Folge 267 - Im Gespräch mit Dr. Gregor Hagedorn über eine klimagerechte Zukunft

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Folge 267 - Im Gespräch mit Dr. Gregor Hagedorn über eine klimagerechte Zukunft

Links zur Folge

Raumschiff Erde – Tipps für die Besatzung | Gregor Hagedorn | TEDxUniPotsdam
https://yewtu.be/watch?v=fB3BLEsTBi0

Unsere Welt in Zahlen [EN]
https://ourworldindata.org/

Daten zur Biodiversitätsfrage [EN]
https://ourworldindata.org/wild-mammals-birds-biomass

350.org - Bewegung gegen Kohle, Öl und Gas
https://350.org/

Kurze Foliensätze und Screencast-Videos von Wissenschaftler*innen zu bestimmten Aspekten aus den Themenbereichen Klima, Biodiversität, Energiewende, Verkehrswende, und Sozio-ökologische Transformation.
https://de.scientists4future.org/s4f-spotlights/

Planetary Boundaries [EN]
https://invidious.sethforprivacy.com/watch?v=8Sl28fkrozE

Die Onlinecommunity: "Gemeinsam in eine klimagerechte Zukunft"
https://experimentarium.stefanie-rueckert.de/

Möglichkeiten mich zu unterstützen:
https://stefanie-rueckert.de/unterstützen

Vollständiges Transkript

Stefanie Ich freue mich sehr, dass ich heute wieder einen Gast habe im Podcast und zwar Doktor Gregor Hagedorn von den Scientists for Future und falls unsere Hörer·innen dich noch nicht kennen, würde ich dich einmal bitten, dich kurz vorzustellen.

Dr. Gregor Hagedorn Ich freue mich, hier zu sein bei dir. Ich bin Gregor Hagedorn, ich arbeite am Museum für Naturkunde in Berlin als Wissenschaftler zu Themen von Biodiversität, Nachhaltigkeit und Bio-Informatik, also Daten, Vernetzung und ja, ich habe vor 3 Jahren die Scientists for Future mit anderen zusammen gegründet. Ich habe damals rum gefragt, wir müssten doch was tun. Und dann entstand dort eine kleine Arbeitsgruppe.

Stefanie Und wir hatten vorab so ein bisschen per E-Mail ganz kurz hin und her geschrieben, und ich hatte mir einen Ted Talk von dir angeschaut, den ich auch verlinken werde, hier unter der Folge, und so hatte ich das Gefühl bekommen, es ist besser wir nehmen nochmal eine Podcastfolge auf, weil ich dachte das worüber wir uns unterhalten, wird die Hörer·innen auf jeden Fall auch interessieren.

Ich hatte mir 2 Passagen aus unserem E-Mail-Wechsel rausgeschrieben. Du hattest die Frage gestellt: "Wie kämpfen wir für bessere Welten, in denen nicht alles gut sein wird, sondern manches auch schlechter, unbequemer, weniger verfügbar als heute?" Und ich hatte ja vorher gesagt, ich möchte gerne Geschichten erzählen, positive Geschichten darüber, wie alles gut wird. Daraus ist das also so entstanden und da war so ein bisschen das "stimme ich dem zu, stimme ich dem nicht zu" und ich dachte daraus können wir gut ein Gespräch spinnen.

Also wäre die Frage ja wie könnte denn unser Alltag in einer klimagerechten Zukunft aussehen? Also was denkst du, weil du ja sagst, dass vieles oder manches auch eben schlechter werden kann? Also wie wird das dann aussehen?

Dr. Gregor Hagedorn Ich glaube, wir werden einen normalen Alltag mit einem guten Leben gestalten können. Der Alltag wird anders sein und er wird an einigen Stellen reicher seien, an einigen Stellen auch unbequemer. Das muss man meiner Ansicht nach eben auch einfach aussprechen. Er wird Gewohnheitsänderungen mit sich bringen und nicht alle Gewohnheiten, die wir haben, sind ja unbedingt gut.

Also wir wissen unsere Ernährungsgewohnheiten sind alles andere als gesund. Sie tragen nicht zu einem guten Leben bei. Mhm. Viele kämpfen damit auch mit Ernährungsgewohnheiten. Und wenn jetzt von außen irgendwie was kommt und gesagt wird ja, das geht halt jetzt nicht mehr so häufig, dieses momentane Lieblingsgericht, dann wird man sich umstellen und dann wird man neue Lieblingsgerichte finden.

Na also ein ganz typisches Beispiel ist der Fleischkonsum. Wir leben in der Welt derzeit mit 7,8 Milliarden Menschen. Das sind sehr viele. Diese 7,8 Milliarden werden, bis 2050 kann niemand genau sagen, aber schätzungsweise so zwischen 10 und 12 Milliarden Menschen werden, das heißt, wir packen da jetzt nochmal 50% drauf und das ist gar nicht so bedrohlich, wie das vielleicht klingt, weil das klingt so, als würde das explodieren, aber das ist tatsächlich schon eine Annäherung anstatt an mögliche Stabilität. Ganz klar: das kann schiefgehen mit der Bevölkerung, das kann im Bereich von 10 - 12 Milliarden Menschen auch gut gehen, dass sich das dort stabilisiert.

Wenn diese Menschen jetzt unsere derzeitigen Ernährungsgewohnheiten haben, dann können wir die Sache mit Klima, Biodiversitätsschutz, Erhaltung unseres Naturerbes komplett vergessen. Wenn die Menschen jetzt noch, was momentan ganz stark der Fall ist, wenn also viele Länder, die sich bisher anders ernährt haben, jetzt versuchen, sich so zu ernähren, wie sie das bei sich im Fernsehen, wenn sie Derrick oder andere deutsche Fernsehsendungen sehen oder Tatort, die sehen ja auch manchmal was modernes ne, sehen, wenn die das nachahmen wollen und wenn die den europäisch-amerikanischen Ernährungsstil aufnehmen wollen, dann führt das in die Katastrophe.

So wenn wir das jetzt gerecht verteilen, wenn wir die vorhandenen Flächen versuchen, besser zu nutzen. Wir brauchen Flächen für die Ernährung der Menschen, wir brauchen Flächen für die für die Erzeugung von Energie, also zum Beispiel Windkraft, Freiland, Solar und ähnliches. Wir brauchen sehr viel mehr Flächen als wir bisher haben für die Erhaltung der Biodiversität. Im Moment holzen wir immer noch die tropischen Wälder in einem atemberaubenden Tempo ab und zerstören das Menschheitserbe eben. Wenn wir diese Flächen umwidmen, dann kann das die einzige Lösung, die ich und viele Kolleg·innen kennen.

Und das bedeutet halt ja höchstens noch ein Viertel so viel Fleisch wie im Moment. Jetzt zum Lebensstil, was bedeutet das? Ja, ist das ist das ein trauriges Leben, wenn ich nur noch ein Viertel so viel Fleisch esse, die früher jetzt im Durchschnitt der Bevölkerung? Nein, würde ich nicht sagen, aber es ist vielleicht schon ein Leben, wo ich Lust auf Schnitzel hab und schade: heute nicht.

Aber das ist kein schlechtes Leben, das ist ein anderes Leben, das Leben mit Einschränkungen. Das gleiche gilt für Mobilität. Kein Mensch hat Lust, seine Kinder mit dem Elektro-Lastenrad im Regen zum Kindergarten zu bringen. Das Auto ist einfach besser, das Auto ist wasserdichter, es hat eine bessere Klimaanlage, es riecht vielleicht auch besser. Das fördert aber auch Herzkrankheiten natürlich nur, wenn man sich nicht bewegt, also das meine ich damit, dass man nicht einfach nur sagen kann, es wird alles bequemer, besser und alles ist verfügbar, aber wir werden mit ein bisschen kämpfen, ein Leben schaffen, wo wir sagen, da sind wir glücklich, da bin ich fest von überzeugt.

Stefanie Das heißt, es geht jetzt in erster Linie um unsere Gewohnheiten auch, also was wir jetzt hier in der westlichen oder global nördlichen Welt eher gewohnt sind.

Dr. Gregor Hagedorn Ich beziehe das jetzt wirklich auf unser Leben in Deutschland, weil ich denke, das ist jetzt von den Zuhörenden das, wo wir am meisten engem Bezug zu haben. Also wenn wir jetzt sozusagen auf die andere Seite gehen, dann ist die Veränderung des Lebens, dass Menschen, die in großer Armut leben und die sich in der Familie eine Zahnbürste teilen und die das Fahrrad vom Nachbarn leihen, dann selber ein Fahrrad in der Familie haben und jeder hat eine Zahnbürste. Und sie haben Zugang zu Elektrizität, der es ihnen und ihren Kindern ermöglicht, nach 6:00 Uhr abends noch Schulbücher zu lesen und zu lernen. Für solche Menschen sind das weltumbrechende gigantische Wohlstandsfortschritte. Also das wäre jetzt so das andere Extrem, um das mal kurz so anzusprechen.

Ich glaube, wir haben alle das Bedürfnis, eigentlich nicht auf Kosten von anderen zu leben und so richtig zu sagen „Ihr seid scheiße und ihr gehört in den Dreck“. Da gibt es ganz wenige Menschen in Deutschland, die das nicht unterschreiben, wenn man drüber nachdenkt. Aber das in die Praxis umzusetzen ist unglaublich schwer. Natürlich. Also ich finde ein gutes Beispiel, wo es noch schwieriger wird als die Beispiele, die ich gerade geschildert habe, bei Mobilität und Ernährung ist einfach Wohnraum. Also jetzt wieder auf Deutschland bezogen.

Wenn ihr euch überlegt, ihr habt unter Umständen gar nicht so viel Wohnraum pro Kopf. Vielleicht seid ihr Student·innen und lebt auf acht Quadratmetern. Aber ihr kennt höchstwahrscheinlich viele Menschen, die alleine auf 160 und mehr Quadratmetern leben. Und insgesamt nimmt in Deutschland der Wohnraumbedarf pro Kopf seit Jahrzehnten immer weiter zu. Könnt euch mal überlegen, wo ihr denkt, wie viel tatsächlich Quadratmeter pro Kopf momentan wir haben. Sprecht mal irgendeine Zahl aus, jetzt hier als Zuhörende, nur um euch festzulegen. Ich weiß, das ist schwer. Es ist eine Raterei. Man muss ja auch nicht richtig sein. Aber einfach so, um zu sagen: was schätze ich denn selbst? Magst du, Stefanie, dich trauen?

Stefanie Also ich bin mir nicht ganz sicher, aber so 40 - 50 Quadratmeter würde ich schon schätzen. 20 bis 25 qm wäre das, was eigentlich verträglich wäre. Deswegen würde ich das sagen.

Dr. Gregor Hagedorn Ja, du bist total gut informiert. Es sind 47 Quadratmeter pro Person im Durchschnitt. Da bist du ganz nah dran und das ist einfach viel. Und vor allen Dingen es hat zugenommen und sowas führt dann dazu, dass wir seit 30 Jahren Energie sparen und Häuser dämmen und effizientere Heizungen einbauen. Wir haben echt viel gemacht. Das hätte sehr viel bringen können. Aber wenn wir gleichzeitig natürlich die Quadratmeterzahl pro Kopf drastisch erhöhen, dann bleibt nur noch ganz wenig Einsparung. Tatsächlich, über das meiste von den Erfolgen, die wir in den letzten Jahren hatten, haben wir durch mehr Konsum von Quadratmetern pro Person einfach „verfrühstückt“. Das haben wir nicht in Naturschutz, nicht in Klimaschutz, nicht in Nachhaltigkeit, nicht in globale Gerechtigkeit gesteckt, sondern in uns selbst reingefressen. Und das ist so was, wo ich dann sage, Ja, man kann schon mit weniger Quadratmetern pro Person auskommen.

Aber da jetzt deine Eingangsfrage: Wir kommen nicht zu einem Erfolg, wenn wir die Erzählung verstärken, wir werden nur Dinge tun, bei denen es nachher allen besser und bequemer geht. Wir müssen uns überlegen, mit welchen Maßnahmen kommen wir in einer gerechten Weise? Das bedeutet, dass Menschen, die sehr viel Wohnraum haben, mehr abgeben müssen und dass Menschen, das gibt es ja auch, Familien mit drei Kindern, die auf 40- 50 Quadratmetern leben, in Städten, die geben keinen Wohnraum ab. Also dass der durchschnittliche Wohnraum gerechter verteilt wird und auch familienfreundlicher verteilt wird. Wenn wir da die Regeln ändern, dann werden Menschen einen nicht nur gewohnheitsmäßigen Komfort - ich finde, das ist ein absoluter Komfort, wie viel Platz ich habe, wie viel Raum ich nutzen kann, wie viel Raum ich gestalten kann, als Wohlfühlraum, als Schönheitsraum in meiner direkten Lebensumwelt.

Wie viel Aufwand ich zum Beispiel betreiben muss, um mit Freunden ein großes Fest zu machen, habe ich dafür ein Wohnzimmer von 40 Quadratmetern in meinem Einfamilienhaus, das ich sonst nur wenig nutze, aber was ich einfach schätze, weil ich jederzeit irgendwie zehn Freunde zu einer Party einladen kann. Oder gibt es dafür Gemeinschaftsräume, im Dorf, im Stadtteil, im Wohnblock oder so, wo ich dann mehr Aufwand betreiben muss? Das heißt, ich muss gucken, wann kann ich diesen Raum kriegen, wann kann ich meinen Termin legen? Wer ist dran? Es gibt Buchungen dafür und Ähnliches. Also das meine ich mit: die Welt wird anders werden.

Aber diese andere Welt schenkt uns ja auch unheimlich viel. Und für mich persönlich, das was ich mir am meisten wünsche, was mir diese Welt schenkt, ist mehr Gerechtigkeit, mir sicherer zu sein, dass diese Welt gerechter ist. Ich brauche gar nicht das Gefühl, dass alles 100 % gerecht ist, weil 100 % gerecht ist auch wieder ungerecht. Wenn du also für 100 % Gerechtigkeit, für jeden Schritt, den du machst, irgendwie 200 Seiten Formular ausfüllen musst, dann wird auch ganz bestimmt sichergestellt ist, dass nicht irgendwo was schiefgeht. Das ist auch ungerecht, weil das kannst vielleicht du und jemand anders nicht. Aber ich finde schon unsere Welt ist belastend, ungerecht. Sie ist belastend, ungerecht, global. Sie ist belastend, ungerecht innerhalb unserer Gesellschaft, innerhalb unseres Landes. Sie ist vor allen Dingen, was mich und uns ja besonders bewegt, belastend, ungerecht, dass wir so krass im Luxus auf Kosten unserer eigenen Kinder leben, dass wir das, was wir denken, was uns zusteht, dass das uns gar nicht zusteht, dass das auf Pump geschieht, dass wir die Schulden auflaufen lassen.

Und das ist, glaub ich, durchaus etwas, was vielen Menschen bewusst ist, was viele Menschen spüren und hören und dann verdrängen müssen, weil sie es in ihrem Leben nicht umsetzen. Und ich finde so einen Gewinn, den muss man auch mal benennen, also einen Gewinn, dass man diese Verdrängungsarbeit, diese Angstarbeit, diese Schuldarbeit nicht mehr leisten muss, weil man weiß, das läuft gesellschaftlich, das läuft nicht, weil ich mich aufopfere und weil ich irgendwo gegen den Strom schwimme. Und der Strom wird immer reißender und ich werde immer kraftloser usw, sondern es läuft deshalb, weil der Strom in die richtige Richtung führt und ich mit dem Strom schwimmen kann und von Zeit zu Zeit ans Ufer krabbeln kann und mich mal auf den Rücken legen und ausruhen kann und dann weiter schwimme.

Für diese Welt, glaube ich, werden viele Menschen auch bereit sein, solche Einschränkungen, echten Einschränkungen wie zum Beispiel bei Wohnraum hinzunehmen. Dass Wohnen komplizierter ist, dass Wohnen aufwendiger ist, dass Wohnen insbesondere wenn man mit Kindern lebt, wenn die Kinder dann aus dem Haus sind, ist es eine totale Zumutung, dann zu sagen okay, ich muss mich jetzt verkleinern. Da kann man dann irgendwie so ein paar Jahre Kulanz haben, aber dann wird es wahrscheinlich richtig teuer und das ist schon eine Lebenszumutung, finde ich. Aber diese Lebenszumutung, die muss man dann aufwägen gegen die guten Sachen. Ja, das ist meine Geschichte in dem Zusammenhang von: es wird nicht einfach immer alles besser und versprecht den Leuten nicht das Blaue vom Himmel.

Stefanie Wenn wir jetzt uns einfach erlauben zu träumen, was sagt denn die Wissenschaft, was es da für Grenzen gibt? Also Beziehungsweise was für Leitplanken? Vielleicht auch, worauf wir achten müssten. Also jetzt eher nicht so das Soziale, sondern im Hinblick auf den Klimawandel, also Dürren oder weniger Land steht zur Verfügung. Oder es wird immer heißer oder immer kälter oder was auch immer. Kannst du dazu noch was sagen?

Dr. Gregor Hagedorn Ja, also erst mal finde ich auf deine Frage das noch mal aufzumachen, kurz über Klimawandel hinaus. Es gibt ja dieses Konzept der planetaren Grenzen, also unser Planet hat natürlich ganz viele Grenzen und die Wissenschaftler, die daran arbeiten, identifizieren dann einige dieser Grenzen und sagen, die heben wir jetzt besonders hervor. Da sind Sachen bei, bei denen wir momentan im grünen Bereich sind, zum Beispiel bei der Ozonbelastung der Atmosphäre. Das war ja wirklich ein fantastischer, internationaler Erfolg durch internationale Abkommen, dass dieser Ozonlöcher dann tatsächlich jetzt wieder sich stark reduzieren. Das Problem ist nicht für alle Zeiten einfach weg. Es muss weiter bearbeitet werden. Aber da sind wir richtig schön im grünen Bereich.

Und dann gibt es andere Sachen, da sind wir im gelben Bereich. Das ist erstaunlicherweise das Klima. Das Klima ist im kritischen Bereich, aber im gelben Bereich. Und es gibt Dinge, die sind im roten Bereich und die haben viele Menschen gar nicht auf dem Schirm. Das ist so, wir überschreiten dort die planetaren Grenzen in drastischem Ausmaß, ohne dass es öffentlich diskutiert wird. Das ist zum Beispiel die Biodiversität, also das Artensterben. Das ist im tiefroten Bereich. Das ist aber zum Beispiel auch unsere Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, also wie viel Stickstoffdünger und Phosphat wir einsetzen. Das ist im tiefroten Bereich. Wir sind weit jenseits dessen, was die geologischen Kreisläufe dort integrieren können. So, und Bodenverluste wäre für mich noch, das steht tatsächlich auf diesen Grenzen nicht drauf. Aber Bodenverluste, Bodenerosion, Abnahme von Bodenfruchtbarkeit von natürlicher Bodenfruchtbarkeit wäre für mich ein total bedrohliche, planetare Grenze, angesichts dessen, dass wir eine wachsende Erdbevölkerung ernähren wollen, jetzt speziell fürs Klima.

Das Klima hat schon viele, viele Umbrüche, und das merken wir auch, dass diese Umbrüche nicht nur sich anschleichen, wie diese kleinen Gradzahlen von wir haben jetzt 1,2 Grad Erderhitzung und könnten in den nächsten Jahren bereits erstmalig und einmalig 1,5 Grad überschreiten. Das ist nicht das gleiche wie die Überschreitung der Pariser Grenze, weil dies im langjährigen Mittel gedacht, aber einmalig ein Jahr mit 1,5 Grad Erderhitzung zu haben ist schon. Es wird mir ganz flau im Magen, dass das so schnell geht. Ich hätte das vor vier Jahren nicht gedacht, dass das bis zum Ende des Jahrzehnts schon passieren kann. Die Sachen kommen unerwartet und so brutal katastrophal leicht. Es schleicht sich nicht an, es sind keine Sachen, wo man sagen kann: Na ja, jetzt ist ein bisschen mehr und die nächsten zehn Jahre passen wir uns daran an, sondern plötzlich sind Dinge da, mit denen man nicht gerechnet hat. Plötzlich sind diese gigantischen Hitzewellen in den USA an der Westküste da, wo sich praktisch der Wald selbst entzündet und wo die Feuer überhaupt nicht zu löschen sind. Wir haben zunehmend Feuer in Deutschland.

In Deutschland merkt man es ein bisschen. Aber es könnte in Deutschland irgendwann ein Sommer kommen, bei dem wir irgendwie alle verwirrt vor den Twitternachrichten und Fernsehern sitzen und denken Wow, wieso denn jetzt schon? Also es ist eher so was wie die Ahrtal-Katastrophe, die natürlich auch verschiedene Ursachen hat, die auch hätte natürlich sein können. Sie hat bloß aufgrund des Klimawandels eine sehr hohen Anteil dessen, was die Erderhitzung dazu beigetragen hat, dass sie viel, viel wahrscheinlicher ist. Man kann nicht sagen, Ahrtal kann nur mit Klimawandel passieren. Aber Klimawandel, Erderhitzung hat die Ahrtal-Überflutung einfach sehr viel wahrscheinlicher gemacht, als sie vorher gewesen war. Na ja, und dann sind plötzlich in einem winzigen Tal Deutschlands so viel Werte vernichtet, so viel Menschenleben vernichtet, aber auch so viel Wiederaufbauaufwand, dass man davor, wenn man dieses Geld vorher in ein klimaneutrales Stromsystem gesteckt hätte - da hat man vorher gesagt: so viel Geld haben wir doch gar nicht, das können wir uns nicht leisten.

Ich finde, in Deutschland werden wir es spüren. Aber global wird das noch sehr viel deutlicher sein. Das klingt so ein bisschen harmlos, wenn Wirbelstürme häufiger werden. Aber mein Beispiel ist, wenn alle 20 Jahre dir dein Wirbelsturm dein Dach kaputt macht, da wo du wohnst, dann fluchst du vielleicht und reparierst das Dach oder lässt ein neues Dach drauf machen und die Wirtschaft ist schon drauf eingestellt, dass die Dächer dann noch bezahlbar sind, um alle 20 Jahre wieder, nachdem es abgedeckt wurde, neu gemacht zu werden. Da kann man dann leben. Wenn das gleiche jedes Jahr passiert, dann ist die Gegend quasi unbewohnbar. Also allein die Tatsache, dass was häufiger passiert, kann, kann den Unterschied machen zwischen „ich kann da leben“ und „ich kann da nicht leben“.

Die Frage wie Landwirtschaft, wie unsere Ernährung weiterläuft angesichts von Dürren, angesichts von Stark-Wetterereignissen, wie zuverlässig können wir die Menschen ernähren? Wir haben keine Nahrungsmittelreserven für die Menschheit, für ein tatsächliches globales Ausfalljahr oder ein globales Reduktionsjahr. Es gibt ein paar Länder, die Nahrungsmittelreserven haben. China zum Beispiel. Die Chinesen sind wirklich sehr bedacht darauf, ihre Bevölkerung abzusichern. Aber es ist eines der ganz wenigen Länder, die ausreichende Nahrungsmittelreserven haben. In Deutschland reicht das für ein paar Wochen. Ein Ernteausfall ist hier nicht möglich. Aber es ist auch nicht, solange das nicht global kommt, solange sich das ausgleicht, solange in Europa eine Fehlernte ist und in Argentinien eine wunderbare Ernte. Oder Brasilien, dann kann man diese Sachen ja auch ausgleichen. Aber die Frage, ob durch den Klimawandel dann global es zu Unsicherheiten kommt, dass Dinge, dass Ereignisse zusammenfallen, weil sie einfach immer häufiger kommen und dann zusammenfallen, daraus können sich alleine Katastrophen ergeben, die zu Kriegen, Bürgerkriegen und ähnlichem führen können.

Stefanie Ja, denkst du denn, dass es dann in Zukunft zu Verteilungskämpfen kommen wird?

Dr. Gregor Hagedorn Also wir leben in einer Welt, in der wir Verteilungskämpfe haben. Wir leben in einer Welt, in der es viele Kriege gibt, nicht erst seit dem Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine, sondern wir leben in einer Welt, in der es langjährige Kriege gibt, in der Menschen, in der Kinder in Afghanistan verhungern, in Kriegen, in Bürgerkriegen, in Jemen, in Äthiopien, Eritrea. Ich habe gar nicht die komplette Liste im Kopf. Es gibt Verteilungskämpfe auf der ganzen Welt. Es gibt ja auch so High Level Verteilungskämpfe. Wer schafft es noch mehr Fluchtgrundstücke in Neuseeland zu kaufen als Superreicher? Falls der Rest der Welt untergeht, weil man es mit dem neoliberalen Finanzkapitalismus übertrieben hat. Aber es gibt viele, viele Länder, in denen es ganz erhebliche, auch existenzgefährdende Verteilungskämpfe um Nahrung und Ähnliches gibt. Und die Frage ist dann eigentlich wie sicher sind wir in unserer Festung Europa? Ich glaube, das ist so ein in uns eingebauter Mythos, dass uns in Europa schon nichts passieren kann. Ich glaube, viele Menschen haben in Deutschland in den letzten Jahren gemerkt: Ganz so ist das nicht. Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass ich immer, wenn ich was kaufen will, einfach zur Not einen Supermarkt weiter fahre und es dann bekomme.

Wenn es keine Masken gegen Covid gibt, dann gibt es keine Masken gegen Covid. Die gibt es gerade auf der ganzen Welt nicht. Und die kamen dann ja irgendwann. Aber zwischendurch war mal nichts da. Und wenn irgendwas knapp wird, dann versuchen alle Leute sich einen Vorrat anzulegen. Das wird so als Hamstern bezeichnet, aber ich finde das eigentlich eine ganz natürliche Reaktion. Also nachdem wir tatsächlich kein Klopapier mehr hatten, haben wir auch versucht, ein dreifaches Klopapier auf Dauer dann zu haben, um nicht gleich wieder in derselben Situation zu sein. Also Hamstern ist, wenn ich mir irgendwie 20 solche Achterpakete hinlege. Das empfinde ich als Hamstern. Aber wenn ich dann irgendwie dreimal acht ganz gerne im Vorratsschrank habe, weil ich einfach erlebt habe, dass ich eine Woche kein Klopapier hatte, dann finde ich das eigentlich als ein sehr vernünftiges Verhalten.

Und so was macht dann aber natürlich die Versorgungsketten instabil. Es gibt Untersuchungen, dass wenn wirklich Menschen Angst bekommen, dass die Supermärkte gewöhnlich nach 1 bis 2 Tagen leer sind, dann gibt es nichts mehr zu essen und das hält dann auch eine Weile. Das heißt nicht, dass es dauerhaft ist, aber das ist dann krisenhaft. Wenn es also jetzt tatsächlich zu Nahrungsmittelmangel käme global, dann bin ich mir nicht mehr so sicher, dass in Deutschland uns das nicht betreffen würde. Das war definitiv während des Arabischen Frühlings so, da konnten wir in Europa einfach den ärmeren Ländern die Nahrungsmittel wegkaufen und wir haben gar nichts gespürt und die haben es doppelt gespürt. Dazu kamen dann noch Spekulanten, die das angetrieben haben und alle möglichen anderen unschönen Dinge. Aber ich glaube, wir dürfen uns in Europa auch auf den Erfahrungen von Covid-19 und auf den Erfahrungen jetzt des Krieges in der Ukraine nicht zu sicher sein. Es ist ungesund, sich zu sicher zu sein, dass uns das schon nicht betreffen würde.

Wir haben uns total abhängig gemacht von russischem Erdgas und dieses Erdgas ist, wie wir jetzt gerade feststellen, auch ganz unabhängig vom Klima, nicht ersetzbar. Es gab immer schon Menschen, die gemahnt haben. Ich fand das eine hohe, große Leistung der Grünen, dass sie damals, als die Speicher an Gazprom übergeben wurden, tatsächlich eine parlamentarische Anfrage gestellt haben, wie es denn mit der nationalen Versorgungssicherheit aussähe. Damals hat die CDU dann geantwortet, dass das kein Problem sei und der Markt das ja regeln würde. Aber man muss diese Gedanken mitdenken. Ich glaube, wir sind global bessere Partner für andere Länder, wenn wir verstehen, dass wir selber auch verletzlich sind.

Und ob es zu Verteilungskämpfen in Deutschland kommt? Manchmal habe ich vor so etwas Angst, dass das passieren könnte. Ich würde nicht sagen, das muss kommen. Ich würde nicht sagen, das ist hochwahrscheinlich. Die Zivilisation muss zusammenbrechen. Aber es ist ein bisschen so wie wenn man als normaler Mensch Handlungen, Dinge, die nötig sind, verschiebt. So ein bisschen Verschieberitis haben die meisten von uns, denke ich. Ich habe es definitiv. Und da muss man immer mit ein bisschen arbeiten und gucken, dass man die Verschieberitis nicht selbstständig werden lässt. Weil wenn man ein bisschen Verschieberitis hat, dann muss man sich zusammenreißen und arbeitet nach und dann läuft das alles, wenn man es übertreibt, wenn man irgendwie vier Jahre Studium mit maximal Verschieberitis begangen hat und die Prüfungen kommen, dann fährt man gegen eine Wand. Das heißt, es ist nicht eine Frage der einzelnen Aufgabe, ob einzelne Aufgaben lösbar sind.

Also all diese Änderungen unseres Lebensstils, die wir zu Anfang besprochen haben, die Änderung des Energiesystems, die Energiewende, die Ernährungswende, die Agrarwende, wie wird Nahrung angebaut, mit welchen Zerstörungen in Boden und Natur? Die Frage, wie ist unser Finanzsystem aufgebaut? Wie können wir Korruption verhindern? Wie ist unser Sozialsystem aufgebaut? All diese Reformen, die wir tun müssen. Wie ist unser Gesundheitssystem aufgebaut? Ganz aktuelles Beispiel noch und mehr. Ich könnte jetzt fortfahren. Ich will diese Liste nicht als abschließend bezeichnen. All diese Reformen sind meiner Ansicht nach alle machbar. Sie sind machbar, wenn man ein bisschen sagt, es muss jetzt sein, das Verschieben hat ein Ende. Wir sehen, es ist dringend. Das kriegen wir jetzt hin. Und parallel dazu kriegen wir andere Dinge hin. Du machst das, Ich mach das. Wir krempeln die Ärmel hoch und machen das.

Aber es kann in den Zustand treten, wo man so viel verschoben hat, dass eigentlich alle vorhandenen Kräfte dann überfordert sind. Und das ist dann der Unterschied zwischen einer Krise und einer Katastrophe. Ich spreche ganz bewusst von Klima- und Biodiversitätskrise oder allgemeiner noch von einer Nachhaltigkeitskrise. Krise bedeutet, die Aufgaben sind sehr groß und die Zeit ist sehr knapp. Das ist krisenhaft. Krisen sind aber bewältigbar. Nicht zu 100 % perfekt vielleicht. Aber Krisen sind bewältigbare Ereignisse, wo man dann aus dem Krisenmodus wieder zurück in einen Normalmodus schalten kann, wenn man vielleicht auch nur 80 % bewältigt hat in ungewöhnlich schneller Zeit. Aber wenn man das nicht tut, dann ist irgendwann die Zeit so knapp geworden und die Herausforderung so groß, dass es zu einer Katastrophe kommt. Und aus diesen Katastrophen entstehen meiner Ansicht nach zwangsläufig Kriege zwischen Staaten oder Bürgerkriege innerhalb von Staaten. Weil bei einem Zusammenbruch von Versorgung ist das historisch die unvermeidbare Reaktion darauf. Aber ich will das nicht herbeireden. Ich will bloß sagen: Gedanken machen sollte man sich darüber.

Stefanie Und wo du jetzt gerade so eine schöne Überleitung gebracht hast: Was müssten wir denn jetzt tun als Gesellschaft? Auch um, Du hattest das in deinem TED Talk „Raumschiff Erde“ genannt, um da jetzt eine Wende herbeizuführen. Also was müssten wir tun, um diesen Wandel einzuleiten? Was wäre die gemeinschaftliche Anstrengung?

Dr. Gregor Hagedorn Schneller werden? Also sicherlich viele Elemente. Du hattest meinen TED Vortrag angesprochen. Es gibt so viele Gedanken, aber ich habe versucht - ein TED Vortrag darf nur 18 Minuten dauern. Das ist eine Herausforderung. Ich fand das auch sehr spannend, das vorzubereiten und zu sagen: Eigentlich würde ich jetzt gerne drei Stunden reden, Was tue ich denn jetzt in 18 Minuten rein? Das war ein bisschen ein Versuch von mir, die große Leitlinien zu machen. Also ganz viel brauche ich, brauchen wir Gespräche untereinander, um unsere eigene Situation zu reflektieren, um das, was wir gerade besprochen haben, also wir leben auf Pump aus diesem Auf auf Pump Leben folgt, dass man auch zu Einschnitten bereit sein muss. Einschnitte bedeutet nicht, dass es ungerechter werden muss, sondern wir wollen, dass es trotz Einschnitten gerechter wird. Es ist teilweise unvermeidlich, weil sonst kommt es zu Unruhen, wir sehen das momentan, wie das die Gaspreise in die Höhe treibt.

Dann gibt es einfach Menschen, die können sich im Winter heizen überhaupt nicht mehr leisten und die haben ein Recht darauf, dann ihre Grundbedürfnisse erfüllt zu sehen. Das geht nicht ohne eine gerechtere Verteilung der Ressourcen. Ich glaube eine wichtige Sache ist, dass wir auf die Dosis achten. Mein Eindruck ist, dass wir in den letzten Jahrzehnten uns ein bisschen abgewöhnt haben, auf Wirksamkeit zu achten. Also, wie viel brauche ich denn? Wir haben so eine Kultur entwickelt der Freude über Fortschritte. Also das ist ja auch was Positives, dass wenn man das Schöne, den Fortschritt in den Vordergrund rückt und sich darüber dann gemeinsam freut, bin ich durchaus dabei. Aber gleichzeitig, wenn man nicht guckt und wo muss ich hin, dann kann das leicht ihn in Probleme führen.

Ich stell mir jetzt vor, Stefanie, du bist jetzt eine Unternehmerin, die produziert ein ganz nachhaltiges Produkt und das brauchen wirklich ganz viele Leute. Und du musst jetzt eine neue Fabrikhalle neben deiner existierenden bauen und du beauftragst einen Bauunternehmer und ihr schließt den Vertrag. Und jetzt kommt der Bauunternehmer jeden Tag zu dir und sagt: Es war ein toller Tag, wir haben ganz tolle Fortschritte gemacht. Und das geht dann irgendwie drei Monate so und wenn du jetzt nicht irgendwann mal fragst, sag mal, wie sieht denn das mit dem Fertigstellungstermin aus? Ist der denn sicher? Dann könnte es sein, dass dein Unternehmen irgendwann pleite ist, weil der Bauunternehmer bisher nur 1 % der Arbeit gemacht hat. Jeden Tag tolle Fortschritte, aber nicht quantifiziert. Also die Dosis macht die Wirkung und wir achten zu wenig auf die Dosis. Wir achten gesellschaftlich zu wenig auf die Dosis.

Wir sind sehr qualitativ orientiert. Ist das nicht schön, dass es jetzt XY gibt? Ist es nicht schön, dass es jetzt irgendwo in Deutschland drei Reparaturshops für Elektrogeräte gibt? Das ist schön. Aber es ist keine Dosis. Ich muss das in Beziehung setzen zu dem, was tatsächlich die notwendige Größe ist. Ja, dann als nächsten Punkt. Wir haben so viele Aufgaben, wie ich gerade gesagt habe. Wir haben echt viele Dinge parallel zu tun und die werden wir nicht schaffen, indem wir eins nach dem anderen in sämtlichen Talkshows Deutschlands durchdiskutieren und versuchen, die Expertenlösung im Fernsehen zu finden. Den Expert·innen muss man auch als Expert·innen vertrauen, die muss man politisch kontrollieren. Das ist richtig. Aber wenn wir nicht arbeitsteiliger werden, das heißt, dass wir sagen, Du machst dies, ich mach jenes, dann werden wir die Aufgaben, die wir haben, in der verfügbaren Zeit nicht bewältigen können.

Stefanie Was denkst du denn, welche Fähigkeiten wir entwickeln sollten, um wirklich in Zukunft klimagerecht zu leben?

Dr. Gregor Hagedorn Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, dass wir selber vor allen Dingen ein bisschen unser Denken ändern müssen. Das, glaube ich, kann jede und jeder machen. Also aus dieser völlig natürlichen, uns seit Jahrzehnten von Politiker·innen, Medien, Werbung suggerierten Anspruchshaltung, dass einem alles, was man irgendwie will, auch zustehen muss und dass das, an das man sich gewöhnt ist, ein Grundrecht ist. Also es gibt ein Grundrecht auf Mobilität, aber es gibt kein Grundrecht darauf, dreimal im Jahr in Urlaub zu fliegen, weil man einer gewissen Einkommensklasse angehört. Das ist ja nicht so, dass die Deutschen das tun, sondern die obersten 10 % tun das. Ich weiß die Zahl nicht genau, aber es ist nicht die Mehrheit.

Zu reflektieren, dass man als Mensch Bedürfnisse hat, aber dass es nicht automatisch ist, dass alle Bedürfnisse erfüllt werden müssen, sondern dass man das immer mit Rücksicht auf die anderen tut. Diesen Gedanken global zu verfolgen, zu wissen, wie andere Menschen leben. Zu wissen, dass es anders geht, dabei Hilfe auch bekommen zu können. Ich meine jetzt auch durchaus physische Hilfe. Wir hatten vorher über Wohnraum gesprochen. Ich glaube, einfach so eine organisierte Hilfe. Ich helfe dir jetzt, deinen Wohnraum zu verkleinern. Da kommen auch fünf starke junge Menschen an, die Kisten tragen und mit dir zusammen ganz geduldig Dinge durchsortieren, wenn du dich dazu psychisch nicht imstande fühlst, das alleine durchzustehen, Dinge auszusortieren und ähnliche Fragen, das meine ich mit Hilfe. Eine Bewusstseinsänderung, glaube ich, müssen wir alle machen, darüber hinaus, um ein gutes Leben zu führen.

Dieser Anspruch, dass nur die Allerklügsten, die so viel Zeit haben, sich in alle diese Fragen, die wir hier diskutieren, einzuarbeiten, dann ein gutes Leben führen können und ein klimagerechtes und biodiversitätsgerechtes Leben führen können, dem widerspreche ich quasi so ein bisschen. Ich will gar nicht so viel wissen. Ich bin durchaus zufrieden, wenn ich mich mit wissenschaftlichen Nerdfragen beschäftigen kann. Ich muss nicht für jedes Produkt wissen, was der CO2 Fußabdruck und der soziale Fußabdruck und so weiter ist. Ich möchte eigentlich, dass das geregelt ist, so wie wir andere Sachen auch regeln in unserer Gesellschaft. Ich möchte, wenn ich irgendein Produkt kaufe, nicht eine vollständige Produktliste haben und wissen müssen, welche Gifte da drin sind und welche Gifte ich akzeptiere und welche nicht, sondern ich möchte schlichtweg, dass klar ist, der Hammer, den ich kaufe, der ist so konstruiert, dass der Griff mich nicht vergiftet. Das ist die Sicherheit, die ich haben will. Das ist die Arbeitsteiligkeit, die ich haben will. Und genau dieselbe Sache will ich beim Klima haben.

Das heißt, wenn ich in einen Supermarkt gehe, möchte ich nicht wissen müssen, welcher Reis jetzt wie klimaschädlich angebaut ist, sondern ich möchte einfach ganz natürlich sagen: Wenn ich den günstigen Reis kaufe, dann ist das der klimafreundliche. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen einen Spezialreis kaufe, der etwas klimaschädlicher ist, dann ist der ganz deutlich und erkennbar teurer. So einfach hätte ich gerne meine Welt, ohne dass ich zu viel wissen muss. Also da muss ich mich dann gar nicht so verändern. Da hilft mir quasi das Preisschild dabei, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Bei Reis ist vielleicht noch ein schlechtes Beispiel, aber ich kann mir zum Beispiel bei Kleidung das sehr gut vorstellen.

Das ist einfach, wenn ich nachhaltige Kleidung produziere, wenn die aus nachhaltigen Fasern ist, Fasern, die auch nachhaltig angebaut werden. Auch Baumwolle ist ja ein großes Problem im Anbau. Dann müsste klar sein, dass diese Kleidung die günstigere ist und dass die Kleidung, wo es einfach mein Traum ist, so schön auszusehen auf diesem Konzertabend. Und da geht man dann Kompromisse bezüglich der Nachhaltigkeit ein, dass das dann entsprechend ganz klar ist okay, das muss ich mir leisten können. Das ist nicht die billigere Variante, das ist die teurere. Und wenn es mir so wichtig ist, dann darf ich das auch mal machen. Dann darf ich auch mal etwas weniger klimafreundlich sein. Ich will keine totalkontrollierende Verbotsgesellschaft, aber ich will eine Gesellschaft, in der irgendwie klar ist: kann ich mir diesen Herzenswunsch leisten?

Stefanie Wobei es ja schön wäre, wenn der Standard einfach das wäre, dass es nachhaltig und sozial und alles das ist gar nicht mehr, wie es jetzt andersrum ist.

Dr. Gregor Hagedorn Aber es ist unglaublich komplex. Vielleicht noch ein einfaches Beispiel, wobei es bei Reis wirklich Klimaunterschiede gibt im Anbau, aber es ist vielleicht nicht das beste Beispiel, aber so Kleidung, da sind so viele Substanzen und Fasern und Färbeprozesse und Knöpfe und Sachen drin. Ich würde sagen, bei Kleidung kann man relativ klar sagen, unter Sozialstandards gehen wir nicht runter. Aber bei Kleidung kann man dann schon sagen okay, irgendwie, da gibt es Sachen, die sind mehr oder weniger nachhaltig und da kann man Grenzen ziehen. Aber ich würde innerhalb der Grenzen immer dafür plädieren, auch Toleranzspielräume zu lassen. Dann aber die Bepreisung, weil das kostet ja wirklich was. Das ist ja nicht eine Willkür des Staates. Also das ist ja genau der Punkt, in dem wir auf Pump leben, wenn wir die Sachen, die eigentlich viel teurer sein müssten, billiger machen, als sie sein müssten, zum Beispiel die ganzen fossilen Brennstoffe. Das ist die Sache, wo wir einfach sagen ja, gut, 10 % zahle ich, 90 % zahlen meine Kinder, also die sind wirklich so teuer, die macht der Staat dann nicht künstlich teuer, die sind in Wirklichkeit schon so teuer. Der Staat muss nur dafür sorgen, dass das durchgesetzt wird und dann funktioniert das auch.

Stefanie Vielleicht habe ich die Frage auch falsch formuliert. Mir ging es darum welche Fähigkeiten brauchen wir? Ich denke, es geht ja auch darum, dass wir wieder lernen, Dinge zu reparieren zum Beispiel. Also so ganz praktisch gedacht. Zum Beispiel hat meine Mutter früher noch Socken gestopft, mit so einem Stopfei so ein Holzteil und irgendwann ist dieses Holzei verschwunden und dann wurden die Socken einfach weggeschmissen, wenn die Löcher hatten und das ist ja eigentlich was. Da gehen wir mit den Ressourcen ja einfach nicht pfleglich um, weil wir denken, es ist alles so billig. Das heißt, wenn wir mit den Ressourcen wieder pfleglich umgehen lernen, dann wäre Dinge reparieren für mich eine Fähigkeit, die schon sinnvoll wäre zu erlernen, weil ich dann ja mit den Ressourcen wieder achtsamer umgehe. Und so in dieser Richtung, denkst du, dass es da Fähigkeiten gibt, die wir pflegen sollten, falls wir sie schon haben oder die wir wieder erlernen sollten?

Dr. Gregor Hagedorn Also die Ressourcenfrage wird dadurch entschieden, ob es repariert wird oder nicht und nicht dadurch entschieden, ob ich es repariere oder nicht. Das heißt, das ist erst mal ein systemischer Wandel, den wir benötigen. Also wir besteuern, wir verteuern Arbeit in unserem System extrem und die Importe, die Ressourcen und natur- und klimaschädlichen Importe, die sind extrem billig. Dadurch lohnt es sich nicht zu reparieren. Ich mach das nicht für Socken, aber ich habe das schon öfter für Kleidung gemacht, dass ich so irgendwie eigentlich unwirtschaftlich handele und Kleidung beim Schneider reparieren lasse, wenn der Reißverschluss kaputt ist. Eigentlich könnte man sagen: Ach, das lohnt sich doch nicht, kauf gleich was Neues. Da handele ich so ein bisschen gegen die Wirtschaftlichkeit und das ärgert mich jedes Mal. Es ärgert mich, dass ich irgendwie jetzt aus Überzeugung unwirtschaftlich handeln soll, weil der Staat ein System aufgebaut hat, das einfach gegen die Klima- und Biodiversitätsgerechtigkeit aufgestellt ist. Also ich glaube, die erste Sache ist tatsächlich überhaupt dran zu denken: Lasse ich das reparieren?

Die zweite Sache ist, das einzufordern, politisch und dafür zu sorgen: Reparatur muss immer billiger sein. Eine in gesamtgerechter Sicht geeignete Reparatur muss immer billiger sein als ein Neukauf, als ein zeit-anteiliger Neukauf. Und dann die zweite Frage, die du stellst: Eigentlich muss ich das können. Das ist eher eine Resilienzfrage, also eine Frage, wie gut kann ich das machen, wenn es mir mal schlechter geht, wenn mein Einkommen sehr schwankend ist. Mit einem Durchschnittseinkommen sollte man dann die Produkte vom Schneider reparieren lassen, weil das wahrscheinlich sehr viel effizienter ist und bessere Qualität hat und usw. Wenn ich sage, ich möchte das aber auf jeden Fall selbst können, dann ist das eher eine Frage: Wie selbstständig bin ich? Wenn niemand da ist, der mir das reparieren kann, wenn ich mir die Reparatur nicht leisten kann, wenn es zu gesellschaftlichen Verwerfungen und ähnlichem kommt. Aber das ist ein bisschen. Ich denke, das sind zwei verschiedene Motivationen, ob die Dinge repariert werden oder ob ich es reparieren kann.

Stefanie Okay. Und wenn wir noch mal so auf Kinder blicken, die in der Regelschule generell Dinge lernen nach einem Plan, der schon sehr alt ist. Würdest du da was ändern, dass du denkst okay, Kinder, die sollten am besten das, das und das lernen, um sich auf diese Zukunft vorzubereiten, die uns da erwartet.

Dr. Gregor Hagedorn Ja, ich denke schon. Das wird ja auch gemacht. Das wird überall gemacht. Ich habe zwei Kinder. Und es ist schon erstaunlich, was in Schulen passiert und was kreative Lehrer als Unterrichtsinhalte machen. Mein Sohn hatte als Unterrichtsinhalte in Englisch dann die planetaren Grenzen und dann haben sie alle den Film mit Johan Rockström geschaut und hatten dann die planetaren Grenzen unter sich verteilt und haben dann Vokabelarbeit dazu gemacht und darüber diskutiert. Das kann man im Englischunterricht machen. Fand ich echt toll, wie kreativ man sein kann. Aber genau das, was ich vorher sagte: Es ist eine Frage der Dosis. Gemacht wird es. Es wird überall über Bildung für nachhaltige Entwicklung gesprochen. Es gibt Nachhaltigkeitsschulen, BNE-Schulen, es gibt viele Schulveranstaltungen dazu, aber viele Lehrer·innen sind einfach auch an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und sagen: Ja, finde ich toll, aber bei mir ist einfach kein Platz mehr da. Ich bin kurz vorm Burnout. So geht es nicht.

Das heißt, es muss kontrolliert sein. Es muss vom Aufwand her möglich sein. Es muss dann auch gefordert sein, wenn es möglich ist. Aber man kann nicht einfach sagen: Jetzt macht das mal alle freiwillig und die Dosis muss stimmen. Es muss nicht darum gehen irgendwie, ob man in der zehnten Klasse zwei Stunden mehr für Klima macht, sondern klare Vorgaben. Und meine Vorgabe ist so ein Projekt 20 mal zu starten, um ein bisschen so die Flughöhe zu erhöhen und sagt, 20 % vom Unterricht in jedem Fach sollte sich mit Zukunftsthemen auseinandersetzen. Da ist das ja nicht der Gregor Hagedorn oder die Stefanie, die sagt, das muss da rein, sondern da sind das dann sicherlich die Curricula, aber sehr viel auch die Lehrer·innen, die sagen, okay, 20 % der Unterrichtszeit habe ich wirklich frei. Das ist jetzt nicht etwas, das ich mir abknapsen muss, um dann nachher laufen meine Schüler·innen im MSA oder im Abitur oder so etwas gegen eine Zentralprüfungswand, sondern das sind wirklich Gestaltungsräume. In diesen Gestaltungsräumen können wir fächerübergreifend über Zukunftsthemen nachdenken.

Ich kann das in Mathe machen, ich kann das in allen Naturwissenschaften machen. Ich kann das in allen Geisteswissenschaften machen. Ich habe gerade gesagt, in den Sprachfächern kann ich das auch mit Kreativität machen. Ich Kunststoffe in Chemie einfach nur als chemisches Thema der Polymerisation durchmachen. Ich kann Kunststoffe mit einem gigantischen Bezug zu unserer Lebenswirklichkeit behandeln. Was ermöglichen uns Kunststoffe, welche Kunststoffe funktionieren wie? Was haben wir für geniale CO Polymerisationsprozesse entwickelt? Was sind die Probleme von Mikroplastik? Was bedeutet das, bioabbaubar zu sein? Ihr kennt vielleicht, dass es da tatsächlich Kunststoffe gibt, die wirklich bio abbaubar sind und solche, die es gar nicht sind. Bioabbaubar bedeutet sie werden in kleine chemische Bestandteile zerhackt, die zwar winzig klein sind, dann aber persistent sind. Also das müsste eigentlich doch jeder wissen.

Ich müsste in den mathematischen Fächern viel mehr Kenntnisse zusammen vielleicht mit Geografiekenntnissen über wirklich Datenanalyse, Datendarstellung, Statistiken, Weltwissen haben. Es gibt eine fantastische Seite, kann ich euch empfehlen: Our world in Data. Es macht ein deutscher Max Roser aus England zusammen mit Hannah Ritchie und einigen anderen die Welt neu erkunden. Quasi nicht auf einem Atlas mit dem Finger, sondern auf einem Bildschirm mit Daten Graphen, wo man sieht, wie verändern sich Prozesse, welche Beziehung haben Daten, was ist groß, was ist klein? Ist vielleicht jetzt ein bisschen ein Nerdempfehlung, weil es vielleicht so klingt, als sei das total schön designt. Es ist ganz okay, aber es sind einfach Datendarstellungen. Aber darüber nachzudenken, was wissen wir über die Welt? Ich stelle immer wieder fest, dass wir über die Welt unglaublich wenig wissen. Ich bin ja Biologe und ich stelle öfter eine Frage. Wenn ihr Lust habt, mache ich das gerade noch mit euch. Eine Frage über was ist euer Bild von der Natur dieses Planeten zu stellen? Sollen wir das machen?

Stefanie Können wir gerne machen. Die Verbindung zur Natur wieder herstellen finde ich ein sehr schönes Thema und auch darüber nachzudenken, wie sieht es denn aus?

Dr. Gregor Hagedorn Ja, Verbindung zur Natur auf jeden Fall. Aber auch Wissen. Überhaupt wie ist die Natur, auf welchem Planeten leben wir? Und die Frage geht so und ich bitte euch alle jetzt hier, die ihr den Podcast hört, dann so ein bisschen mitzudenken und vielleicht selbst mal gleich auszusprechen. Eine Zahl. Stefanie, du spielst hier auch mit.

Die Frage ist, wenn wir die Biomasse, also das Gewicht aller Landsäugetiere, als 100 % betrachten, das sind Elefanten bis zur Zwergfledermaus. Alles, was Säugetier ist. Keine Insekten, keine Pflanzen, keine Fische usw und auch nicht die Meeressäugetiere wie Wale oder Delfine. Die lassen wir jetzt mal raus. Das ist sowieso schwer vorstellbar. Aber an Land kennen wir uns ein bisschen aus. An Land können wir gucken, in die Ozeane können wir ja nicht reingucken. Das kann man sowieso nur aus dem Buch rauslesen, was das eigentlich ist. Aber an Land haben wir das Gefühl, das können wir gucken. Wir sehen ganz viele Filme über Land und Natur an Land. Wir wissen, was ein Säugetier ist. Wenn wir jetzt die gesamte Masse aller dieser Säugetiere als 100 % betrachten, wie viel Prozentpunkte davon ist das Gewicht aller Menschen auf der Erde?

Stefanie Das weiß ich nicht. Ich würde aber sagen...

Dr. Gregor Hagedorn Genau wissen wir alle nicht. Aber darum geht's ja. Du sollst es nicht wissen. Aber was sagt deine Vorstellungskraft dir? Wie schätzt du das ein? Auf fünf oder zehn Prozentpunkte? Eine genaue Zahl ist völlig unmöglich. Wüsste niemand, der das nicht vorher auswendig gelernt hat.

Stefanie Also ich wage es jetzt. Vielleicht ist das ganz falsch. Und ich sag jetzt 20 %.

Dr. Gregor Hagedorn 20 % finde ich cool. Ich hab das ähnlich selber gedacht. Ich weiß es nicht mehr, ich glaube, ich habe 15 % gedacht.

Stefanie Aber die Wahrheit ist eine ganz andere, oder?

Dr. Gregor Hagedorn Die Wahrheit ist, dass es 36 % sind.

Stefanie Okay.

Dr. Gregor Hagedorn Also 36 % des Gewichts aller Landsäugetiere sind erst mal wir selbst. Hat mich, als ich das zum Ersten Mal gehört hat, ganz schön bisschen umgehauen. Das war fast dreimal so viel, wie ich geschätzt hatte. Du warst schon näher dran als ich jetzt. Die nächste Frage ist dann der Rest jetzt? Wir haben jetzt noch 64 Prozentpunkte und die können wir aufteilen in Haustiere und Nutztiere des Menschen, also Hunde, Katzen, Pferde, Kühe, Schafe, Rinder, Kamele, und die Wildtiere, die in den Ökosystemen leben. Also wirklich Elefanten, Mäuse, Mäuse im Garten, Fledermäuse, alles, was es sonst noch an Säugetieren auf diesem Planeten gibt. Wie schätzt du das? Wie viele Prozentpunkte machen die Haus- und Nutztiere aus?

Stefanie Also es müssen auf jeden Fall mehr sein, als die Wildtiere, um einiges mehr, weil sehr, sehr viel gegessen wird und es gibt viele Katzen und Hunde. Dann würde ich sagen, bleiben vielleicht davon noch so 14 % Wildtiere und der Rest sind Nutz- und Haustiere.

Dr. Gregor Hagedorn Also du sagst jetzt 14 % Wildtiere, 36 % Menschen und 50 % der gesamten Biomasse dieses Planeten sind die Nutztiere.

Stefanie Nutz- und Haustiere hatten wir gesagt. Also zusammen. Ja.

Dr. Gregor Hagedorn Ich bin total beeindruckt von dir, Stefanie. Du hast ein sehr realistisches Weltbild, ein wesentlich realistischeres Weltbild als die meisten Menschen. Tatsächlich sind es nicht 50, sondern 60 Prozentpunkte. Okay, das heißt, die Gesamtaufteilung ist, wenn wir das Gewicht aller Landsäugetiere dieses Planeten nehmen, dann sind 36 Punkte davon wir selbst, 60 Punkte sind unsere Haus- und Nutztiere und 4 % ist sind die Wildtiere.

Stefanie Ja und dann kämen ja noch die ganzen anderen Tiere, die wir gerade ausgeschlossen haben, dazu.

Dr. Gregor Hagedorn Es sind jetzt sozusagen die Tiergruppen, mit denen wir direkt konkurrieren. Wir können nicht in Termitenbauten leben, das heißt, von diesen für Säugetiere verfügbaren Ressourcen haben wir auf diesem Planeten ungefähr 96 % für uns beansprucht. Das finde ich, ist krass. Das ist ein wichtiges Weltwissen, weil viele Menschen in diesem Land immer noch glauben, dass wir unter 50 % der Natur beanspruchen. Wir sind viel weiter. Wir sind in unseren Ansprüchen, in unserer Beanspruchung so ungeheuer weit, dass dieses Bauchgefühl: „Wir haben aber noch Zeit, es gibt doch noch so ganz viel Natur und es gibt auch noch ganz viel Klimastabilität. Und wir als Menschen könnten doch niemals.“ Das ist ein Bauchgefühl von vielen Menschen. Und wenn wir was verändern wollen, dann glaube ich, müssen wir ganz viel von diesem Bauchgefühl verändern und sagen: Nee, das ist nicht so, sondern wir sind dran. Wir sind die Gestalter. Wir sind diejenigen, die unsere eigene Zukunft in der Hand haben. Wir sind nicht irgendwie im Garten Eden, der schon weiter existiert, sondern wir haben die Grenzen überschritten. Wir haben einen ungeheuren großen Einfluss auf diesen Planeten. Und wenn wir uns nicht in den Griff bekommen, dann werden wir die Zukunft unserer Kinder zerstört haben.

Stefanie Ja, was rätst du denn Menschen, die so das Gefühl haben, als einzige sich zu engagieren, Also da irgendwie allein zu sein unter vielen?

Dr. Gregor Hagedorn Ich glaube, das ist tatsächlich dann schon eine Problembeschreibung und da rauszukommen ist ein Teil der Lösung. Weil alleine gegen den Strom schwimmend, werden wir unsere Gesellschaft nicht umgestalten. Und ich rate den Menschen ganz klar zu versuchen, Gleichgesinnte zu finden. Aber idealerweise auch Gleichgesinnte in ihren Freund·innen, in ihren vielleicht weniger engagierten Freund·innen, Nachbar·innen. Mit diesen Menschen über ihre Sorgen zu sprechen. Dort dann gemeinsam zu überlegen, vielleicht auch auf einem Niveau, auf dem, wo man selbst das Gefühl hat, da bin ich schon drüber hinweg. Aber diese Freund·innen, Nachbar·innen, Kolleg·innen mitzunehmen auf eine Reise, gemeinsam zu versuchen, eine bessere Welt zu gestalten.

Der tolle Bill McKibben, der mit diesem 350.org Projekt daran arbeitet, dass möglichst viele Leute mit ihrem Geld nicht weiter die Zerstörung des Planeten finanzieren sollen, der gibt als Ratschlag immer: Was soll ich machen? Erstens organisiert euch, zweitens organisiert euch und drittens: Jetzt dürft ihr eine Glühbirne wechseln. Das ist so auf die Spitze getrieben. Also organisieren kann politische Organisation bedeuten, aber es kann vor allen Dingen und ich glaube, das wird manchmal übersehen, bedeuten, sich in kleinen Freundesgruppen zu organisieren, deren Zweck gar nicht sein muss, eine gigantische Wirksamkeit zu haben. Aber organisiert zu sein in kleinen Gruppen, die sich ein begrenztes, erreichbares Ziel gemeinsam setzen, ist ein ungeheurer Gewinn, ein Gewinn wirklich für die Gesellschaft und für das eigene Leben, für das Wohlbefinden, für die psychische Gesundheit von Menschen, die sich ansonsten vereinsamt und verzweifelt fühlen.

Stefanie Und weil wir ja mit dieser Frage angefangen haben, dass du gesagt hast, wie kämpfen wir für bessere Welten, in denen nicht alles gut sein wird? Also noch mal die Abschlussfrage: Wie schaffen wir das denn jetzt? Wird alles gut gehen oder wie schaffen wir es, dieses gute Leben zu erreichen?

Dr. Gregor Hagedorn Ja, ich glaube, dass wir das politisch schaffen, dass wir in kleinen Gruppen, in größeren Gruppen, in öffentlichen Diskussionen, in möglichst vielen Gesprächen, ob diese Gespräche im Fernsehen stattfinden oder in einem Wahlkampfbüro oder Wahlkreisbüro oder am Tisch in der Kantine mit Kolleg·innen. Dass wir durch ganz viele Gespräche miteinander lernen müssen, dass wir diese Gesellschaft in ihren Regeln ändern müssen. Und das Schritt für Schritt. Dass das Schritt für Schritt gehen muss. Also nicht irgendwie eine große Revolution und dann ist alles gut, sondern schon Schritt für Schritt. Aber das mit der ausreichenden Geschwindigkeit und Dosis.

Meine große Hoffnung ist wirklich, dass historisch betrachtet die Veränderungsgeschwindigkeit von Gesellschaften nicht konstant ist, sondern dass es eher eine Sache ist, wo es manchmal 100 Jahre kaum einen Fortschritt gibt und dann gibt es ein Jahrzehnt, in dem gibt es gigantische Fortschritte. Es gibt ja so Klimakipppunkte, also Systeme, wo es mit relativ wenig Veränderung von außen dann plötzlich ganz große Umbrüche gibt, dass Dinge ganz anders funktionieren und ähnlich. Zu diesen Klimakipppunkten gibt es auch soziale Kipppunkte. Das war bei der Frage des Frauenwahlrechts so, das war nach einer langen Stagnation von fast keinen Fortschritten zwischen 1865 und 1965 bei den amerikanischen Bürgern schwarzer Hautfarbe so. Das ist in vielen Fällen so, dass Dinge, wenn unser Kopf, wenn die Bedingungen andere sind, wenn der gesellschaftliche Wille anders wird, wenn von außen das verstärkt wird durch die Erfahrung von ersten katastrophalen Einflüssen, dass Dinge sehr viel schneller gehen können.

Ich persönlich glaube, dass wir die Nachhaltigkeitsziele zwar nicht 2030 erreichen, aber dass wir sie vielleicht 2050 erreicht haben werden. Und ich stell mir dann immer so vor, dass weil ich ja sage, das Wichtige ist eigentlich unser Kopf, die Frage, wie wir selbst unsere Welt betrachten. Ich stelle mir vor, dass dann vielleicht die UN Generalsekretärin oder der UN Generalsekretär eine Rede halten wird. Und vielleicht wird in der Rede so etwas stehen im Jahr 2050, zur Feier der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele, dass sie oder er sagt: „Es fällt schwer zu glauben, dass das, was heute als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit erkannt ist, früher einmal normal war.“

Ich komme mir häufig so vor, als würde ich heute schon auf unsere Welt so schauen und denke: Das kann doch nicht wahr sein, dass das normal ist, so zu handeln. Und wenn wir möglichst viele Menschen so mitnehmen, die sagen, das ist nicht in Ordnung, einfach die Welt auf Kosten der eigenen Kinder zu zerstören. Und es ist nicht so, dass die Kinder dafür verantwortlich sind, sondern du bist verantwortlich. Wir als Erwachsene sind die Erwachsenen, die diese Entscheidungen verantworten müssen. Und wenn wir uns dessen bewusst sind, dann können wir anders handeln und dann können wir auch schnell handeln.

Stefanie Das ist eigentlich schon ein wunderbares Schlusswort. Dann bedanke ich mich sehr für deine Zeit, die du dir genommen hast und für die vielen Ausführungen. Ich denke, dass viele Menschen jetzt inspiriert sind und auch ins Handeln kommen werden.

Dr. Gregor Hagedorn Vielen, vielen Dank Dir, Stefanie, für das wunderbare Gespräch. Hat mir sehr viel Freude gemacht.

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