Folge 84 - Veganer·innen sind immer schlank
Ein Beitrag
In dieser Folge
- spreche ich mit Gesche Santen über unsere Erfahrungen als nicht-schlanke Veganerinnen
- plaudern wir über gesellschaftliche Normen und Anforderungen an den Körper einer Frau
- stellen wir klar, dass es die verschiedensten Gründe geben kann, aus denen frau nicht schlank ist.
Gesche Santen kennst Du schon aus der Folge 74, in der es um vegane Malerei und das Leben auf dem Lande geht.
Bei der Aufnahme des Gesprächs damals hat uns die Technik einen Strich durch die Rechnung gemacht- denn eigentlich habe wir noch über ein drittes Thema gesprochen: Dicke Veganer*innen.
Wenn man den Medien glaubt kann es dicke Veganer*innen gar nicht geben, weil eine vegane Ernährung automatisch schlank macht. Und auch die vegane Szene sieht dicke Veganer*innen als Gefährdung für die Veganisierung der Gesellschaft an.
Ein gutes Vorbild kann nur sein, wer schlank und fit ist - Veganer*innen, die nicht dieser Norm entsprechen schrecken dagegen ab und machen die Mühen der anderen Veganer*innen zunichte.
Dass es nicht "die Dicken" oder "die Veganer" gibt und warum das Gewicht und die Körperform nicht zwangsläufig in Verbindung mit einer veganen Ernährung stehen, darüber und einiges mehr sprechen Gesche und ich in dieser Folge.
Links zur Folge
Gesche Santen
http://geschesanten.com/
Folge 74 - Im Gespräch mit Gesche Santen
Artikel von Dr. McDougall
https://www.drmcdougall.com/misc/2008nl/dec/fat.htm
Colleen Patrick-Goudreau "The shame of overweight vegan"
Video
Podcastfolge
Peta Kampagne gegen Übergewicht
https://www.peta.org/blog/live-one-10-obese-cities-country/
Bild, von dem Gesche sprach
Transkript (von baerenstark Korrektur gelesen)
Stefanie Herzlich Willkommen zum „einfach vegan“-Podcast mit Carsten und Stefanie. Heute ohne Carsten, dafür mit Gesche.
Intro-Musik
Stefanie Herzlich Willkommen, Gesche .
Gesche Hallo Stefanie. Danke, dass ich wieder zum Gespräch eingeladen wurde. Ich freu mich, hier zu sein.
Stefanie Genau, sehr gerne. Und Gesche kennst du, liebe Hörerin, lieber Hörer schon aus der Folge 74, als wir über vegane Malerei und das Leben auf dem Lande geplaudert haben und da hatten wir eigentlich auch noch ein drittes Thema, aber leider war dann die Qualität nicht mehr so gut und deswegen haben wir beschlossen, dass wir jetzt nochmal eine extra Folge dazu aufnehmen und zwar zu dem Thema, dass „vegan“ immer gleichgesetzt wird mit „schlank“ und dass man sofort abnimmt, wenn man vegan lebt. Ja und darüber wollten wir uns jetzt heute ein wenig unterhalten, nicht wahr, Gesche ?
Gesche Ja.
Stefanie Genau. Wir wollen über unsere Erfahrungen plaudern und ja, möchtest du anfangen?
Gesche Ja, ich kann mich vielleicht einmal kurz nochmal vorstellen für die, die die andere Folge nicht gesehen haben: Ich bin Gesche, ich bin seit 5 oder 6 Jahren Veganerin. Ich hab versucht, an das Datum zu kommen, weiß es aber nicht genau mehr, und bin außerdem das, was die Mode-Industrie als eine Übergröße bezeichnet.
Stefanie Ja, und dazu darf ich mich auch rechnen, also von daher sind wir quasi irgendwie doch Experten.
Gesche Zumindest, was unsere eigene Erfahrung angeht. Das auf jeden Fall.
Stefanie Ja, stimmt genau. Die Vorstellung wollte ich dir auch gar nicht nehmen. Ich hatte irgendwie … Alle müssen einfach schon Folge 74 gehört haben. Das ist einfach so.
Gesche Ja, denke ich auch.
Stefanie Ja, wie sind denn deine Erfahrungen zum Thema „vegan bedeutet immer schlank“.
Gesche Also meine persönliche Erfahrung ist, ich war schon immer kräftig und dann mehr oder weniger „spack“, würde das meine Oma nennen – oder hätte sie genannt, sie ist jetzt verstorben – also ich war schon vor meinem Vegansein kräftig und eine Übergröße und ich bin jetzt immer noch kräftig und eine Übergröße und es hat sich überhaupt nichts getan. Was auch ok war, das war jetzt überhaupt nicht mein Ziel oder so. Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mich nicht so richtig dieser veganen Gemeinschaft zugehörig fühlen kann, weil die Darstellung, also manchmal die Darstellung von anderen und manchmal auch die Selbstinszenierung von der veganen Szene an sich nicht mir entspricht, überhaupt nicht.
Stefanie Ja. Kann ich ganz nachempfinden, ja. Ich hab das auch schon so erlebt, dass ich – also zum einen, weil ich ja bei der Albert-Schweitzer-Stiftung öfter mal da beim Stand aushelfe – dass dann einige von den Damen, die – da sind wenig Herren, also meistens Damen, die da mit mir aushelfen – dann Passanten erzählen, dass sie ja so viel abgenommen haben, seit sie vegan leben und dass es so toll ist. Sie haben so einen straffen Bauch bekommen und das ist alles so klasse und ich steh dann immer daneben und denk mir: „Ja, was soll ich sagen? Bei mir ist es nicht so.“ Also es wirkt nach außen hin schon sehr häufig so, dass vegan immer bedeutet, dass du mindestens zwei Kleidergrößen abnimmst und also quasi instant sportlich wirst, also du wirst es sofort, du musst gar nicht Sport treiben, du bist einfach dann sportlich durch das Vegansein.
Gesche Ja, ich meine, es ist natürlich auch: Was da immer mitschwingt ist dieses: „Dann bist du schlanker und das ist automatisch besser.“ Das ist so eine Bewertung, die da immer mitschwingt, die gar nicht mehr gesagt werden muss. Das ist einfach …
Stefanie … das ist auch dieses „schlank“ gleich „sexy“.
Gesche Ja. Und eine interessante Erfahrung, die ich gemacht habe, was ich einmal ausprobiert habe, also das war kein absichtliches Experiment, das hab ich ausprobiert, weil ich zwischendurch – manchmal hat man ja so Tage, da hat man keine Lust auf Konfrontation, wenn man neu vegan ist und lügt, also in dieser Phase – und dass ich die Erfahrung gemacht habe, wenn man bei so einer Feier ist, also irgendwie von einem Job oder eine größere Familienfeier oder so, am Buffet steht und nur ausgepickt Dinge isst, die Beilagen oder so: Wenn man dann sagt, dass man das macht, weil man auf Diät ist, ist die Reaktion meistens positiv und Leute sagen: „Hey gut für dich und top und viel Glück und Erfolg!“ Und wenn man sagt, dass man Veganerin ist und jetzt das deshalb das nicht mehr isst, wird man im besten Fall ignoriert bis halt ausgelacht und es wird ins Witze-Repertoire gegriffen.
Also das ist faszinierend. Mein Verhalten hat sich praktisch nicht geändert, also mein Verhalten und das, was ich esse, ist dasselbe, aber diese Restriktion von Konsum ist ok, wenn es fürs Abnehmen ist, also für Optik ist, aber nicht ok, wenn ich es für Ethik mache. Das ist die Erfahrung, die ich so gemacht habe. Was ich ganz faszinierend fand.
Stefanie Das ist nämlich auch eine Erfahrung von mir, dass vegan auch mit Diät gleichgesetzt wird. Also jetzt werd ich vegan und dann nehm ich ab. Also auch dieser Fokus auf Abnehmen, also genau das, was du halt gerade sagtest: Ethik ist nicht ok, das ist halt was, was man belächeln kann. Das ist vielleicht auch schwach, aber wenn es darum geht, das Äußere zu formen und den Körper irgendwie toll herzurichten, dann ist es in Ordnung. Vegan ist dann ein Mittel, um das zu machen und dann könnte ich dann eben genauso gut auch Paleo oder was auch immer … Das ist so die neuste Mode oder Clean Eating oder so, also was es halt alles so an Trends gibt. Und dann ist vegan ja auch wieder ein Trend, denn dann hat das eigentlich mit dem, weswegen wir beide das jetzt machen, auch nichts mehr zu tun.
Gesche Ich finde es gut, wenn Leute auch erstmal nur aus Diätgründen vegan sich ernähren, einfach weil ich das Gefühl hab, weil ich glaube, das ist jetzt meine laienhafte Vermutung, dass wenn man erstmal die tierischen Produkte weglässt, so ein bisschen Raum ist für tatsächlich Mitgefühl, was man vorher nicht haben kann, weil sonst müsste man sich ja eingestehen, dass man gerade etwas Furchtbares tut. Also allgemein glaube ich halt schon, dass etwas bringen kann, aber gleichzeitig ist es dieses, dass wenn der Veganismus so auf die Diät und die Ernährung reduziert wird, dass die Leute, glaube ich, auch nicht lange dabei bleiben, das es, wie du gesagt hast, so eine Modeerscheinung ist und dann probiert man halt drei Monate später was anderes aus.
Stefanie Wenn es halt nicht zu dem Ergebnis führt, was man dann möchte, dem Abnehmen, dann würde man es wieder lassen, genau so ist es dann.
Ja, ich hatte auch bei diesen, ich hatte mir das Buch „Ab heute vegan“ von Patrick Bolk also das ein Gemeinschaftswerk von verschiedenen Autoren, als Hörbuch geholt und ich hatte vorhin nochmal versucht, diese Stelle rauszusuchen, aber ich hab es irgendwie jetzt gerade noch nicht gefunden. Jedenfalls hatte er da sinngemäß gesagt, dass es besser ist, erstmal, wenn man ein Vorbild sein will in veganer Ernährung, wirklich sich gesundheitlich zu orientieren und dann vorbildmäßig zu essen und auch auszusehen, als wenn man mit ethischen Argumenten käme, und das fand ich halt ziemlich na ja.
Gesche Oh ja. Das ist ja auch nicht der einzige, weil ich hab nämlich darüber nachgedacht, wann mir das mal über den Weg gelaufen ist, wo ich mich richtig dolle aufgeregt hatte. Ich meine man, es begegnet einem immer unterschwellig, aber wo war mir das so wirklich übern Weg gelaufen? Und das war mir nämlich wieder eingefallen und ich habs nachgeguckt und zwar: Es gibt so eine amerikanische Ärztevereinigung von so veganen Ernährungs-Ärzten, ich müsste jetzt nachschauen wie die heißen, aber der Dr. McDougall, der einem ja häufig über den Weg läuft, wenn es praktisch um Herz, Gesundheit und Veganismus geht oder so, der hat auch mal sowas geschrieben in seiner Email, wie, also frei übersetzt: „Fette Veganer schützen vielleicht Tiere, aber sie sind nicht besonders gut für den Veganismus, weil Nicht-Veganer von ihrem Fettsein so abgelenkt sind, dass sie nicht effektive Advokaten für Tierschutz und Veganismus sein können.“ Das war im Prinzip so seine These.
Stefanie Ja.
Gesche Also da fällt mir auch gar nicht viel zu ein. Nur weil die Welt so schlecht ist, heißt das ja nicht, dass wir uns auf das Niveau setzen müssen.
Stefanie Ja, also genau das ist es nämlich auch, dieses, dass gesagt wird, dass das Äußere eben, dass man dann ein schlechtes Vorbild ist, wenn man eben nicht schlank und gesund aussieht, also man hat dann diesen Norm-Körper nicht, der im Moment als gesund gilt und deswegen lenkt man eben davon ab. Das ist dann eben auch das, was dieser Patrick Bolk schreibt und das ist auch was, was ja von vielen, die halt so im Rampenlicht stehen, den Veganern und Veganerinnen, wie jetzt zum Beispiel Attila Hildmann oder so, der ist ja auch eher so in diesem Fitness-Hype drin … Also ich kenne auch kaum Veganer oder Veganerinnen, die übergewichtig sind und an der Front stehen, also die irgendwelche Kochbücher schreiben oder so, vielleicht außer Jérôme Eckmeier, ich meine, dass der auch ein bisschen kräftiger ist. Aber ansonsten kenne ich echt kaum jemanden. Die meisten sind total schlank. Und dann ist das ja auch das Bild, dass Veganer halt schlank sind. Das wird dann wieder gleichgesetzt. Aber ich denke eben einfach, das denkst du ja wahrscheinlich auch, dass Veganer und Veganerinnen einfach in allen Formen und Größen existieren dürfen.
Gesche Dürfen sowieso und auch grundsätzlich, dass Gewicht und Körperbau viel komplizierter ist als einfach nur das, was du in deinen Mund steckst.
Stefanie Ja, definitiv.
Gesche Ich finde das auch schwierig, darüber zu sprechen, weil … Ich betone zum Beispiel gern, weil auch mir ist das schon ein-/zweimal passiert, dass Leute mich wirklich angesprochen haben und gesagt haben: „Wie du bist vegan, aber du siehst ja gar nicht so aus.“
Stefanie Wie sieht man denn aus, wenn man vegan ist?
Gesche Oder so ganz unmögliche: Ich meine, ich beantworte die Fragen, ich nehme das nicht persönlich, aber das ist ja sehr unhöflich in unserer Gesellschaft, sowas zu sagen: „Du musst ja praktisch noch dicker gewesen sein, wenn das jetzt dein Vegan-Gewicht ist.“ Und ich erzähle dann immer gerne, dass ich halt vorher schon sehr vollkornig gegessen habe. Ich habe vorher schon sehr vollkornig gegessen und dann war die Umstellung zum Veganismus … da war halt kein harter Schnitt, da war kein harter Schnitt von immer Tiefkühlpizza und dann halt keine Tiefkühlpizza mehr. Von daher war das jetzt auch kein Kulturschock für meinen Körper, der hat halt vorher auch schon Grünkohl und Zucchinis bekommen.
Stefanie Ja.
Gesche Aber ich hab halt Schwierigkeiten, darüber zu sprechen, weil gleichzeitig ist es dieses: Ich entspreche nicht dem Klischee von den klassischen Dicken, das die Leute haben. Ich esse halt gerne vollkornig und baue mein eigenes Gemüse an und mache gerne lange Radtouren und Liegestützen etc. Aber gleichzeitig will ich auch immer einfügen: Aber es ist auch völlig ok, diesem Klischee zu entsprechen. Das ist nicht schlimm, da ist keine negative Wertung dahinter, darum fällt es mir manchmal schwer, darüber zu sprechen, weil ich gleichzeitig halt nicht das andere schlecht dastehen lassen möchte.
Stefanie Aber ich denke auch, es gibt einfach nicht „die Dicken“, genauso wenig wie „die Russen“. Man kann das nicht so vereinheitlichen. Es gibt auch nicht „die Veganer oder Veganerinnen“, sondern es gibt einfach ganz viele Individuen und manche ernähren sich eben vegan und manche nicht und manche sind halt etwas kräftiger und andere nicht. Also es gibt ja durchaus auch dann Frauen oder Männer, die sehr dünn sind, eigentlich gar nicht so dünn sein wollen, also so das extrem gibt es ja auch.
Gesche Was auch interessant ist: Wie sehr einfach diese Wahrnehmung, worüber wir gesprochen haben, dass gesagt wird, wir sind schlechte Vorbilder, und wir sind dann nicht gut um den Veganismus zu verbreiten, weil wir halt irgendwie ungesund aussehen und dem Veganismus kein gutes Image verleihen. Also das kann man ja grundsätzlich in Frage stellen, warum nicht auch „ein guter Mensch sein“ nicht irgendwie ein gutes Image verbreitet. Aber grundsätzlich ist das ja auch so gesellschaftlich geprägt, also noch vor zwei Generationen hätte nie jemand gesagt, dass ich ungesund aussehe.
Stefanie Ja, genau. Das das ist definitiv ein Gesellschaftsphänomen, ja.
Gesche Ich hab halt immer die Erfahrungen in Deutschland und mein Mann ist Franzose in Frankreich. Ich bin in Frankreich auch vor allen Dingen mehr so im ländlichen Süden unterwegs und selten jetzt in der Pariser Innenstadt, aber in Deutschland ist der Veganismus schon verbreiteter, da ist die Erwartung „Veganer müssen halt schlank sein.“ und in Frankreich ist die Erfahrung, die ich mache, eher so: „Ist ja klar, dass ich aussehe, wie ich aussehe, ich ess halt einfach zu viel Brot und Kohlenhydrate.“ Also für die ist das praktisch ja kein Wunder.
Die haben dieselben Informationen, kommen aber zu völlig anderen Ergebnissen, weil das einfach nur kulturell geprägt ist und nichts mit der Realität oder der Wahrheit in irgendeiner Form zu tun hat.
Stefanie Ja, das ist auch spannend, jetzt hast du zumindest eine Lösung: Hör auf, Brot zu essen, und schon hörts auf.
Gesche Ich ess halt immer in Frankreich so viel Brot, weil es ja nix anderes gibt. Außer dem Salat mit der Vinaigrette und das Brot, von daher.
Stefanie Aber gut, dann verschiebst du eigentlich auch die Wahrnehmung, die denken du isst immer so viel Brot und dann …
Also was bei mir ja eben der Fall ist ja, dass ich ja auch emotional esse, dass es also jetzt auch nicht unbedingt so ist, dass ich schon immer irgendwie übergewichtig war, sondern einfach dass es irgendwo auch psychisch ist. Und das ist ja dann auch wieder nochmal ein extra Fall, sag ich mal, dass ist ja eine Form von Sucht sozusagen, dass ich essen muss. Das ist jetzt auch wieder nicht so „alle Dicken“ und so, sondern es gibt eine ganze Bandbreite, wie das halt zustande kommt, dass jetzt der Körper tatsächlich so aussieht, wie er aussieht.
Und ja, bei mir war es eben ja auch so: Ich war erst Vegetarierin und dann, als ich vegan geworden bin, es hat sich einfach nichts geändert: Es gibt halt genauso gut auch vegane Süßigkeiten, die kann ich genauso gut weiter essen, ich kann das 1 zu 1 ersetzen, das Essverhalten. Also ich weiß, woran es bei mir liegt, aber es hat nichts mit vegan sein zu tun. Also es gibt veganes Fastfood, du sagst du isst gern vollkornig, ich hatte als Kind Neurodermitis und dann hat meine Mutter uns alle auf Vollkorn gesetzt, und dann konnte ich irgendwann kein Vollkorn mehr sehen. Aber es war damals ja auch noch so ein bisschen krasser, diese ganze Vollkorn-Szene.
Gesche Wir hatten auch schon: Meine Mutter hat, von wo auch immer sie das bestellt hat, gab ja kein Internet, so eine riesige Tonne mit Vollkorn-Spirelli. Ich hab praktisch meine ganze Kindheit aus einer 20-Kilo-Tonne Vollkorn-Spirelli gegessen. Das kam nur bei anderen Kindern nicht so gut an, muss ich sagen.
Stefanie Ja, meine Mutter hat mal so ein Tiramisu gemacht, und da gehörten ja eigentlich diese Löffelbiskuit rein und dann hat sie ja da irgendwelche Vollkorn-Kekse oder irgendwas reingetan, irgendwas das also echt schlimm geschmeckt hat und mir war das so peinlich damals, aber sie wollte halt dieses Vollkorn.
Gesche Wir lachen immer noch darüber, dass dann tatsächlich ein Kind von meinem Kindergeburtstag nach Hause ist und zu seiner Mutter gesagt hat: „Bei Santens gab es dreckige Nudeln.“
Stefanie Weil sie nicht weiß waren?
Gesche Ja, ja. Es ist auch ein bisschen: Ich backe zumindest nicht so vollkornig. Ich meine, meine Mutter hatte sicherlich auch recht und das war alles gesünder für uns. Und sie hatte quasi das klassische Doktor Oetker Backbuch, hat das Rezept genommen und hat das Mehl, „das geht auf hundert Prozent Dinkel Vollkorn, und der Zucker, der kann auch geviertelt werden“, und so. Und ich meine es hat mir trotzdem geschmeckt, wenn man nichts anderes gewohnt ist. Aber ja, du hast recht, es gibt halt unterschiedliche Gründe und man kann auch immer in die Menschen nicht reingucken.
Stefanie Genau.
Gesche Und weiß es vorher nicht. Auch wenn einem das immer eingeredet wird, dass das geht, kann von außen auch nicht sehen, ob sie gesund sind oder nicht gesund sind. Und wie gesagt, dass auch die Gleichung nicht so einfach ist, mit dem „das, was du isst, so sieht dein Körper auch aus“, dass da so viel mehr reinspielt. Also ich hab tatsächlich zwischendurch, ich kann mich genau daran erinnern, dass ich, als ich da zum ersten Mal in einem veganen Laden war, in Münster und zum ersten Mal mir vegane Süßigkeiten und Schokolade gekauft habe. Ich hab halt zwischendurch wirklich 2 oder 3 Jahre praktisch keine fertige Süßigkeit gegessen. Ich hab dann öfter mal am Wochenende Muffins zu Hause gebacken, aber ich war auf dem Land, ich hatte kein Geld. Und es war halt noch nicht so verbreitet, so 2013, da gab es halt noch nicht in jedem Rewe so vegane Schokolade oder sowas oder Kekse. Also ich habe praktisch 2 bis 3 Jahre nichts, was sowas dem Twix oder so entspricht gegessen oder einen Berliner vom Bäcker und das hat trotzdem nichts daran geändert an mir. Es war sicherlich gesünder als jetzt, wo ich Kekse essen kann, die ich im Supermarkt kaufe. Aber es hat ja nichts an meiner Optik geändert und ja auch nichts an meinem Veganismus.
Stefanie Ja, das eine hat einfach mit dem anderen nichts zu tun. Das ist dann wirklich einfach diese Erwartung, dass vegan so sein muss: „Veganer sind immer schlank, das ist halt so“, so wie – mir fällt gerade gar kein Pendant dazu ein – „Frösche sind immer grün“, keine Ahnung. Selbst das stimmt nicht, manche sind auch eher braun oder so. Ja, es ist wirklich dieses, dass man da nicht reingucken kann, was du gerade sagtest, das stimmt auch. Also man hat dieses Bild: „Das sind diese Dicken da und die sind halt selber schuld, die sind nicht diszipliniert genug, die achten nicht genug darauf, was sie essen und wenn sie sich ein bisschen disziplinieren würden, dann würden sie schon abnehmen.“ Also so irgendwie so dieses Bild. Aber dass es eben verschiedenste Gründe geben kann, weswegen es einem einfach nicht möglich ist abzunehmen, das wird dann ausgeblendet. „Disziplin! Und dann wird es schon gehen.“
Gesche Ja, es ist tatsächlich auch sehr verbreitet, das ist ja nicht nur in der veganen Szene so, ob jetzt Laien-Veganer oder professionelle Veganer, sag ich mal. Also meine persönliche Erfahrung ist auch: Ich hatte halt sehr lange chronische Schmerzen und war auch unter anderem dann bei so einer Ernährungsberaterin, bei den Gastroenterologen war auch so eine Ernährungsberaterin und ich musste Tagebuch führen und so eine Reduktions-Diät machen, also ein paar Tage nur Reis und Kartoffeln essen und dann Dinge wieder einführen und hab das gemacht, hab da der Tagebuch darüber geführt und die Frau hat am Ende der zwei Wochen zu mir gesagt, dass ich gelogen haben muss, weil wenn ich so gegessen hätte, dann hätte ich ja abgenommen. Also ich mag jetzt nicht profan werden, aber ich habe da profane Dinge gedacht, bin gegangen, nie wieder hin und hab diese Praxis nie wieder um Hilfe bei meinem chronischen Schmerzen gebeten.
Stefanie Da kann man dir das noch hoch anrechnen, dass du das nur gedacht hast und nicht gesagt hast.
Gesche Das ist ja immer das Ding, wenn man lange genug krank ist, fehlt einem die Kraft. Da schlumpft man dann halt nach Hause und regt sich später auf.
Stefanie Es ist auch diese fehlende Sensibilität vielleicht auch, also jetzt von Seiten der anderen. Von denen die einen dann halt schief angucken, weil man eben nicht dieser Norm entspricht. Und eben auch, dass vielleicht eine Ernährungsberaterin nur in diese eine Richtung denkt und nicht dann ganzheitlich denkt, dass es verschiedene Aspekte geben könnte.
Gesche Naja, und dazu kommt da auch das andere noch, dass einem auch immer gerne unterstellt wird, dass man das ja ändern wollen würde. Also ich finde es ok, wenn man abnehmen möchte oder wenn man in irgendeiner anderen Form sein Essen umstellen möchte, um gesünder zu werden oder abzunehmen oder so. Aber einen wird halt immer unterstellt, dass man das auf jeden Fall möchte und das auch mein Ziel ist. Und es ist auf meiner Prio-Liste so weit unten. Was auch daran liegt möglicherweise bei mir, dass es letztendlich so ist: Auch in meinen schlankesten und fittesten Zeiten, wo ich praktisch keinen Speck am Bauch hatte und so, trug ich schon Übergröße, was halt als Übergröße bezeichnet wurde, und hatte schon Leute, die mir sagten, dass ich zu dick wäre, einfach weil ich so viel Raum einnehme. Ich hab halt immer eine Hüfte, die breiter ist als eine 44, egal was ich tue, von daher hat sich da so eine Trotzhaltung eingestellt. Das ist halt auf meiner Prio-Liste überhaupt nicht in den Top Ten, aber die Leute unterstellen einem das immer.
Stefanie Ja, das stimmt, das ist halt so ein: „Es muss doch sein, dass du schlank sein willst!“, also schlank im Sinne …
Gesche Und ist ja auch schade, dass ist auch interessant, dieses: „Mensch, Gesche, du isst so gesund und dann fährst du auch noch so viel Rad, das ist ja echt unfair!“ So, als hätte ich das praktisch verdient, als wäre das dann meine Belohnung am Ende des Tages, das Schlank-Sein, weil das das Ziel ist, was ich haben muss.
Stefanie Stimmt, jetzt wo du das so sagst, das ist wirklich ganz tief in der Gesellschaft drin, so ein: „Das kann ja nicht sein, dass man sich mit so einem Körper wohlfühlen kann.“
Gesche Ja und auch: „Das Dick-Sein ist das Schlimmste, was man …“ – und das kam halt auch in meiner Erziehung nicht vor. Da muss ich sagen, meine Eltern haben mich vielleicht anderweitig vermurkst, aber da haben sie viel richtig gemacht. Dass wir in einer Welt leben, wo „Du bist dick!“ eine schlimmere Beleidigung ist als „Du bist doof!“, ist mir immer noch ein Rätsel. Dass halt auch, wenn ich mich selber als dick bezeichne, viele Leute sagen: „Aber nein, Gesche , du bist halt noch nicht richtig dick.“ Vernünftig dick fängt halt erst später an.
Stefanie Du darfst noch nicht einmal dick sein.
Gesche Einfach, weil das das Schlimmste ist, was man über sich sagen kann. Deshalb wollen die einen in Schutz nehmen, also wirklich Freundinnen, die einen Schutz nehmen wollen.
Stefanie Ok, das ist dann, weil man dick als Schimpfwort empfindet.
Gesche Ja, wo man halt sieht: Das ist irgendwie ein gesamtgesellschaftliches Problem und im Veganismus kristallisiert sich das so raus, dass sie dann halt denken, sie müssen dir das Schlanksein betonen in der Werbung, weil sie so Leute überzeugen.
Stefanie Das ist das Gesundheits-Phänomen: Sobald du vegan lebst, bist du nie wieder krank, schlank und für immer fit und wahrscheinlich wirst du noch 200 Jahre alt.
Gesche Und hast weniger Falten als deine Schwester.
Stefanie Ja, das stimmt. Also gut, das sind jetzt quasi 2 Themen. Das Dick-Sein ist natürlich auch unabhängig vom Vegan-Sein ein Thema, aber ich finde, dass es wichtig ist, dass wir darüber sprechen, weil es ja sicherlich nicht nur uns beide betrifft, sondern bestimmt auch noch andere. Ich weiß nicht, ob es viele Männer gibt, aber eben auch andere Frauen und Männer, sagen wir mal, die es betreffen kann und die sich vielleicht auch unwohl fühlen durch das, was die Gesellschaft sagt und was eben von ihnen verlangt wird als Veganer oder Veganerin.
Gesche Ja, und die vielleicht auch einfach abgeschreckt sind. Ich meine, ich bin immer abgeschreckt, an Gemeinschaft teilzunehmen, das hat was mit mir zu tun, nicht mit Veganismus. Aber dass es einfach auch Menschen gibt, die abgeschreckt sind allgemein an veganer Gemeinschaft im weitesten Sinne teilzunehmen, weil sie das Gefühl haben, dass sie den Maßstäben nicht entsprechen, die da an ihnen gesetzt werden. Und das ist ja schade, weil eine Gemeinschaft wächst ja, also die bekommt ja Stärke durch Vielfalt. Und wenn man sich so reduziert auf ein Image, dann würde ich sagen, schadet das eher, als dass es hilft.
Stefanie Also ich denke auch. Die Colleen Patrick-Goudreau, die macht ja auch einen Podcast schon seit 11 Jahren, eine Amerikanerin, zu veganem Leben und die hatte eine Folge „The Shame of Overweight Vegans“, ich hatte das erst als Video gesehen und sie hat das aber in einer Podcast-Folge auch drin. Und da ist sie angeschrieben worden von einer Veganerin, die eben sich selbst als übergewichtig empfindet und die genau das auch geschildert hatte, was du geschildert hast, dass sie eben auf einer Party oder irgendwo angesprochen wurde, „Wie kann das denn sein, dass du vegan lebst? Du siehst ja gar nicht so aus!“, und sie hat – gut, die Colleen ist ja sehr schlank und so – aber hat trotzdem eben halt darüber gesprochen, dass es genau das ist, sie sagt: „Vegans come in all sizes and all colors …“ und also wirklich alles und ich finde auch, das ist es halt, dass diese Vielfalt … Also man kann einfach nicht die Veganen auf irgendwie ein Format reduzieren, also so, „die sind jetzt alle 1,70 groß und blond und höchstens 60 Kilo“ oder so. Und durchtrainiert …
Gesche Ich finde es schwierig, je nach meiner Tageslaune finde ich es halt entweder einfach nur schwierig bis verwerflich, wenn Veganer-Outreach-Programme halt auf diesen Zug, der durch unsere Gesellschaft fährt, „Fit und schlank ist das beste und das höchste Ziel, was man haben kann“ aufspringen, nur, weil es halt gerade funktioniert. Also dass das praktisch immer das erste Argument ist.
Stefanie Ja, ich meine auch, dass da so eine Werbung war, aber ich kann mich jetzt grad nicht mehr dran erinnern.
Gesche Mir ist halt keine deutsche Werbung eingefallen und ich weiß halt wirklich nicht, ob es keine deutsche Peta Werbung gab zu dem Thema – also ich meine die Peta Werbungen sind halt häufig recht sexy bis sexistisch und in diesem Bereich bewegen die sich – aber es gab halt diese amerikanische Werbung, wo eine dicke Frau von hinten fotografiert wurde und es stand sowas wie „Rettet die Wale, werdet vegan“ [englischer Slogan: „Save The Whales, Lose The Blubber: Go Vegetarian.“, siehe z.B. hier: https://degradationofwomen.weebly.com/save-the-whales--lose-the-blubber-go-vegetarian.html] oder so. Wahrscheinlich, wenn man „fat vegan“ googlet, würde man das Bild in der Bildersuche finden oder so, ich hab das jetzt nicht ausprobiert, aber ich weiß, dass es das gab.
Ich meine, ich kann mich noch daran erinnern – das war letztes Jahr oder vorletztes Jahr, glaube ich zumindest, also relativ zeitnah – dass es diese Plakat-Reihe gab, von dem Strongman Patrik Baboumian – ich hoffe, ich hab jetzt jeden Vokal und Konsonanten richtig im Nachnamen – also das Plakat fand ich halt richtig gut, das hat mir so gut gefallen, da war einfach nur er drauf mit gekreuzten Armen mit Basilikum, glaube ich, im Mund, da stand „Pflanzenfresser“ drauf. Also mich hat das sehr angesprochen, einfach weil der Veganismus halt auch über irgendwie Stärke oder „du kannst was schaffen“ definiert wurde. Aber vielleicht war die insgesamt völlig nicht erfolgreich und kam nicht an beim Durchschnitt der Bevölkerung. Das kann ich natürlich nicht beurteilen. Aber es geht auf jeden Fall anders.
Stefanie Hier in Hamburg ist auch ein Fotograf, der hat sich so einen extremen Künstlernamen gegeben, Stefano Vicinoadio oder so ähnlich, und der hat so ein Projekt gestartet, „ten thousand faces“, wo er dann also wirklich alle Veganer fotografiert, die ihm vor die Kamera kommen. Und der ist auch ein bisschen kräftiger und alles. Der versucht halt auch, diese Vielfalt zu fotografieren, aber eben auch nur die Gesichter.
Gesche Gut, also es gibt sie, aber sie wird nicht repräsentiert. Fassen wir das so zusammen.
Stefanie Ja, also im Grunde geht es ja wirklich darum, dass wir zum einen uns stark machen für starke Frauen. Also natürlich haben auch schlanke Frauen ihre Berechtigung. Also es gibt ja auch natürlich schlanke Frauen, die einfach so sind und genau so gibt es eben auch natürlich dicke Frauen. Also dass es einfach sein darf, dass Veganerinnen und Veganer in allen Formen und Größen da sein dürfen.
Also eigentlich also wir haben über unsere Erfahrungen gesprochen. Ja also ich bedanke mich auf jeden Fall ganz herzlich bei dir, Gesche , dass du mit mir über dieses Thema gesprochen hast und dass wir dieses Thema dann eben auch unseren Hörern und Hörerinnen näherbringen können. Und freue mich, dass du wieder dabei warst, ja.
Gesche Danke und bitte und hab ich gerne gemacht.
Stefanie Und dann bedanke ich mich jetzt auch nochmal ganz herzlich bei allen Hörern und Hörerinnen, die so viele tolle itunes-Rezensionen schon hinterlassen haben. Das sind nämlich jetzt schon 12 Stück und dann bin ich ja ganz glücklich, zwölf 5-Sterne-Bewertungen, und ich bedanke mich auch bei allen, die uns jetzt bei steady unterstützen und allen die uns Emails schreiben und allen, die uns hören, die Download-Zahlen steigen, das ist ganz klasse! Also ein herzliches Dankeschön! Und beim nächsten Mal ist vielleicht Carsten auch wieder mit dabei, aber das war jetzt einfach ein Thema, da kann Carsten nicht mitreden, also das ist einfach etwas für uns Frauen. Dann würde ich sagen: In diesem Sinne: In Hamburg sagt man Tschüss und auf Wiederhören.
Outro-Musik
Stefanie Möchtest du auch noch Tschüss sagen?
Gesche Tschüss!
Stefanie Ich winke nochmal ins Mikro. Adieu!
Hinweis zum Von Herzen Vegan Clan
Im November 2021 ist der Von Herzen Vegan Clan ein Teil meiner damals neuen Community, des Experimentariums geworden.
Das Experimentarium gibt es seit Dezember 2022 nicht mehr.
Ich bin gerade dabei eine neue Online-Community aufzubauen. Wenn Du interessiert bist, schau doch mal vorbei:
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