Gibt es ethisch vertretbare Kleidung?

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Folge 151 - Gibt es ethisch vertretbare Kleidung?

In dieser Folge gehe ich wieder einer Hörerfrage nach und zwar hat Felix gefragt:

"Gibt es Kleidung, die ohne (oder mit möglichst wenigen) Zwischenhändler*innen von einer Kooperative von Nähern/innen verschickt/vermarktet werden und bei der auch z.B. Kinderarbeit ausgeschlossen ist und Bioanbau betrieben wird. Es soll möglichst viel vom Aufpreis auf die fairen Produkte dortbleiben, was ja selbst bei strengeren Siegeln sehr niedrig oder undurchsichtig sein kann."

Auf der Suche nach einer Gesprächspartnerin, die mir diese Frage beantworten kann, habe ich Frau Dr. Ferenschild vom Südwind-Institut gefunden.

In diesem Interview erklärt sie, worauf Du bei der Kleiderwahl achten solltest und gibt Einblicke in die Komplexität der textilen Produktionskette.

Hör doch gleich einmal rein.

Links zur Folge

Vollständiges Transkript

Stefanie In dieser Folge gehen wir wieder einer Frage nach, die uns ein Podcasthörer gestellt hat. Und zwar hat Felix die Frage gestellt, ob es Kleidung gibt, die auch ohne oder mit möglichst wenigen Zwischenhändler·innen von einer Kooperative von Näher·innen verschickt oder vermarktet wird und bei der auch zum Beispiel Kinderarbeit ausgeschlossen ist und Bioanbau betrieben wird. Und es soll möglichst viel vom Aufpreis auf die fairen Produkte dort bleiben, was selbst bei strengeren Siegeln sehr niedrig oder undurchsichtig sein kann. Das ist also die Frage von Felix und ich habe mich auf die Suche nach jemandem gemacht, der oder die mir diese Frage beantworten kann. Und da bin ich beim SüdwindInstitut gelandet und ganz genau bei Frau Dr. Ferenschild. Und ich freue mich, dass ich Sie jetzt hier im Gespräch begrüßen darf und würde Sie bitten, sich einmal kurz vorzustellen.

Dr. Sabine Ferenschild Ja, schönen guten Tag. Mein Name ist Sabine Ferenschild. Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut Südwind. Südwind ist ein Institut, das sich für eine gerechte Weltwirtschaft einsetzt. Wir arbeiten mit mehr als zehn Personen zu verschiedenen Fragestellungen im Bereich der einer gerechten Weltwirtschaft. Mein Schwerpunkt ist dabei die Frage nach Arbeitsbedingungen. Wie können Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass sie menschenwürdig sind und eine Existenz sichern. Nicht nur für den, der da beschäftigt ist, sondern für eine ganze Familie. Dabei konzentriere ich mich vor allem auf die Textil und Bekleidungsindustrie, weil die global eine der ganz wichtigen, arbeitsintensiven Industrien ist und ein ganz wichtiger Beschäftigungssektor für Frauen.

Stefanie Und wenn wir jetzt auf diese Frage zurückkommen von Felix, gibt es so was überhaupt, dass ich sagen kann, ich kann guten Gewissens diese Kleidung kaufen?

Dr. Sabine Ferenschild Das ist eine wirklich sehr schwierige Frage, weil die textile Kette sehr komplex ist. Wenn man sich überlegt, dass das wirklich vom Anbau der Baumwolle zum Beispiel als einer der wichtigsten Naturfasern, die zu Textilien verarbeitet wird, reicht bis hin zur Konfektionierung eines Kleidungsstückes, sieht man das auch ohne Zwischenhändler schon sehr viele unterschiedliche Akteure und Verarbeitungsstufen in so einer textilen Kette drinstecken. Zwischen den einzelnen Verarbeitungsstufen ist es die Regel, dass da auch Zwischenhändler aktiv werden, um zum Beispiel die entkernte Baumwolle, also die Baumwollfaser aus den Entkernungsfabriken in die nächste Stufe, die Spinnerei, zu transportieren. Das gibt es auch mit kürzeren Lieferketten, wenn man zum Beispiel integrierte Betriebe hat, das heißt Betriebe, in denen zum Beispiel gesponnen, gewoben, gefärbt wird und vielleicht sogar auch konfektioniert wird, dann hat man eine etwas größere Lieferkette oder Wertschöpfungskette. Aber das führt dann natürlich auch dazu, dass man dann Betriebe von zum Teil vielen 1000 Beschäftigten hat, also sehr große Akteure. Es kommt also weniger auf die Anzahl der Zwischenhändler an, würde ich sagen, als darauf, dass jemand, der das Bekleidungsstück letztendlich produziert, dass der einen guten Überblick über seine Kette hat und deshalb auch garantieren kann, dass die vorgelagerten Stufen zum Beispiel unter Einhaltung von biologischen Standards durchgeführt wurden. Und das wird in der Regel im Moment über Siegel oder Zertifikate garantiert. Jetzt haben wir aber das Problem in der textilen Kette, dass wir kein Siegel oder Zertifikat haben, das in gleicher Weise sowohl die ökologische Qualität wie die soziale Qualität garantiert. Wir müssen also, wenn wir ein Bekleidungsstück kaufen, erst sehen, hat dieses Bekleidungsstück sowohl ein ökologisches Siegel wie auch ein soziales Siegel. Das würde zum Beispiel durch die Kombination von einem Fairtrade mit einem Bio Siegel garantiert. Dann ist zwar trotzdem noch die Anfrage vorhanden: Ist wirklich das Fair Trade Siegel so aussagekräftig, dass es auch faire Arbeitsbedingungen für diejenigen garantiert, die dann auf den Feldern die Baumwolle gepflückt haben oder in der Textilindustrie als informell Beschäftigte gearbeitet haben? Aber ich denke, etwas Besseres als diese Kombination zwischen Biosiegel und Fairtrade gibt es im Moment eigentlich nicht.

Stefanie Okay. Das heißt, ich sollte als Konsumentin darauf achten, die Kleidung zu kaufen, die diese beiden Siegel hat.

Dr. Sabine Ferenschild Genau. Und bei dem Fairtrade Siegel muss man natürlich dann auch noch mal sehen. Es gibt einmal das Fairtrade Siegel für Baumwolle. Das kennzeichnet den fairen Handel der Baumwolle oder die faire Produktion der Baumwolle. Und dann gibt es den Fair Trade Textilstandard. Der zertifiziert die verschiedensten Verarbeitungsstufen, also die industrielle Fertigung, und überprüft, wie die Arbeitsbedingungen dort sind. Man müsste also eine Kombination eigentlich von beidem haben. Und dann muss man aber auch sehen: dieser Fair Trade Textilstandard ist bisher nur von sehr wenigen Unternehmen überhaupt in Anspruch genommen worden. Da findet man Informationen aber über die Seite von Fairtrade, wer das jetzt im Moment führt.

Stefanie Das heißt, ich sollte da dann schauen. Oder haben Sie auch auf Ihrer Seite vom Institut Unternehmen, die Sie empfehlen können?

Dr. Sabine Ferenschild Also wir haben über unsere Seite keine Unternehmensempfehlungen, weil wir ja eher der Frage nachgehen, wie kann man auch die schon guten Siegel noch weiter verbessern? Wir stellen fest, dass es eigentlich in jedem Siegel noch Lücken gibt und Fragen, die wir daran haben. Ich hatte das eine schon gesagt, die Frage der informellen Arbeitsbeziehungen, die in den meisten Betrieben immer noch vorherrschen, oder die Frage der immer noch fehlenden existenzsichernden Löhne. Da halten wir zwar den Fairtrade Textilstandard schon für sehr gut, weil er eigentlich der einzige ist, der zumindest einen Zeitplan hat, nämlich dass innerhalb von sechs Jahren nach Erwerb des Textil Fair Trade Standards in der entsprechenden Fabrik existenzsichernde Löhne gezahlt werden müssen. Das ist schon mehr, als alle anderen Standards fordern. Aber trotzdem sehen wir da auch noch einfach das Problem, dass es bisher nur eine mini, mini Marktnische ist, und schwer zu finden ist für den Konsumenten und die Konsumentin.

Stefanie Und was könnte ich denn als Konsumentin tun, damit es mehr wird? Also damit mehr, also die Kette auch verbessert wird und dass ja vielleicht auch als kleine Zukunftsvision, also wirklich dann auch die komplette Textilkette, menschenwürdiger, so wie sie es vorhin genannt haben, dann auch gestaltet wird?

Dr. Sabine Ferenschild Also zum einen würde ich sagen, jeder Mensch ist nicht nur Konsument und Konsumentin, sondern engagiert sich in Vereinen oder ist vielleicht politisch aktiv. Und man muss diese Forderung nach Nachhaltigkeit in allen Produktlinien auch politisch artikulieren. Und als Konsument und Konsumentin, das ist man ja nun mal im Alltag auch, da sollte man zum einen darauf achten, so wenig wie möglich zu konsumieren, die Produkte so auszuwählen, dass sie möglichst wenig die Umwelt geschädigt haben, also auch auf biologisch produzierte oder angebaute Produkte zurückzugreifen. Das heißt also, Produkte im Textilbereich zu kaufen, die aus ökologischen Fasern bestehen und die in der Wertschöpfungskette zum Beispiel nach den Richtlinien des Internationalen Verbandes Natur-Textil produziert worden sind. Das wäre ökologisch gesehen schon mal ein großer Fortschritt. Und das müsste dann auch so lange wie möglich getragen und verwendet werden. Unter sozialer Perspektive ist zum einen der Fair Trade Textilstandard sicher gut und zum anderen, wenn man mal, ich sage jetzt mal stärker in den Massenmarkt geht, dann bin ich immer noch von dem Ansatz der Fair Wear Foundation überzeugt. Das ist eine niederländische Stiftung oder Vereinigung, der viele Unternehmen angeschlossen sind, die sich darauf verpflichten, die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsproduktion ihrer Wertschöpfungskette zu verbessern. Die haben auch eine Website, da kann man sehen, wer da alles angeschlossen ist und welches Unternehmen man dann auch hier im deutschen Markt findet.

Stefanie Wenn Sie sich jetzt etwas wünschen könnten, quasi wenn Sie die Zukunft selber jetzt gestalten könnten, was wäre Ihre Zukunftsvision für eine textile Kette oder für Kleidung? Wie sollte das aussehen? Was wäre die perfekte Lösung?

Dr. Sabine Ferenschild Zum einen, dass alle Rohmaterialien, also alle Naturfasern, die für Kleidung eingesetzt werden, ökologisch hergestellt werden. Das heißt, da würden dann erst mal die Erträge und die Fasermengen vermutlich zurückgehen, dadurch aber eine höhere Qualität haben. Und wenn dann die Verarbeitung sehr sorgsam und von hoher Qualität erfolgt, dann kann man diese Kleidungsstücke auch länger tragen. Es würde also um eine Entschleunigung gehen, um eine längere Dauer der Modezyklen und dann, wenn man die Rohfasern schon ökologisch gewonnen hat und wenn man eine Sortenreinheit in den Fasern hat, dann würde sich auch die Recyclingfrage wahrscheinlich besser lösen können oder lösen lassen. Denn im Moment haben wir auch das Problem bei den ganzen Mischfasern, die wir tragen, ist vieles davon im Nachhinein entweder Sondermüll oder wir können nicht von Recycling sprechen, sondern von DownCycling. Also es ist kaum möglich, eine gute Faserqualität durch Recycling im Moment bei unseren ganzen Mischgewebe zu gewinnen. Und das halte ich auch für ein großes Problem. Deshalb, das würde für mich die Zukunft sein, dass man da einen Kreislauf hat, nicht die Produktion von Fast Fashion und dadurch großen Müllbergen, sondern von wiederverwertbaren Produkten.

Stefanie Und was wünschen Sie sich von den Konsumenten und Konsumentinnen? Also wenn wir jetzt mal vielleicht auf alle Podcast Hörerinnen und Hörer zurück greifen, was wünschen Sie sich von denen, die Ihnen gerade zuhören?

Dr. Sabine Ferenschild Dass Sie zwar einerseits natürlich nachhaltig konsumieren, aber nicht denken, das wäre die Lösung, sondern die Lösung muss durch politische Rahmenbedingungen und durch eine andere Wirtschaftsweise gefunden werden. Und da sind wir alle gefragt, dass wir uns auch als politische Subjekte verstehen, die an den Wahlurnen und auch im politischen Alltag ihre Stimme laut werden lassen sollen für eine global gerechte Weltwirtschaft.

Stefanie Ja, wunderbar. Das ist ein ganz tolles Schlusswort. Ganz vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben und auch Ihr Wissen mit uns geteilt haben.

Dr. Sabine Ferenschild Ja, bitte schön.

Stefanie Dann würde ich sagen: In diesem Sinne. In Hamburg, sagt man tschüss und auf Wiederhören.

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