Folge 287 - Klimakleber im historischen Kontext

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Folge 287 - Klimakleber im historischen Kontext

Ob Klima - RAF, Ökoterrorist·innen oder Moor-Taliban - von Aktivist·innen, die konsequent für die Rettung unserer Lebensgrundlage eintreten, wird aktuell schnell ein gewaltbereites, demokratiefeindliches Bild gezeichnet, das in keinem Verhältnis zu ihren Aktionen steht.

Gerade die sogenannten "Klimakleber" der Letzten Generation üben ausschließlich gewaltfreien, friedlichen Widerstand aus. Und auch die "Moor-Taliban" - in diesem Fall wurden Verteter·innen des Greifswalder Moorzentrums so bezeichnet - reden nur über Maßnahmen zur Wiedervernässung der Moore, um das Klima zu schützen. Sie setzen diese Maßnahmen keinesfalls gewaltvoll um.

Trotzdem diskutieren Menschen landesweit darüber, wie die Klimakleber die Gesellschaft spalten und sie der Klimabewegung mehr schaden als nützen.

Wir stellen dieses Phänomen in einen historischen Kontext und zeigen, dass auch bei früheren gesellschaftlichen Bewegungen, es immer wieder Aktionsformen gab, die eine ähnliche Reaktion hervorgerufen haben. Und dass es meist diese Aktionsformen waren, die letztlich der Bewegung zum Erfolg verholfen haben.

Links zur Folge

Buch "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt - Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen" Andreas Malm
https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/wie-man-eine-pipeline-in-die-luft-jagt.html

Umfragen zur Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern in den USA [EN]
https://news.gallup.com/vault/246167/protests-seen-harming-civil-rights-movement-60s.aspx

Studie zu den sozialen Kipppunkten [EN]
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1900577117

Soziale Kipppunkte im Klimawandel - Deutschlandfunk
https://www.deutschlandfunk.de/soziale-kipppunkte-klimawandel-100.html

Öffentliches Statement AnästhesistInnen/ NotärztInnen zu Aktionen der Letzten Generation:
https://yewtu.be/watch?v=0nnhYYssz4I

Musik: "A.W.M." und "Protest ist cool aber anstrengend" von Madsen

Vollständiges Transkript der Folge

Stefanie Heute sprechen wir über ein Thema, über das wir eigentlich gar nicht sprechen wollten, nämlich über die sogenannten Klimakleber, also die Letzte Generation und ihre Protestformen. Allerdings wollen wir das in einen größeren Kontext setzen. Warum sprechen wir jetzt darüber? Ich bin in letzter Zeit tatsächlich persönlich öfter in Kontakt mit diesem Thema gekommen, in dem ich Menschen gehört habe, die darüber gesprochen haben oder wirklich persönlich angesprochen wurde und in Diskussionen zu diesem Thema verwickelt, weswegen ich jetzt dachte: Komm, wir haben da noch so ein Buch, was wir sowieso besprechen wollten, verbinden wir das eine mit dem anderen und sprechen jetzt nicht nur darüber, wie wir, Carsten und ich, persönlich über die Letzte Generation und ihre Protestformen denken, sondern setzen das sowohl in einen weiteren, als auch in einen historischen Kontext. Und erzähl doch mal kurz, um welches Buch es sich handelt.

Carsten Ja, das Buch kommt aus dem Jahr 2020, ist also gar nicht so alt und wurde von Andreas Malm geschrieben und trägt den provokanten Titel „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt.“ Es hat den Untertitel „Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen.“ Das Buch selber, das habe ich schon vor einiger Zeit mal irgendwo mitbekommen, dass es das gibt. Und der Titel hatte mich, warum auch immer, angesprochen und es liegt aber auch schon eine Zeit lang zurück, dass ich das Buch gelesen und rezensiert hatte. Also für mich rezensiert. Also nicht irgendwie öffentlich, sondern einfach mal niedergeschrieben, was für mich wichtig ist. Und im Rahmen dieser ganzen Thematik, die jetzt gerade so in der Medienlandschaft breitgetreten wird, fand ich das eigentlich ganz passend jetzt genau diese Verbindung zwischen dem, was mit diesen Klimaklebern und und wie sie alle diffamiert werden an Thematik zu verbinden und zu gucken was gibt es denn tatsächlich im Rahmen von Protest und Widerstandsbewegung noch zu berücksichtigen?

Stefanie Ja, schauen wir mal genauer hin: Was macht die Letzte Generation eigentlich? Im Grunde sind es Menschen, die sich an Dingen oder auf der Straße festkleben. Und was fordert die Letzte Generation? Ein Tempolimit auf der Autobahn, ein 9 € Ticket und einen Bürgerrat. Also es sind ja alles keine bahnbrechenden Dinge, die da gefordert werden. Es ist eigentlich etwas, was sowieso schon so diskutiert wird, ist also jetzt nicht revolutionär. Es wird nicht gefordert, das System zu stürzen.

Carsten Ja, es ist sehr niederschwellig, das, was da an Forderungen gestellt wird.

Stefanie Und die Aktionsform ist mitnichten gewaltvoll. Aber den Protestierenden bzw. den Aktivist·innen schlägt sehr viel Gewalt mittlerweile entgegen, sowohl verbal als auch nonverbal. Und das nicht nur von Menschen, die bisher noch nicht aktiv fürs Klima geworden sind, sondern auch aus den eigenen Reihen. Da habe ich persönlich viel von Spaltung bisher gehört und mir wurde auch gesagt, dass die Letzte Generation gerade durch diesen Namen „die Letzte Generation“ Angst und Schrecken verbreitet und durch ihre Aktionen eher schadet als nützt. Und gerade dieses eher Schaden als Nutzen führt uns eigentlich dann jetzt in den weiteren und in diesem Fall historischen Kontext. Denn solche Protestformen wurden auch schon früher als etwas gedeutet, was der Bewegung, für die diese Protestformen eingesetzt wurden, eher schadet als nützt.

Ganz konkret möchte ich das an dem Beispiel der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren in den USA festmachen. Da hatte ich einen Artikel von 2019 noch mal rausgesucht, wo einige Zahlen veröffentlicht wurden. Da wurden nämlich Umfragen gemacht in den 1960er Jahren, die jetzt veröffentlicht wurden. Die wurden damals bestimmt auch schon veröffentlicht. Aber jetzt ist es interessant für uns, nämlich die Frage, ob diese Protestformen wie zum Beispiel Sit ins oder Freedom Busses oder andere Demonstrationen von N***** eher schaden oder nützen in dieser Bürgerrechtsbewegung und bei der Chance , dass die Rassentrennung aufgehoben wird und da haben 57 % gesagt, dass es eher schadet und 27 % haben gesagt, dass es hilft. Also auch da waren die meisten der Meinung, dass es eher schadet.

Das waren jetzt Zahlen von 1961 und dann werden auch noch Zahlen von 1963 und 1964 genannt. Und auch hier wieder die Frage: Hilft es mehr oder schadet es mehr wenn N**** in großen Demonstrationen auf die Straßen gehen und 1963 haben 60 % gesagt, dass es mehr schadet, als dass es hilft und 27 % haben gesagt, dass es hilft. Und 1964 war es dann so, dass 74 % gesagt haben, dass es mehr schadet. Und 16 % haben gesagt, dass es hilft. Das heißt, mit der Zeit, als die Demonstrationen immer größer geworden und immer mehr Menschen auf die Straße gegangen sind und das ganze Thema auch populärer geworden ist, haben immer mehr Menschen, die befragt wurden, gesagt, dass diese Demonstrationen eher schaden, als dass sie helfen. Je populärer es wurde, desto größer war die Meinung: das schadet der Bewegung.

Carsten Da würde ich jetzt ganz gerne überleiten zu den Inhalten des Buches, was ich da gelesen hatte. Also wie gesagt, der Titel heißt „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt.“ Ich muss vorwegnehmen: es gibt keine Anleitung. Also es ist jetzt nicht so, dass da wirklich eine plastische Anleitung drinsteht, wie die Personen, die das Buch lesen, dann nachher in die Lage versetzt werden, irgendwelche Pipelines in die Luft zu jagen. Nichtsdestotrotz ist der Gegenstand dieses Buches tatsächlich die Art und Weise, wie Protest gelebt wird. Protest und Widerstand. Und da wird noch mal ein Narrativ hervorgehoben, und zwar konzentriert sich der Autor Andreas Malm in seiner Aussage sehr stark auf die Bewegung Extinction Rebellion, weil die sehr populär zu dem Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches sind und waren und auch einen sehr stark gewaltfreien Ansatz verfolgten und verfolgen. Das heißt also, da wird nur der gewaltfreie Widerstand propagiert und Andreas Malm spricht dort, dass in der - er dehnt das aus auf die Klimagerechtigkeitsbewegung insgesamt - dass dort ein sogenannter strategischer Pazifismus vorherrscht. Das heißt also dieses Denken, wir können gesellschaftliche Umbrüche tatsächlich nur durch einen gewaltfreien Widerstand erwirken ist das vorherrschende Narrativ in der Klimagerechtigkeitsbewegung.

Da greift Andreas Malm ein in seinem Buch und sagt Nein, das ist eine geglättete Geschichtsauffassung, die einfach wichtige Facetten ignoriert, außen vor lässt, entweder aus Unwissenheit oder weil sie aus irgendwelchem, ich sag jetzt mal auch politischen, strategischem wie auch immer Kalkül einfach nicht diesem vorherrschenden Narrativ eines gewaltfreien Widerstands zuträglich ist und geht dort auch noch mal auf historische Kontexte ein. Und im Rahmen dieser Bürgerrechtsbewegung, das ist ja damals auch mit Martin Luther King, der dort in den 60er Jahren als das prominenteste Beispiel mit reingelaufen ist, der nach außen hin als der Verfechter dieses gewaltlosen Widerstandes gilt und ja auch entsprechend – bitte nicht negativ verstehen - ikonisiert wird. Ja, er ist ja eine Ikone, war damals eine Ikone, hatte aber auch tatsächlich damals schon Personen, die dieser Haltung kritisch gegenüberstanden und eine sehr prominente Person, die auch im gleichen geschichtlichen und zeitlichen Kontext aktiv war, in dieser damaligen Bürgerrechtsbewegung ist Malcolm X, der sich sehr klar dafür ausgesprochen hat, dass es auch einen gewaltbereiten Widerstand geben muss.

So, und das ist tatsächlich etwas, was Andreas Malm in seinem Buch noch mal ausdrücklich betont, dass es diese klassische Sichtweise von ich sag jetzt mal sozialen Eruptionen in sozialen Bewegungen ausschließlich mit diesem gewaltfreien Widerstandshintergrund gar nicht gibt, sondern die Protestformen, die auch heute vielleicht so ein bisschen aus der Historie als gewaltfrei wahrgenommen werden, wurden immer durch einen gewaltbereiten Flügel frankiert - nicht frankiert, sondern flankiert.

Stefanie Wobei frankiert auch interessant wäre, sich das so zu überlegen. So Briefmarkenmäßig. Du kriegst da so einen Stempel drauf und damit wird der gewaltfreie Protest abgeschickt mit dem gewaltvollen...

Carsten Womit wir bei den Suffragetten und bei den brennenden Briefkästen wären. Auch da, in der Frauenrechtsbewegung, die Suffragetten sind ja jetzt auch nicht gewaltfrei unterwegs gewesen, sondern da hat es ja ordentlich gescheppert. Die mussten sich ja zumindest in späteren Phasen, wo der Protest tatsächlich, ich nenne es jetzt mal auch aktiver zu spüren war, Gehör verschaffen und auch durch das, was ich gerade schon sagte, Briefkästen anzünden, Scheiben einschlagen, also Schaufensterscheiben etc. Damit wird ja auch Druck ausgeübt. Also auch weit weg von einem rein pazifistischen, gewaltfreien Anliegen. Und Ähnliches finden wir in der Historie auch zum Beispiel bei der Anti Apartheidsbewegung. Nelson Mandela ist da das Aushängeschild, auch die Ikone. Da muss man auch zu sagen, dass Nelson Mandela dem bewaffneten Arm des ANC damals angehörte und er war der Führer des bewaffneten Flügels, die auch mit gewaltbereiten Mitteln versucht haben, das Apartheidsregime zu stürzen. Und dafür ist er auch ins Gefängnis gekommen. Und das sind alles historische Beispiele, die einfach zeigen: Pass mal auf, so diesen richtig gewaltfreien Widerstand, der dann ausschließlich dazu geführt hat, dass sich bestimmte historische Kontexte schlagartig ändern, den gab es nicht.

So und Andreas Malm geht dort auch noch mal auf die Person Gandhi ein. Da muss ich vielleicht noch mal so ein bisschen die die Kurve kriegen, weil die Phase, die Gandhi zur Ikone gemacht hat, war sehr geprägt durch gewaltfreien Widerstand. Gandhi selbst war aber gar nicht in seiner kompletten Biografie ausschließlich gewaltfrei. Auch der hatte in seiner, ich sag jetzt mal jüngeren Lebensphase, Situationen, wo er tatsächlich mit der britischen Armee gemeinsam gekämpft hat. Der war auf dem afrikanischen Kontinent in der britischen Armee und hat dort gemeinsam mit der britischen Armee, ich sag jetzt mal, koloniale Gefechte ausgefochten, bis er dann in späteren Lebensphasen sich gegen die britische Armee gewandt hat. Und da sagt Andreas Malm aus meiner Sicht auch so ein bisschen zu Recht: okay, es wird in dieser Ikonisierung des gewaltfreien Widerstands gerade hinsichtlich Gandhis Rolle bei der Befreiung Indiens immer so dargestellt, als ob Gandhis Bewegung dazu geführt hat, dass Indien sich vom britischen Königreich losmachen konnte. Und das ist nicht vollständig. Er hat einen maßgeblichen Anteil, vielleicht auch den Hauptanteil. Aber es ist nicht ausschließlich das gewesen, sondern es haben andere historische Bewegungen und Entwicklungen stattgefunden, die dem zuträglich waren, dass sich Indien damals lossagen konnte.

Anders lässt sich zum Beispiel auch nicht erklären, warum das britische Königreich insgesamt in sich mehr oder weniger zusammengefallen ist. Es war ja nicht nur Indien, das der britischen Krone unterstand, sondern auch andere Territorien und Länder. Auch die haben sich im ähnlichen Zeitkontext vom britischen Königreich entflechten können. Ich will sagen, es ist nicht ausschließlich nur dieser gewaltfreie Widerstand, der zu sozialen Umbrüchen führt, sondern man muss das ein bisschen komplexer sehen, mehr Wechselwirkungen mit einbringen. Und was Andreas Malm dort hervorhebt auch berücksichtigen, dass es immer diesen gewaltbereiten, bewaffneten, teilweise flankierenden Flügel oder Arm gegeben hat in den einzelnen Sozialbewegungen, die wichtig waren, die jetzt nicht als Störfeuer wahrgenommen wurden. Oder wurden sie vielleicht in der Bewegung auch, die haben auch zu einer Spaltung geführt, haben auch innerhalb der entsprechenden sozialen Bewegung dafür gesorgt, dass man sich positionieren musste. Bist du für oder gegen Gewalt? Aber die haben ein sehr kritisches Moment immer mitgespielt und ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass bestimmte soziale Disruption, Umstürze nicht funktioniert hätten, wenn es diese Gewaltbereitschaft nicht gegeben hätte.

Stefanie Ja, ich möchte da noch mal ergänzen zwei bis mehrere Punkte, je nachdem, ich bin mir nicht sicher, aber zum einen zu den Suffragetten. Es ist ja auch so, dass der gewaltbereite Widerstand der Suffragetten und der Aktivismus auf Jahrzehnten von friedlichem Widerstand basiert, der einfach nicht wahrgenommen, nicht beachtet wurde und dann darin gemündet hat, dass da in dem Fall Frauen gesagt haben wir müssen jetzt einfach gewaltvoll vorgehen. Aber dann ja auch nicht Gewalt gegen Menschen, sondern Gewalt gegen Dinge – was ja auch, ich nehme Carsten quasi die Worte jetzt aus dem Mund, Teil des Buches ist, da geht Carsten vielleicht gleich noch mal drauf ein. Aber um jetzt meine Gedanken noch zu Ende zu führen: Also zum einen, dass gewaltvoller Protest, wie gesagt Gewalt gegen Dinge, nicht gegen Lebewesen, immer schon quasi ein fester Bestandteil war und letztlich auch zu einem sozialen Kippung geführt hat und soziale Kipppunkte sind tatsächlich etwas, wozu auch schon wissenschaftlich geforscht wurde. Ich verlinke da gerne auch noch mal ein paar Internetseiten und Studien in den Shownotes, dass du da dich auch nochmal einlesen kannst. Und in diesen Studien werden die sozialen Kipppunkte so beschrieben, dass nur 20 bis 25 % der Bevölkerung für ein Thema eingenommen sein müssen, damit die Stimmung komplett kippt. Es muss also nicht die Mehrheit sein, sondern 20 bis 25 % reichen schon aus. Und es geht auch darum, dass nur 3,5 % der Bevölkerung aktiv sein müssen, damit die Stimmung kippt, also damit dann dieser soziale Kipppunkt erreicht werden kann.

Es ist also eine relativ verhältnismäßig kleine Masse, die da aktiv sein muss und je nachdem wer da betroffen ist und um was es geht, können auch schon ein, zwei Menschen ausschlaggebend sein und das finde ich immer wieder sehr hoffnungsvoll, sag ich mal, das gibt mir persönlich auch Hoffnung, dass auch Einzelpersonen und kleine Gruppen, so wie ich das immer schon wieder mantramäßig erwähne, etwas bewirkt haben und auch bewirken werden, dass also auch Du, liebe Hörerin, lieber Hörer etwas bewirken kannst. Aber natürlich sollte die Last nicht auf Einzelpersonen liegen, also das ist schon klar, aber es ist möglich, dass du etwas bewirken kannst. Und was noch wichtig ist, ist, dass im historischen Kontext betrachtet Dinge, die damals stattgefunden haben, also zum Beispiel bei der Bürgerrechtsbewegung, damals, als die Menschen mittendrin waren und diese Proteste erlebt haben und es undenkbar erschien, die Rassentrennung aufzuheben, Bürgerrechte anzugleichen und etwas zu verändern, da wurden diese Proteste als schädigend empfunden. Aber jetzt, wenn wir jetzt von heute auf die Vergangenheit gucken, sehen wir sie eher als sozialen Kipppunkt und sehen sie als das, was letztlich den Wandel angestoßen hat und was dazu geführt hat, dass wir heute denken, wie konnte man denn damals so denken? Und das nicht nur bei der Bürgerrechtsbewegung in den USA, sondern auch beim Frauenwahlrecht und bei vielen anderen gesellschaftlichen Bewegungen.

Und so sehe ich das jetzt auch gerade bei der Diskussion um die Letzte Generation, dass sie jetzt gerade, in unserer jetzigen Gegenwart als schädigend empfunden werden, also die Aktionen, die sie durchführen und wir vielleicht in zehn Jahren sie als den sozialen Kippunkt sehen können - das wissen wir natürlich nicht, denn die Zukunft ist ungewiss - der dann dazu geführt hat, dass wir endlich als Gesellschaft in Richtung „Wir werden alle aktiv fürs Klima“ kippen.

Carsten Ja, und da leite ich jetzt nochmal kurz auf die Gedanken, die Andreas Malm in seinem Buch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ hinterlegt hat. Zum einen, was ich da sehr interessant und vielleicht auch vom Kontext her wichtig und auch gewichtig finde ist, dass er sagt: Du kannst die damaligen historischen Beispiele, die wir jetzt so genannt haben mit der Frauenrechtsbewegung, den Suffragetten, Ende der Apartheid, Ende der Sklaverei, was ja auch öfters mal mit reingebracht wird als Beispiel oder auch den Sturz von Diktatoren und Autokraten, was jetzt ja gerade mit dem arabischen Frühling etc. immer mal wieder als Beispiel mit reingegriffen wird, das alles kannst du eigentlich gar nicht mit der jetzigen Situation vergleichen, weil das Problem, dem wir uns jetzt gegenüber stellen, ungleich größer ist. Es ist kein Einzelphänomen, wobei die anderen auch keine Einzelphänomene waren. Das waren auch schon extremst große Themenfelder. Aber gegen das, was wir jetzt gerade ankämpfen, ist dieses business as usual unsere ganz normale Alltagspraxis, also das, was wir als Praktiken im Alltag, auch im beruflichen Kontext, im wirtschaftlichen Kontext leben, das ist das, gegen das wir gerade angehen. Und das führt natürlich genau zu dieser Reibung, die die Letzte Generation da hervorruft.

Das merkt man dann auch an diesen Ausbrüchen Klimakleber, Ökoterroristen, Klima-RAF, da wo na ja, kann man sich ja überlegen, wo das herkommt. Meiner Meinung nach kommt das aus einer Ecke, um es mit der Band Madsen zu sagen: „Alte weiße Männer!“ Das mal als kurzes Statement. Und Andreas Malm sagt auch: Wir müssen das Kämpfen an sich komplett neu lernen im Rahmen dieses Kontextes, der sich dort ergibt, weil die Aufgabe, der wir uns stellen, einfach viel, viel größer ist. Wir haben noch keine Patentlösung, aber wir müssen an der Stelle auch so ein bisschen unterscheiden zwischen den Vorgehensweisen. Und da ist es vielleicht auch noch mal hilfreich zu verstehen, es gibt ja Protest und es gibt Widerstand. Das war mir, bevor ich dieses Buch zum Beispiel gelesen habe, gar nicht so wirklich bewusst. Ich habe das beides miteinander vermischt Protest, Widerstand, blabla. Und ich habe manchmal so den Eindruck, dass Protest okay ist, solange er im stillen Kämmerlein stattfindet, niemanden stört. Du darfst auf die Straße gehen, das Anmelden, darfst auch ein bisschen laut rumschreien, aber nur wenn Du anschließend die Straße wieder gefegt hast und alles sauber ist und der Straßenverkehr wieder rollt, ist das okay. Widerstand ist ja schon so ein bisschen was anderes. Ist ja schon ein bisschen. Nun okay, da läuft jetzt irgendwie was nicht so richtig, da wird was irgendwie blockiert Und ich möchte jetzt einfach mal eine Definition geben, die ich sehr schön fand, die ich auch aus diesem Buch entnehme.

Und da zitiere ich mal, was Andreas Malm dort reingeschrieben hat, was Protest und Widerstand betrifft: „Protest ist, wenn ich sage das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht. Protest ist wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit und Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass alle anderen auch nicht mehr mitmachen.“

In gewisser Weise kann ich das ja auch auf die Aktionen der letzten Generation übertragen, die zumindest mal punktuell, situativ und für einen überschaubaren Zeitraum versuchen, Alltagspraxen zum Stillstand zu bringen, um auch mal zu reflektieren, was passiert da eigentlich? Und auch einmal kurz dafür zu sorgen, dass andere Personen da auch nicht mehr mitmachen können. Das zu unterbinden, das ist aus meiner Sicht auch ein Kern dessen, was da gerade passiert und dementsprechend kann ich das absolut verstehen, was für eine Protestform dort gewählt wurde und bin auch der Meinung, dass sich das darin nicht erschöpft. Das heißt also, das Repertoire der Klimagerechtigkeitsbewegung muss sogar noch Schritte darüber hinausgehen, also weg vom ganz normalen Protest, der muss weiterhin stattfinden. Protest muss aufrechterhalten werden, weil der die Massen mobilisiert. Ich muss Widerstand leisten und auch das noch mal kurz eingeschoben: Wir sprechen hier auch was die Letzte Generation betrifft, vom gewaltlosen, vom friedlichen Widerstand. Dass der natürlich gewaltbereite und unfriedliche Reaktionen provoziert, sei mal dahingestellt, macht aber den Protest oder die Widerstandsform nicht automatisch gewaltvoll oder gewaltbereit, sondern ist weiterhin völlig gewaltfrei.

So. Und jetzt kommen wir aber an einen Punkt, wo wir sagen müssen: auch da noch mal einen Schritt weitergehen. Wir müssen auch gewaltbereiten Widerstand leisten und zwar gegen Infrastrukturen, gegen fossile Infrastrukturen. Womit wir beim Titel des Buches sind „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt.“ Also das ist tatsächlich etwas, was Andreas Malm ganz klar sagt: Wir können nicht auf dieser Stufe des Protests und gewaltfreien Widerstands stehenbleiben, sondern wir müssen auch berücksichtigen, dass das, was wir als Klimagerechtigkeitsbewegung zu leisten haben, noch entscheidende Schritte weitergeht. Und das ist auch ein Punkt, wo er sagt: Dann müssen wir das Kämpfen neu lernen. Wir müssen überlegen, was für Aktivitäten, was für Aktionen, was für Widerstandsformen können wir da noch einflechten. Da ist ganz viel Kreativität nicht nur gefragt, sondern existiert mit Sicherheit auch. Und das kann anfangen bei kleineren Protestformen, wo ich zum Beispiel gegen die SUVs Aktivitäten vorschiebe und versuche denen mal Luft aus den Reifen zu lassen. Das ist ein Beispiel, was in diesem Buch kam. Das fand so Stockholm im Jahre 2007 statt.

Da hat es einen Sommer gegeben, wo eine gewisse Bewegung dort einfach mit - ich sage es jetzt einfach mal: Mungbohnen - dafür gesorgt hat, SUV Fahrende vom fleissigen Davonkommen zu hindern. (Die haben nichts anderes gemacht als Mungbohnen - Kriegt man hier in Hamburg übrigens beim Budni - in die Autoventile reinzustecken, ne Verschlusskappe des Ventils aufdrehen, Mungbohne rein, Verschlusskappe wieder zudrehen und dann im Laufe einer Nacht entweicht genügend Luft, dass dann anschließend der Reifen platt ist.) Das ist keine Sachbeschädigung. Ich lehne mich jetzt aus dem Fenster: wahrscheinlich auch gar nicht wirklich strafbar. Es ist aber sehr hinderlich und wenn man das auf breiter Front mal so ausrollt in einer Stadt, dann kann man damit schon mal so ein Statement setzen.

Stefanie Natürlich zitierst Du gerade quasi frei aus dem Buch.

Carsten Absolut.

Stefanie Wir rufen nicht dazu auf, so was zu machen.

Carsten Nein. Wie kommst du darauf? Nein, nein, nein, nein, es ist eine Buchrezension. Ich bespreche gerade die Inhalte eines Buches. Natürlich geht das Buch auch über SUVs hinaus. Also was jetzt irgendwie generell fossile Infrastrukturen betrifft, der Begriff wird jetzt nicht weiter ausgeführt, bis auf ein paar Beispiele Richtung Pipelines. Aber zu fossiler Infrastruktur gehört ja noch ein bisschen mehr, die lahmzulegen, um einfach zu zeigen wir wollen das nicht mehr, wir wollen keine Wirtschaft, die auf reiner fossiler Energie funktioniert, wir müssen umsteuern. Und um diesen Steuerungsprozess zu beschleunigen, muss ich natürlich dann an einer gewissen Eskalationsstufe auch dafür sorgen, dass diese fossile Infrastruktur nicht mehr so funktioniert, um auch Zwang auszuüben, das vielleicht auch vom Kostenmäßigen her irgendwann nicht mehr attraktiv ist, diese fossile Infrastruktur zu betreiben, sondern eher auf nicht-fossile Infrastrukturen zurückzugreifen, diesen Umbauprozess vielleicht zu beschleunigen. So, und da kommen wir dann automatisch in eine Frage des Eigentums.

Also diese Strukturen sind ja jetzt nicht irgendwie Commons oder Gemeingüter, sondern das sind Privateigentümer von Konzernen, von Wirtschaftsstrukturen. Und da geht Andreas Malm in seinem Buch sehr fordernd mit rein und spricht auch davon, dass das Eigentum nicht der Sache der Erde vorgeschaltet sein darf. Also mit Erde meint er quasi Natur, den Planeten etc. Und er sagt auch, dass es kein technisches, kein natürliches und auch überhaupt kein göttliches Gesetz gibt, das besagt, dass gerade während dieses akuten Notstands, in dem wir uns hinsichtlich unseres Weltklimas bewegen, das Eigentum unantastbar sein muss. Nichtsdestotrotz haben wir natürlich auch gerade den Staat, der mit seinen Staatsorganen dafür sorgt, dass eine schützende Hand auf Eigentum gelegt wird. Das sieht man ja an den Aktivitäten, wie hier in Deutschland Hambacher Forst oder Lützerath. Da wird eher auf dieser entsprechenden Kohleförderung das Augenmerk gelegt und auch mit Staatsorganen wie Polizeieinsatz dafür gesorgt, dass Zerstörungsstrukturen, um weiter fossile Energie zu fördern, vom Staat geschützt werden. Während diese Protestaktionen, die sich dann aktiv dagegenstellen, ja mit mit Staatsressourcen quasi aus dem Weg geräumt werden. Also quasi so eine projektive Eigenschaft der Staatshand.

Und das gilt es tatsächlich zu hinterfragen und auch im Rahmen der Klimagerechtigkeitsbewegung nochmal zu reflektieren und zu gucken: wie gehe ich damit um und wie kann ich weitere Eskalationsstufen hervorrufen, die tatsächlich das Betreiben dieser fossilen Infrastruktur erschweren oder ökonomisch unattraktiv machen?

Stefanie Und wenn jetzt Menschen tatsächlich in diesem Maße aktiv werden und Gewalt gegen Dinge anwenden, um Widerstand zu leisten, dann kann ich auch verstehen, wenn es eine öffentliche Meinung gibt, die das verurteilt. Allerdings, wenn wir jetzt auf die Widerstands- bzw. Protestformen der letzten Generation schauen, ist das ja überhaupt nicht Teil deren Protestformen, sondern die kleben sich ja einfach nur fest und machen damit gar nichts kaputt, sondern sie blockieren für eine gewisse Zeit den Verkehr und trotzdem löst das so starke Aggressionen aus. Und das ist für mich natürlich dann auch wieder so der Beweis dafür, was du vorhin angeführt hast, dass wir uns einer größeren Sache widmen. Also dass der Klimaaktivismus und auch generell die Klimagerechtigkeitsbewegung oder Klimagerechtigkeit als Thema ein globales, allumfassendes, uns ganzheitlich betreffendes Thema ist und nicht nur etwas, was eine bestimmte Gruppe betrifft, sondern es geht uns alle an und anscheinend triggert es in uns die verschiedensten Emotionen und macht uns emotional in dem Fall, so, dass wir da nicht mehr wirklich rational drüber reden können und Menschen, die Bevölkerung, nur noch diese Protestformen sieht und darüber redet und gar nicht darüber, was denn jetzt eigentlich die Letzte Generation möchte.

Und so ein ähnliches Beispiel hab ich jetzt jüngst entdeckt: die „Moor-Taliban“. Also die fand ich ja auch sehr interessant und ich habe das so ein bisschen recherchiert, worum es denn jetzt überhaupt geht. Und letztlich geht es ja einfach nur um Wissenschaftler·innen aus Greifswald, die Moore wieder vernässen wollen im Sinne des Klimaschutzes und damit wiederum anderen Parteien auf die Füße treten, unter anderem im Agrarbereich. Weil Moore derzeit auch landwirtschaftlich genutzt werden, um Tiere darauf weiden zu lassen. Oder es stehen Tierställe auf Mooren. Also gerade im Bereich Milch hatte ich auch schon mal den Vergleich angestellt, wie viel Milchwirtschaft sozusagen „Milchvieh“ auf trockengelegten Mooren eigentlich sich befindet. Und das sind dann jetzt keine glücklichen Kühe, die dort weiden, sondern es sind einfach Ställe. Und gerade im Norden von Deutschland ist es viel der Fall und da ist dann wieder eine große Lobby, die was dagegen zu sagen hat. Und letztlich geht es also wirklich bei diesen Wissenschaftler·innen nur darum, dass sie darüber sprechen. Also sie ketten sich nicht an den Tierställen an und sagen hier muss jetzt das Moor wieder vernässt werden.

Zumindest habe ich bisher nichts davon gehört. Wer weiß das schon. Also nicht, dass es das jetzt doch schon gab oder wenn du das hier hörst, haben das schon Menschen gemacht oder so. Also zu dem Zeitpunkt, wo wir das ja aufnehmen, ist das noch nicht der Fall gewesen. Jedenfalls geht es wirklich nur darum, dass Wissenschaftler·innen ahrzehntelang geforscht haben, ihre Forschungsergebnisse teilen und sich für den Erhalt unserer Lebensgrundlage einsetzen, in dem sie sagen Moore müssen wieder vernässt werden und die werden dann von CDU Politiker·innen als „Moor-Taliban“ bezeichnet. Wobei wenn wir es mal wieder mit Madsen sagen es eigentlich um „alte weiße Männer“ geht. Und wenn wir uns so die gegenwärtige Situation anschauen, die Nachrichtenlage und was da so passiert, also die Betitelung von friedvollen Widerstand als Terrorist·innen, Moor-Taliban, Klima-RAF usw. und so fort, könnte man ja die Hoffnung verlieren, aber...

Carsten Da zitiere ich jetzt noch mal Andreas Malm, der sagt: „Der Kontext für Hoffnung ist radikale Ungewissheit. Alles ist möglich und hängt völlig davon ab, ob wir handeln oder nicht. Hoffnung ist keine Tür, sondern das Gefühl, dass es irgendwann eine Tür geben kann.“

Stefanie Ja, und dann würde ich sagen in diesem Sinne.

Madsen „Protest ist cool, aber anstrengend. Schon super wichtig, dass es so was gibt.“

Carsten In Hamburg sagt man Tschüss.

Stefanie Und auf Wiederhören.

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