das oder nein, wir haben keine Chance. Ich tue mich da immer schwer.

Stefanie Hast du eine Vision von dem System danach?

Svenja Noch nicht. Aber das ist jetzt die perfekte Überleitung zu meinem neuen Projekt. Es wird „Zukunftsrauschen“ heißen. Und da wird es genau um diese Frage gehen: Was kommt danach? Und wo gibt es jetzt schon Leute oder Projekte, die an dem danach arbeiten, die sich dafür einsetzen? Die zu suchen und zu finden und vorzustellen. Weil ich glaube, dass diese fehlende Vision oder Utopie ein ganz großes Problem ist. Wir sind immer alle gegen irgendwas. Wir ja auch. Wir sind gegen Klimawandel und wir sind gegen Tiere essen. Aber vielleicht wäre es besser, wenn wir anfangen würden, auch für irgendwas zu sein. Natürlich kann man auch mit Aktionen gegen irgendwas sein, aber ich finde es persönlich immer besser für irgendwas sich einzusetzen, als nur irgendwas anderes aufzuhalten.

Stefanie Ja, das ist ja auch das, was Veganer·innen vorgeworfen wird, teilweise, dass wir ja nur irgendwie alles abschaffen wollen. Aber was kommt denn danach? Wie ist die Utopie danach? Und da in dem Film „The End of Meat“ - ich hab den jetzt noch nicht gesehen - da wird ja auch noch mal diese Utopie gezeigt. Also wie kann eine Welt ohne diesen Tierkonsum aussehen? Hast du den schon gesehen?

Svenja Den habe ich noch nicht gesehen. Ich bin wirklich schlecht im Dokumentation sehen.

Stefanie Hätte ja sein können. Ich habe bis jetzt nur was darüber gelesen, aber zumindest da wird eine Utopie schon mal dargestellt. Es kommen ja viel solche Sachen wie, wenn alle sofort aufhören Tiere zu essen, dann wird die Welt von den Tieren überschwemmt. Da kann man dann noch mal sich überlegen, wie das schrittweise ginge. Also ich denke, wir sollten schon irgendwie wissen wie eine bessere Welt, eine andere Welt denn aussehen sollte? Und dann kann man ja so rückwärts gehen. Die Schritte, dieses Backcasting dann machen. Und dann kommt man ja irgendwann zum Jetzt-Zeitpunkt. Was kann ich denn jetzt schon tun?

Svenja Es macht auch psychologisch vollkommen Sinn, zumindest ein grobes Ziel vor Augen zu haben, auf das man hinarbeitet, weil dann die Motivation eine ganz andere ist. Als einfach nur sich immer von irgendwas abzugrenzen mit allen Aktionen, die man hat, ja die Energie und die Motivation hin zu etwas einzubringen und dann, wie du schon gesagt hast, rückwärts von dieser Vision in kleinen oder großen Schritten zu dem Jetzt zu kommen und dann zu sehen: okay, das ist ein Weg, den wir gehen können, der sich natürlich unterwegs noch verändern kann. Also wie man sagt, ja, wenn wir jetzt die Vision haben, die müssen wir 100 % so durchziehen.

Stefanie Genau, es ist denn nur so ein Nordstern quasi. Ich weiß, wie ich dahin navigieren kann und auf welchem Wege es letzten Endes passiert und ob es jetzt wirklich dann so bleibt oder ob es sich vielleicht ein bisschen verändert, das ist ja ganz offen. Wir können ja sowieso die Zukunft nicht vorhersagen.

Svenja Wollen wir vielleicht auch gar nicht mehr.

Stefanie Es wäre tatsächlich, glaube ich auch langweilig, alles schon zu wissen.

Svenja Oder es würde dich auch handlungsunfähig machen. Wenn die Zukunft nicht das wäre, was du wollen würdest, dann würdest du in eine Art Handlungskoma verfallen oder in eine Starre und würdest einfach gar nichts mehr tun. Und das ist jetzt ja auch nicht unbedingt der Zustand, in dem wir leben wollen. Also das stimmt, damit müssen wir ja immer rechnen, dass die Zukunft nicht die ist, die wir uns erhoffen.

Stefanie Ja, ja, ja, genau. Also im jetzt leben macht natürlich am meisten Sinn. Nur wenn wir diese großen Themen besprechen, macht es dann auch ein wenig Sinn, ein bisschen zu schauen, wie könnte die Zukunft aussehen und wie könnten wir dorthin kommen? Ich möchte abschließend, wo wir jetzt doch ein bisschen weiter uns vom Buch entfernt haben, noch einmal auf das Buch zurückzukommen. Wem würdest du dieses Buch jetzt empfehlen? Was würdest du sagen? Wer sollte das lesen?

Svenja Ich denke, unabhängig davon, ob man sich schon mit Nachhaltigkeit wenig oder relativ viel beschäftigt hat, ist es eine ganz gute Lektüre für alle die so ein Wachrütteln brauchen oder so einen Motivationsschub. Wenn ich das Gefühl habe, ich bin gerade in so einer Ohnmachtssituation. Da schafft es das Buch ganz gut, diese Ohnmacht noch mal schön auszubreiten, aber am Schluss gleichzeitig durch dieses aufrüttelnde, wütend machende, hat es zumindest bei mir dazu geführt, dass ich gesagt habe: So, ja, und jetzt habe ich noch mal neuen Drive. Jetzt mache ich noch mal was, jetzt gehe ich es noch mal an und gucke, was ich wirklich verändern kann und möchte. Und ich glaube, für alle, die so einen Schub brauchen, ist das ein gutes Buch. Und für alle, die ihren persönlichen Hass auf Großkonzerne nähren wollen ist es auch ein gutes Buch.

Stefanie Da in dem Buch nicht so viele Handlungsanweisungen drin sind, sage ich mal, was man jetzt danach machen könnte. Hast du vielleicht so drei Tipps, wie man, wenn man jetzt das Buch gelesen hat, weitermachen könnte? Also irgendwas kleines, was ich jetzt bewirken kann.

Svenja Was Kleines, was du jetzt bewirken kannst. Ich würde sagen trotz allem, was in dem Buch steht, als erstes das eigene Konsumverhalten überdenken und gleichzeitig sich ganz bewusst in Situationen fragen: denke ich jetzt gerade innerhalb dieses kapitalistischen Wachstumssystems? Oder macht es Sinn, dass ich einfach mal einen Schritt rausgehe und das ganze System hinterfrage?

Also um bei dem Beispiel Fleisch zu bleiben macht es Sinn sich zu fragen: Wie können wir Fleisch besonders nachhaltig produzieren? Oder macht es Sinn einen Schritt zurückzugehen und einfach mal das komplette Nahrungssystem sich im Ganzen vor Augen zu führen und zu sagen: Ja, aber vielleicht macht es viel mehr Sinn, wenn ich einfach kein Fleisch mehr esse?

Ich glaube so eine Brille, die man auf und absetzen kann, ob man im System denkt oder über dieses System hinaus. Ich glaube, die sollte man sich zulegen und das muss man trainieren. Und ich habe leider auch jetzt nicht den perfekten Plan um zu sagen: Ja, pass auf, das kann man so oder so oder so trainieren, aber das muss man üben. Und ich glaube, das wäre mein zweiter Tipp.

Und mein dritter Tipp wäre nach Initiativen zu suchen, die sich mit Themen beschäftigen, die einem persönlich wichtig sind. Und das können jetzt lokale Initiativen sein oder auch deutschlandweite Initiativen oder auch Initiativen, die in anderen Ländern aktiv sind. Und es muss jetzt nicht unbedingt Greenpeace sein, aber kann natürlich zum Beispiel. Es kann auch, was weiß ich, ein örtlicher Zusammenschluss sein von Menschen, die sich regelmäßig treffen und Müll rechts und links der Straße sammeln. Also solche Initiativen aktiv zu suchen und sich zu überlegen, wie man sich da einbringen kann. Ich glaube, das ist ein guter Schritt und es muss, wie gesagt, nicht bedeuten, dass man jetzt auf einmal alles hinter sich lässt und loszieht, um die Welt zu verändern, sondern es kann auch sein, dass man einmal im Monat sich so einer Müllsammelaktion anschließt. Aber einfach aktiv zu sein in einer Gruppe oder in einer Initiative oder einem Verein.

Stefanie Okay. Ja, das steigert auf jeden Fall dann die Selbstwirksamkeit. Und du hast jetzt dein neues Projekt ein kleines bisschen angeteasert, Wann wird es denn starten?

Svenja Ich hoffe im Juli. Ich möchte aber nichts versprechen.

Stefanie Wie kann man dich im Internet finden?

Svenja Am besten findet man mich bei Twitter und bei Instagram unter meinem Namen Svenja Sgodda. Ich kann das buchstabieren, aber ich bin sicher, Stefanie verlinkt das wahrscheinlich auch irgendwo. Also wenn man meinen Namen googelt, dann findet man mich eigentlich relativ schnell.

Stefanie Okay, super. Und wenn dann dein neues Projekt online ist, dann kann man über diese Kanäle auch zu dem Projekt finden. Und wenn es dann online ist, dann verlinke ich es hier auch unter der Podcastfolge, weil es könnte ja sein, dass du diese Podcastfolge erst in keine Ahnung drei Monaten hörst und dann hast du auf jeden Fall den Link schon.

Svenja Auf jeden Fall, super nett von dir.

Stefanie Ja, ich finde das passt auch gut, weil das ist ja genau das, was uns jetzt fehlt nach so einer Lektüre und dann kann man das Buch lesen und dann einsteigen, das passt. So was baut aufeinander auf. Dann danke ich dir ganz herzlich, Svenja für das Gespräch und für deine Zeit und deinen Input, sage ich jetzt mal, und natürlich auch für das Projekt, das kommen wird, weil ich schon ganz gespannt bin, was wir da dann zu sehen bekommen, wie wir da alle mitmachen können. Also vielen Dank.

Svenja Ja, ich bedanke mich, dass ich da sein durfte, dass ich reden durfte über ein Thema, was mir so am Herzen liegt. Genau und ich hoffe, dass es für den einen oder anderen Zuhörer oder Zuhörerin auch irgendwie interessant war, was wir hier so in den letzten, ich weiß nicht, 40 Minuten oder so von uns gegeben haben.

Stefanie Das hoffe ich doch auch. Und wenn nicht?

Svenja Dann ist es jetzt auch zu spät.

Stefanie Genau. Ja, dann wünsche ich alle noch einen schönen Tag und auf Wiederhören.

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