Folge 302 - Warum wir unbequem sein müssen, um die Welt zu verändern

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Folge 302 - Warum wir unbequem sein müssen, um die Welt zu verändern

Diese Folge ist ein kurzes Statement zu den aktuellen GDL-Streiks.

Wir sprechen darüber, warum es wichtig ist, unbequem zu sein, wenn wir Veränderungen in unserer Gesellschaft anstreben. Wir erklären, warum Proteste, Streiks und Kämpfe das Wesen von Unbequemlichkeit sind und wie sie unser System herausfordern.

Und wir nehmen Stellung zu der Aussage, dass der Streik der GDL unverhältnismäßig sei und deshalb Streikrecht angepasst werden müsste.

Links zur Folge

(Wir verwenden kurze Ausschnitte aus dem Lied "Protest ist cool, aber anstrengend" von der Band Madsen.)

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Vollständiges Transkript der Folge

Stefanie Wir melden uns heute mit einem kleinen Statement zur aktuellen Lage. Normal machen wir sowas nicht. Aber ab und zu ist es wohl nötig. Denn jetzt im Moment wollen wir gerade Stellung nehmen zu dem GDL Streik, der jetzt stattgefunden hat und wo es ja immer noch gerade Tarifverhandlungen gibt, zumindest zu dem Zeitpunkt, wo wir das ja aufnehmen. Und Anlass war etwas, was Carsten gehört hat.

Carsten Ja, im Arbeitsumfeld haben wir auch über den Streik gesprochen, weil der uns natürlich auch betrifft mit der Frage wie kommen wir eigentlich zur Arbeit? Ein Großteil meiner Kollegschaft ist angewiesen auf den öffentlichen Nahverkehr und dementsprechend ist so eine Streiksituation für uns natürlich auch eine Herausforderung. Mit der Frage Bleiben wir im Homeoffice? Kommen wir in die Firma wer kommt, wann kommen wir etc. pp. Und im Zuge dessen war ich so ein bisschen erstaunt, dass ich im Kollegenumfeld eine Haltungsweise wahrgenommen habe, die aus meiner Sicht so ein bisschen fragwürdig ist. Und zwar ging es darum, dass eine Person irgendwann gesagt hat naja, mit dem, was jetzt gerade dort in dieser Streiksituation passiert, wäre sie schon geneigt, das Streikrecht zu ändern. Es ginge ja nicht an, dass ein Streik ewig durchgeführt werden könnte. Irgendwann müsste ja auch jemand mal sagen Jetzt ist Schluss und jetzt benehmt euch mal so nach dem Motto. Und dementsprechend wäre diese Person geneigt, das Streikrecht oder dem zuzustimmen, wenn das Streikrecht angepasst wird, so dass ein Streik nach einer gewissen Zeit auch von einer anderen höheren richterlichen Instanz dann beendet würde.

Stefanie Ja, so wie du mir das erzählt hast, war es ja so nach dem Motto Jetzt ist aber mal gut, ne? Also ist ja okay, dass da gestreikt wird, aber irgendwann muss auch mal gut sein, weil jetzt wird es langsam unbequem.

Carsten Ja anstrengend ist natürlich blöd. Da verlässt man so ein bisschen seine Komfortzone. Und Komfortzone wollen wir ja beibehalten. Also von daher Nein. Aber mal Spaß beiseite Ich fand das schon sehr haarsträubend, dass wir an der Stelle tatsächlich solche Meinungen haben. Und ich glaube, dass dieser gedankliche Korridor, in dem solche Haltungsweisen entstehen, dass der einfach fehlerhaft ausgerichtet ist. Und zwar, ich gucke da eher ein bisschen anders drauf. Ich stelle mir die Frage Ist denn jetzt eigentlich der Mensch für die Wirtschaft da oder die Wirtschaft für den Menschen? Also schon relativ abstrakt. Und du merkst vielleicht, da kommt jetzt auch so ein bisschen der Anarchist in mir zum Vorschein, So von wegen Machtposition. In so einer Streiksituation werden ja Machtpositionen auch mal anders dargestellt als im Alltag. Das heißt, da wird so, so dieses business as usual schon stark in Frage gestellt und auch einmal die Machtposition generell verschoben. Aber dann zu sagen okay, jetzt an einem bestimmten Punkt wird es ein bisschen unkomfortabel. Also möchte ich gerne wieder zurück in den vorherigen, in meine vorherige Komfortzone. Und jetzt ist mal gut. Ja, diesen diesen Riegel vorschieben, da bin ich eigentlich der Meinung, das ist der falsche Weg. Also so ein Protest ist für mich ja oder nicht Protest, sondern Streik ist für mich ja auch ein Anzeichen. Da ist etwas nicht wirklich im Gleichgewicht. Da ist etwas aus dem Lot geraten. Da fühlt sich eine Seite benachteiligt. Und diese Seite hat eigentlich nicht den großen Hebel, bis auf einen Streik. So, und da bin ich jetzt wieder bei der Frage Ist eigentlich die Wirtschaft für den Menschen da oder der Mensch für die Wirtschaft? Sondern ich tendiere eher Naja, eigentlich ist die Wirtschaft für den Menschen da, nur dass die Konfiguration, in der wir im Moment unser Gesellschaft und Wirtschaftssystem leben, ja vom Korridor in die falsche Richtung gegangen ist.

Stefanie Was ich dazu auch denke ist genau das gleiche eigentlich, was wir auch schon zu den sogenannten Klimaklebern, also der letzten Generation, zu den Aktionen der letzten Generation gesagt haben, nämlich dass es schon immer, also historisch betrachtet, eher krassere Proteste waren oder Protestformen, die etwas bewegt haben. Letztlich haben viele Protestformen eher damit angefangen, dass sie friedlich demonstriert haben und einfach versucht haben, darauf hinzuweisen Hier läuft etwas schief und viele Rechte, die wir heute haben, sind teilweise blutig erkämpft worden. Das ist ja noch weit entfernt von dem, was jetzt der GDLStreik da verursacht. Der verursacht jetzt eine Unbequemlichkeit im Alltag. Und Proteste müssen auch unbequem sein, sonst können sie ja nichts bewirken. Also was bringt es denn? Das ist immer und immer wieder wird es ja gebracht, auch mit den geht zur Schule, also Friday's for Future. Warum macht ihr das denn freitags? Ihr könnt das doch auch am Wochenende in eurer Freizeit machen. Geht doch in eurer Freizeit demonstrieren. Also es läuft letztlich immer wieder darauf hinaus. Es ist okay, also schon super wichtig, dass es so was gibt. Aber es soll unseren Alltag nicht zu sehr einschränken. Ein bisschen einschränken ist okay, aber jetzt, das war ja auch der Tenor von dem, was du gerade erzählt hast Jetzt ist gut, jetzt sollte es nicht mehr sein, weil jetzt wird es zu einschränkend. Aber jetzt zum Beispiel das Frauenwahlrecht wurde auch um einiges krasser noch erkämpft. Und dass wir heute diese Rechte haben, die für uns dann in diesem Fall selbstverständlich sind oder nicht mehr in Frage gestellt werden, ist ein Resultat von sehr, sehr, sehr unbequemen Protesten und Kämpfen.

Carsten Und unbequem wird es ja leider werden. Ich meine selbst Freiheit ist for Future hat ja den Slogan System change not climate change. Der ist zwar auch schon veraltet, es müsste eigentlich heißen System change because of climate change und wir müssen uns dem ja stellen. Das werden ja auch keine kleinen Kämpfe sein, die wir ausfechten. Es geht also nicht darum, einfach nur mal die Wochenarbeitszeit zu reduzieren und dafür dann auf die Straße zu gehen oder zu streiken. Sondern wir haben hier wirklich die Herausforderung, die die Grundkonfiguration der Art und Weise, wie wir zusammenleben und wie wir zusammen wirtschaften, völlig anders aufzustellen, sodass wir damit auch zukunftsträchtig arbeiten und agieren und leben können. Und dementsprechend finde ich da jetzt schon so eine Haltung. Aber irgendwann ist er mal gut. Wir haben jetzt die Komfortzone lange genug verlassen, Jetzt mal wieder ein bisschen Ruhe einkehren lassen, das können wir uns nicht mehr erlauben.

Stefanie Ich finde ja auch gerade dann den nächsten Teil, was du gesagt hattest, dass dann jetzt dann rechtlich die Meinungsfreiheit und die ja Streikfreiheit Demonstrationsfreiheit eingeschränkt werden soll, weil es jetzt unbequemer wird. Das finde ich auch sehr problematisch.

Carsten Ja, genau. Und da bin ich jetzt wieder bei meinem inneren Anarchisten, der dann sagt okay, jetzt werden die Machtverhältnisse wieder so. Regiert, dass die Parteien, die jetzt vorher schon genügend Macht hatten und deren Macht jetzt quasi so ein bisschen angegriffen wird durch eine Streik oder Protestform, dass deren Rechte jetzt noch mal verstärkt werden, damit sie richtig mit dem Hau drauf Hammer diese Situation wieder beruhigen können. So, und jetzt ist Ruhe im Kasten. So, das finde ich, finde ich sehr bedenklich, dass so was überhaupt angedacht wird, also diese Bereitschaft überhaupt da ist.

Stefanie Na ja, was wir eigentlich jetzt ja damit sagen wollen. Ich habe gerade gedacht, wir können das noch mal zusammenfassen, obwohl es jetzt ja keine lange Folge ist, aber letztlich, dass Streiks und Proteste Demonstrationen unbequem sein müssen. Es ist quasi das Wesen von Demonstrationen, Streiks, Protesten usw. Unbequem zu sein. Das ist wichtig. Das ist ein essentieller Bestandteil. Wenn es noch bequem ist und wir das leicht aushalten können, dann ist es ja auch für alle leicht aushaltbar. Und dann wird auch Veränderungen nicht leicht kommen. Denn wenn ich das leicht ertragen kann, dass da jemand streikt oder dass hat jemand protestiert und ich mache trotzdem weiter wie bisher. Also es beeinflusst mein Leben nicht. Und diese Veränderung, die gewünscht wird, die herbeiprotestiert werden soll, die ja wird überhaupt nicht in Betracht gezogen, sondern ja, die wird da dargestellt, die wird auch freundlich nickend wahrgenommen. Aber ja, sie wird nicht umgesetzt oder als Alternative gesehen oder als denkbar machbar gesehen, sondern einfach nur och hör, da hat jemand so eine Idee und möchte die kundtun und wählt deswegen diese Form, diese Art des Kundtun. Aber mich berührt das nicht. Ich mache einfach weiter wie bisher und auch das ganze Wirtschaftssystem, das ganze Gesellschaftssystem in dem wir leben, das geht einfach weiter wie bisher und jemand hat was gesagt, Dann ist das ja auch einfach kein Protest, sondern nur ich habe meine Meinung gesagt oder meine Meinung irgendwo kund getan und es hat nicht wirklich Veränderungspotenzial. Und während ich das gerade so gesagt habe, habe ich parallel gedacht, dass in einer Gesellschaft der Zukunft, also in einer klimagerechten, sozial gerechten Zukunft, ja eigentlich dann gar nicht mehr diese Demonstrationen geben muss und diese Streiks und diese gewaltvollen Auseinandersetzungen auch. Sicherlich wird es dort auch Unbequemlichkeiten geben, immer wieder Konflikte auch. Aber ich glaube, diese Art von Protesten, Streiks, Kämpfen, die wir in der Historie gesehen haben und die jetzt vielleicht auch stattfinden, sind unserer Gesellschaft geschuldet, also diesem System, in dem wir leben. Wenn wir ein System haben, dass nicht mehr nur auf die Mehrheit schaut, sondern auf jede einzelne Person und dann mehr kommuniziert untereinander, also unter anderem vielleicht auch soziokratische Methoden nutzt und nicht nur demokratische Methoden. Und wo es nicht nur privilegierte Menschen gibt, die am meisten zu sagen haben, sondern wo wirklich ein gutes Leben für alle möglich ist und wo dann auch alle gleichermaßen gehört werden können, wird das Miteinander auch ganz anders ablaufen als jetzt, wo Menschen die Veränderung anstreben und vielleicht dann noch eine kleine Gruppe sind, wirklich, wirklich viel tun müssen und alle Register ziehen müssen, um überhaupt wahrgenommen und gehört zu werden, um dieses System stören zu können. Kurz gesagt, wenn wir eine klima und sozialgerechte Zukunft erreichen wollen, kann der Weg dorthin nicht bequem sein.

Carsten Und ich denke auch, dass wir mehr Bereitschaft zeigen müssen, Unbequemlichkeiten auszuhalten, dass wir auch mehr Bereitschaft zeigen müssen, Unbequemlichkeiten herbeizuführen. Und wenn Unbequemlichkeiten existieren, dass wir auch Bereitschaft zeigen, dort reinzugehen und die Unbequemlichkeiten noch unbequemer zu machen, weil wir hier Machtverhältnisse aufbrechen müssen, Privilegien aufbrechen müssen.

Stefanie Das war unser Statement jetzt zur Bequemlichkeit von Streiks.

Carsten In diesem Sinne.

Stefanie In Hamburg sagt man Tschüss.

Carsten Und empört euch!

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